|
Der neue Verkehrswegeplan
Straßen bauen um jeden Preis
Bei der Entscheidung, welche Bundesstraßen-, Schienen- und Wasserwege bis 2015 gebaut werden, sollen – auf Wunsch der Bundesregierung
– Umweltaspekte eine größere Rolle spielen. Doch eine sinnvolle Verkehrspolitik sieht anders aus als der neue Bundesverkehrswegeplan.
|
|
|
Lange lässt er auf sich warten: Der neue Bundesverkehrswegeplan sollte eigentlich schon in der vergangenen
Legislaturperiode verabschiedet werden. Dann wurde der Referentenentwurf für Anfang des Jahres angekündigt. Und nun wird der neue
Verkehrsminister Manfred Stolpe das Papier vermutlich erst im März oder April an seine Ministerkollegen, die Landesregierungen und
Verbände weiterleiten. Im Frühsommer soll dann das Kabinett darüber entscheiden. Inwieweit die Vorschläge in die Bedarfsplanungsgesetze
eingehen, beschließt irgendwann der Bundestag.
Mit dem Bundesverkehrswegeplan legt die Regierung fest, welche Straßen-, Schienen- und Wasserwege bis zum Jahr 2015 in Deutschland
gebaut werden sollen. Im vergangenen Sommer stellte das Verkehrsministerium eine CD-Rom zusammen, auf der alle von den Ländern bis
zu diesem Zeitpunkt vorgeschlagenen Projekte verzeichnet und – soweit bis dahin schon geschehen – auch verkehrs- und umweltpolitisch
bewertet waren. Die Landesregierungen wurden aufgefordert, die Daten zu kontrollieren, eventuelle Umplanungen vorzuschlagen und eine Prioritätenliste
nach Berlin zu schicken.
Einige Länder haben diese Aufgabe bereits erledigt. „Weil in unserem Land ja jeder in alles reinreden kann, dauert es aber noch“,
so der Sprecher des Bundesverkehrsministeriums Richard Schild. Insbesondere Nordrhein-Westfalen hinkt noch hinterher, weil dort die Regionalräte
in den Entscheidungsprozess einbezogen wurden.
Zentrales Bewertungskriterium ist – genau wie schon beim Vorgängerplan von 1992 – eine Kosten-Nutzen-Analyse der einzelnen
Projekte. Allerdings gehen in diese Rechnung jetzt nicht mehr nur die Zeit- und Spritersparnis der Anlieger und Lieferanten, erwartete Arbeitsplatzeffekte
und die Reduzierung von Unfallrisiken ein. Ebenfalls in Euro ausgerechnet werden ökologische Kriterien wie die Veränderung der
Lärm- und die CO2-Belastung fürs Klima, die den Nutzen der Projekte häufig mindern.
|
|
Ab wann ein Projekt als „vordringlich“ eingestuft wird, steht noch nicht fest. Beim vergangenen Mal reichte ein Kosten-Nutzen-Verhältnis
von etwa drei – wenn also für jeden investierten Euro ein volkswirtschaftlicher Vorteil in Höhe von drei Euro erwartet wurde.
Weil die begrenzten Haushaltsmittel von Anfang an stärker einberechnet werden sollen, wird diesmal ein Faktor von etwa vier erwartet.
Ein niedriger Faktor verhindert aber nicht automatisch den Bau einer Straße. Der Beleg dafür ist die geplante Autobahn von
Magdeburg nach Schwerin. Ursprünglich sollte die Trasse durchs Wendland führen – was nicht nur den Widerstand der dortigen
Bürger, sondern auch der Landesregierung in Magdeburg hervorrief. Die protestierte dagegen, dass die Segnungen der neuen Autobahn dem
östlichen Bundesland kaum zugute kommen sollten. Weil Autobahnen in Deutschland immer noch mit Fortschritt und wirtschaftlichem Aufschwung
assoziiert werden und gerade Wahlkampf war, gab Kanzler Schröder den Genossen im Osten sein Wort, dass die Autobahn 14 kommen wird
– und zwar auf ihrem Gebiet. Das 350 Kilometer lange und 1,5 Milliarden Euro teure Projekt erreicht offiziell nur ein Kosten-Nutzen-Verhältnis
von 3,4 – und selbst diesen Wert schätzen viele Kritiker als stark geschönt ein.
Nach Berechnungen von Tilmann Heuser, verkehrspolitischer Sprecher des BUND, rechtfertigt das Verkehrsaufkommen lediglich den Bau einer
Kreis- oder allenfalls einer Bundesstraße und keineswegs eines mehrspurigen Highways. Hinzu kommt, dass Experten der A 14 ein sehr
hohes Umweltrisiko bescheinigen. „Doch es sieht so aus, als ob dennoch gebaut werden soll, weil der Kanzler es so gesagt hat“,
so Heuser.
|
Niedriger Nutzen, hohe Kosten
Für Heiner Monheim, Geografieprofessor in Trier und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des VCD, sind
die Verbesserungen der Bewertungsmethodik sowieso nur sekundär. „Der Bundesverkehrswegeplan spiegelt erneut die Unfähigkeit
in Deutschland, eine integrierte Verkehrsplanung zu machen“, lautet sein eindeutiges Urteil. Anstatt wie in der Schweiz zunächst
festzulegen, wieviel öffentlicher Transport notwendig ist, um einen für Mensch und Umwelt zumutbaren Verkehr zu organisieren,
halte auch die rot-grüne Bundesregierung am Status Quo einer autozentrierten Verkehrspolitik fest. Sobald der Kosten-Nutzen-Faktor
hoch ist, gilt das Projekt als vordringlich. In eine ähnliche Richtung geht auch die Kritik von Tilmann Heuser: „Es fehlen Strategien,
durch intelligente Siedungsstruktur und Wirtschaftspolitik Verkehr einzusparen. Das erwartete Verkehrswachstum wird nicht infrage gestellt.“
Dabei hat die rot-grüne Bundesregierung in den Grundlagen zum neuen Bundesverkehrswegeplan festgelegt, dass
raumordnerischen und ökologischen Kriterien eine größere Beachtung zukommen soll als früher. Das Bundesamt für
Naturschutz hat für die Hälfte der 1400 von den Ländern vorgeschlagenen Projekte eine Umweltrisikoeinschätzung in Auftrag
gegeben. In immerhin 400 Fällen kamen die Experten zu dem Ergebnis, dass die Gefahren für die Umwelt hoch oder sogar sehr hoch
einzuschätzen sind. Einige Projekte wurden daraufhin bereits umgeplant, andere werden wohl – wie die A 14 – dennoch als
vordringlich eingestuft werden.
In etwa 80 Fällen wird sowohl der wirtschaftliche Vorteil als auch der Schaden für die Umwelt als jeweils
sehr hoch eingeschätzt. Was im einzelnen letztendlich schwerer wiegt, ist erneut eine politische Frage. In manchen Fällen haben
die Verkehrslobbyisten schon vorgebaut: So schrieben die Düsseldorfer Genossen die Autobahntrasse von Bielefeld nach Borgholzhausen
bereits im Koalitionsvertrag mit den Grünen fest. Dass die Strecke einen hohen ökologischen Preis hat, ist aus ihrer Sicht ein
bedauerlicher, aber unabwendbarere Kollateralschaden. Zwar könnte das Projekt theoretisch auf Bundesebene noch gestoppt werden. Doch
daran glaubt fast niemand.
|
|
Während der alte Bundesverkehrswegeplan von 1992 ein nicht zu finanzierender Wunschzettel der Straßenbaulobby war – es
fehlten allein bis zum Jahr 2012 etwa 50 Milliarden Euro – haben die Bündnisgrünen angekündigt, dass sie auf den im
Berliner Koalitionsvertrag festgeschriebenen Finanzrahmen bestehen wollen. Demnach stehen insgesamt etwa 90 Milliarden Euro bis zum Ende
des Jahrzehnts für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung. Weil zunächst die bereits angefangenen Projekte fertiggestellt
und das Anti-Stau-Programm abgearbeitet werden sollen, gäbe es sowieso erst ab 2007 Geld für neue Maßnahmen, hat der bündnisgrüne
Fraktionsreferent für Infrastrukturpolitik Andreas Rade errechnet. Hinzu kommt, dass etwa die Hälfte des Geldes für den Erhalt
bereits existierender Verkehrswege benötigt würde und folglich nur der Rest für Neubauten ausgegeben werden könne. Außerdem
habe sich die rot-grüne Bundesregierung darauf verständigt, dass die Hälfte der Investitionsmittel in die Schiene gesteckt
werden sollten. Summa summarum bedeutet das, dass für Straßenneubau etwa 22,5 Milliarden Euro bis zu Jahr 2010 zur Verfügung
stehen, so Rade.
Hoffen auf den Geldsegen
Ob Verkehrsminister Stolpe zu einem ähnlichen Ergebnis kommt, ist erst nachzuprüfen, wenn der Plan wirklich vorliegt. Sein Sprecher
Richard Schild jedenfalls hält nichts von exakten Finanzplänen. Vielleicht gäbe es ja wieder mal einen Geldsegen wie bei
der UMTS-Versteigerung, als plötzlich die Mittel für 120 Ortsumgehungen da waren. Auch Privatfinanzierungsmodelle seien schließlich
denkbar, so Schild.
Klar ist jedenfalls, dass die Länder wesentlich mehr Projekte angemeldet haben, als finanzierbar sind. Allein die bis zum Sommer gemeldeten
neuen Straßen würden etwa 85 Milliarden Euro kosten. Der Aufforderung, nach der Durchsicht der bisherigen Bewertungsdaten selbst
Prioritäten zu setzen, sind sie nicht nachgekommen. „Das ist ein Schwarze-Peter-Spiel“, kommentiert Ministerialdirigent
Reinhard Weber, Leiter der Projektgruppe Bundesverkehrswegeplanung. Die Landesregierungen wollen sich bei den schließlich leer ausgehenden
Kreisen und Kommunen nicht unbeliebt machen und überlassen das lieber der Bundesregierung.
|
|
Der niedersächsischen Landesregierung sind etwa 90 Straßenbauprojekte und neun Schienenprojekte besonders wichtig, berichtet
Stefan Wenzel, verkehrspolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion in Hannover. Er kritisiert, dass die Straßenbauer auch
da mit wachsenden Bevölkerungszahlen und somit wachsendem Verkehr rechnen, wo sich andere Ämter längst auf den bereits feststellbaren
Bevölkerungsschwund eingestellt haben. Außerdem habe jede der vier Bezirksregierungen im Land die Chance bekommen, jeweils zehn
weitere Wünsche zu äußern – wodurch 40 weitere Straßen und keine einzige Eisenbahnstrecke auf der Liste landeten.
Darunter sind so absurde Vorschläge wie die B 6 von Salzgitter nach Goslar. Die Straße hat von den Experten, die das Bundesverkehrsministerium
beauftragt hatte, einen mageren Kosten-Nutzen-Faktor von 0,1 zugestanden bekommen. Doch in diesem Fall wog wohl ein anderes Argument viel
schwerer: Ex-Ministerpräsident Gabriel kommt aus Goslar.
Eine andere Autobahn wird dagegen sehr wahrscheinlich als „vordringlich“ eingestuft werden: Die A 94 östlich von München.
Als sie noch in der Opposition waren, hatten die Sozialdemokraten den 54 Kilometer langen Neubau durchs ökologisch wertvolle Isental
stets abgelehnt und genau wie Umweltverbände dafür plädiert, lieber die Bundesstraße 12 über Haag vierspurig auszubauen.
Das wäre nicht nur erheblich billiger, sondern auch viel umweltschonender, bestätigt auch das bayerische Landesamt für Umweltsschutz.
Doch seit SPD-Verkehrspolitiker an der Spree das Sagen haben, unterstützen sie die Pläne der bayerischen Landesregierung, hat
Heiner Müller-Ermann von der Aktionsgemeinschaft gegen die A 94 beobachtet. Die B 12 taucht in den Unterlagen hingegen gar nicht mehr
auf, „Ein erbärmlicher Verrat der Sozialdemokraten“, so Müller-Ermanns Urteil. Im Bundesverkehrsministerium will man
sich nicht dazu äußern – wie gegenwärtig auch zu keinem anderen konkreten Projekt.
Sakrosankt im neuen Bundesverkehrswegeplan sind die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Ihr Bedarf wurde einst gesetzlich festgestellt
und gilt nun als unumstößlich. Wie sinnlos das ist, lässt sich beispielhaft an der A 38 Göttingen–Halle studieren.
Hatte der einstige Bundesverkehrsmister „Sause-Krause“ 72000 Autos am Tag prognostiziert, so geht selbst die Straßenbauverwaltung
heute nur noch von 42000 Fahrzeugen aus. Doch auch diese Annahme dürfte entschieden zu hoch sein – zumal eine parallel Ost-West-Autobahn
von Dresden nach Kassel gebaut wird.
Dass Widerstand gegen ungeliebte Straßenprojekte ausgesprochen sinnvoll sein kann, haben die Wendländer bewiesen. Während
der alljährlichen „kulturellen Landpartie“ beschallten die VCD-Kreisvorstandsfrau Maria Horn und einige Mitstreiter stündlich
die romantischen Rundlingsdörfer mit Autobahnlärm vom Tonband. Viele Anwohner erfuhren so von den Plänen, bei Salzwedel ein
Autobahnkreuz zu bauen. Erst kurz zuvor hatte der VCD herausgefunden, dass klammheimlich verschiedene Schutzgebiete aus der regionalen Raumordnungsplanung
gestrichen worden waren, was sich bei der Bewertung im Bundesverkehrswegeplan positiv für das Projekt ausgewirkt hätte. Viele
Unterschriften kamen zusammen – und inzwischen ist die ursprüngliche Planung vom Tisch.
Maria Horn vermutet allerdings, dass es nicht in erster Linie der Bürgerprotest war, der das Projekt aus den Bundesverkehrswegeplanungen
kippte. Vielmehr rettete die Wendländer, dass die Landesregierung in Magdeburg die Autobahn unbedingt haben wollte – und Kanzler
Schröder sein Wort gab. Aber die Geschichte hatten wir ja schon.
Annette Jensen
|
zurück zum Inhalt |
|
|