„Die Fahrkarten, bitte!“
In der kurzen Zeit bevor der Zug in den Kölner Hauptbahnhof
einfährt, muss die Zugchefin in Erfahrung bringen,
wie ihre Mitarbeiter ausgebildet sind und für welche Arbeiten
sie eingesetzt werden können. Steht der Zug bereit, geht
alles sehr schnell. In Windeseile heißt es: „Aufrüsten“.
Während die ersten Fahrgäste bereits einsteigen,
muss das Zugbegleiterteam das Bistro startklar machen, Zuginformationen
auf die Plätze verteilen und die technische Überprüfung
durchführen, damit der Zug überhaupt starten kann.
Es ist alles in Ordnung, der Zug verläßt den Kölner
Hauptbahnhof pünktlich um 6:27 Uhr. Zwei Kollegen beginnen
mit der Fahrkartenkontrolle, während sich Frau Ullrich telefonisch
um einen Ersatz für den kaputten „Am Platz Service“ Trolli
kümmert. Anschließend begrüßt sie über
den Bordlautsprecher ihre Fahrgäste routiniert in Deutsch
und Englisch. Dann geht sie selbst kontrollieren. Heute, am Mittwochmorgen,
ist es still im Zug. Nur wenige Fahrgäste sitzen müde
in den Abteilen. Weil es noch dunkel ist, flüstert Frau
Ullrich beinahe: „Die Fahrkarte, bitte!“ Der angesprochene
Fahrgast blickt ärgerlich auf. Er wurde bereits kontrolliert
und möchte nicht noch einmal seine Karte zeigen. Das Missverständnis
ist schnell geklärt und die Zugchefin entschuldigt sich.
So einfach lösen sich die Konflikte nicht immer. Es gibt
auch schwierige Kunden. Die Zugbegleiter sind oft Prellböcke
für schlechte Laune und den allgemeinen Unmut der Fahrgäste.
Wenn es brenzlig wird und auch ein nettes Lächeln nicht
mehr hilft, fordert sie Unterstützung aus dem Team an. „Wenn
man zu zweit auftritt, beruhigt sich die Situation dann meist
schnell“, berichtet Ullrich. Wenn auch das nicht hilft,
muss sie den Gast von der Fahrt ausschließen. An einen
Fall kann sich die erfahrene Zugchefin noch genau erinnern. Ein
Kunde belästigte ständig die anderen Fahrgäste,
den setzte sie dann am nächsten Bahnhof einfach vor die
Tür.
Mit dem neuen Preissystem hat die Zugchefin keine Probleme.
Sie wurde im letzten Jahr zwei mal zwei Tage geschult, danach
fühlte sie sich gewappnet und war sehr gespannt auf die
Umstellung. „Man konnte vorher eben nicht abschätzen,
wie die Leute reagieren, vor allem, wenn sie die Zugbindung nicht
einhalten und eventuell nachzahlen müssen“, erklärt
sie. Aber es sei alles gut gelaufen, vor allem weil die Kunden
im Dezember noch keine Stornogebühren zahlen mussten, sondern
nur einen Hinweis bekamen, wie das ab 2003 gehandhabt
würde. Danach machte Elke Ullrich Urlaub und bekam die ersten „echten“ Stornofälle
gar nicht mit. Als eine zusätzliche Belastung empfindet
sie das neue Preissystem nicht. Die Kollegen am Bahnhof müssen
mehr Fragen beantworten. Die meisten Kunden steigen mit gültiger
Fahrkarte ein, größtenteils zum Normalpreis. „Weil
die Leute oft nicht so weit im Voraus planen können“,
mutmaßt Elke Ullrich, „außerdem sind zur Zeit
noch mindestens genau so viele Kunden mit der alten Bahncard
unterwegs, wie mit der Neuen.“ Aber mehr möchte sie
dazu nicht sagen. Da hält sie es wie Bahnchef Mehdorn, der
ein Jahr warten möchte, bis er das neue Preissystem auf
den Prüfstand stellt. Auch wenn das neue Preissystem dem
Zugpersonal scheinbar keine Schwierigkeiten bereitet, gibt es
genügend andere Stressfaktoren. Deshalb halten die meisten
Mitarbeiter auch nicht bis zum Rentenalter durch. „Die
sind mit 55 oft platt und werden frühpensioniert“,
erklärt Manfred Ziegerath, stellvertretender Bahn Pressesprecher
NRW.
Gähnend leere Bahnhöfe
„Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen
wir Stuttgart. Der Zug endet dort“, kündigt die Zugchefin
den nächsten Halt an. Das Zugbegleiterteam hat jetzt knapp
eine Stunde Zeit, bis es wieder zurück nach Köln fährt.
Der Aufenthalt reicht immer nur gerade für ein kurzes Mittagessen
in der Kantine. Danach heißt es wieder „Aufrüsten“,
eine neue Kollegin begrüßen und Fahrkarten kontrollieren.
Es ist schwierig durch den Zug zu gehen, ohne die Balance
zu verlieren. Elke Ullrich schafft das spielend und zudem in
einem rasanten Tempo. „Das macht die Routine – man
gewöhnt sich eben an alles. Nach dem Urlaub merke ich dann
erst, wie schwierig es eigentlich ist, ständig durch den
Zug zu laufen. Dann verliere auch schon mal das Gleichgewicht
und vor allem spüre ich nach der Schicht meine Beine“,
erzählt die junge Zugchefin.
Auch auf der Rückfahrt ist der Zug so gut wie leer: Zeit
für ein Schwätzchen oder eine Zigarette im Raucherabteil.
Mit Spitzengeschwindigkeiten von fast 300 km/h rast der Zug Richtung
Köln, hält zwischendurch an gähnend leeren Bahnhöfen
und kommt schließlich, mit ein paar Minuten Verspätung,
im Kölner Hauptbahnhof an. Die Zugchefin geht ein letztes
Mal durch die Gänge und sieht nach, ob etwas liegen geblieben
ist. Dann schnappt sie sich ihren langen, dunklen Mantel und
den Dienstkoffer und verläßt zügig den Bahnsteig.
Feierabend! Valeska Zepp
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