Der jahrelange hartnäckige Widerstand hat sich dieses Mal leider nicht ausgezahlt. Seit Monaten fräsen sich die Kettensägen
ihren Weg durch die einstige liebenswerte Wakenitz-Niederung südlich von Lübeck. Bis vor kurzem galt die Wakenitz noch als der
„Amazonas des Nordens“. Die „Ostseeautobahn“ (A 20) von der deutsch-polnischen Grenze bei Stettin bis nach Schleswig-Holstein
hat dem einst ruhigen Idyll ein Ende gesetzt. Weit mehr als eine Milliarde Euro sind in der Zwischenzeit in den Bau der umstrittenen Fernstraße
geflossen. Bis zum Bundesverwaltungsgericht in Berlin reichte der Klageweg entschiedener Autobahngegner – vom BUND über den Nabu
bis zum Jagdverband. Das „übergeordnete Interesse“ wog dann aber doch schwerer als verkehrs- und umweltpolitische Gesichtspunkte.
Der rot-grüne Staatssekretär Ralf Nagel freut sich: „Das relativ dünn besiedelte Mecklenburg-Vorpommern braucht dringend
diese West-Ost-Verbindung!“ Im Jahr 2005 nach Fertigstellung der gesamten Ostseeautobahn werden die Autofahrer das ehemalige Kleinod
Wakenitz bestenfalls durch Hinweisschilder am Straßenrand wahrnehmen.
Die eigentlich recht hohen Naturschutzauflagen konnten die Wakenitz nicht retten. Viele vor Jahren noch an der Wakenitz lebenden geschützten
Tier- und Pflanzenarten hatten sich nach Auffassung der Kieler Landesregierung unmittelbar vor dem ersten Spatenstich nicht mehr auffinden
lassen. Eigene Gutachter der Umweltverbände wiesen die besondere Schutzwürdigkeit nach der europäischen FFH-Richtlinie Fauna,
Flora, Habitat auch wegen bestehender Moorwälder jedoch klar nach. Zwar empfahlen die Berliner Richter den Straßenbauern,
die Wakenitz aus Gründen des Umweltschutzes zu untertunneln. Doch die rot-grüne Bundesregierung in Berlin, die rot-grüne
Landesregeierung in Kiel und die rot-rote Landesregierung in Schwerin setzten auf den billigen Sofortvollzug: das kleine Flüsschen
wird nun mittels einer „einfachen“ Brückenquerung überwunden. Die Rodungsarbeiten sind abgeschlossen. Nahe der Wakenitz
entwässerten im Januar aufwändige Maschinen ein der Autobahn hinderliches Moor.
Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in der Region machen sich viele Anwohnerinnen und Anwohner Hoffnungen auf eine bessere Arbeitssituation
– ein Zusammenhang, den man oft findet, wenn der Bau neuer Fernstraßen von der Bevölkerung befürwortet wird. Ob diese
Erwartungen jemals erfüllt werden, steht auf einem anderen Blatt. „Autobahnen sind gut für die Wirtschaft!“ –
diese Platitüde kennt jeder, der sich gegen die A 20 engagiert. Der VCD befürchtet, dass die neue Autobahn einen weiteren Beitrag
zur Abwanderung der Jugendlichen ins benachbarte Schleswig-Holstein forciert. Auch verkehrspolitisch ist die A 20 ein beklagenswerter Rückschritt.
Denn während mit politischer Rückendeckung mehr Verkehr auf die Straße herbeigesehnt und geplant wird, strich die Deutsche
Bahn AG das parallele Zugangebot zusammen. Die Interregios zwischen Lübeck und Bad Kleinen und Schwerin gehören der Vergangenheit
an. Die Küstenverbindung von der Heimatstadt Thomas Manns nach Wismar und Rostock hält derzeit nur noch eine Regionalexpress-Verbindung
aufrecht, lästiges umsteigen inklusive!
Der VCD hatte bereits seit Jahren auf die verhängnisvollen falschen Weichenstellungen hingewiesen und mit einem „Koordinationsbüro
A 20“ in Rotenburg (Wümme) die Arbeit vieler A 20-Gegner unterstützt. Auch legte der VCD – ebenso wie viele andere
Umweltverbände – stets greifbare Alternativen für den umweltfreundlichen Schienenverkehr vor. Die Tragik bei der A 20 liegt
nicht nur in der juristischen Niederlage vor dem Bundesverwaltungsgericht, sondern vor allem in der falschen politischen Weichenstellung.
Die Hoffnungen auf einen verkehrspolitischen Richtungswechsel durch die neue rot-grüne Bundesregierung 1998 erwies sich als ein Trugschluss:
die A 20 stand bei den selbsternannten „Reformparteien“ nie ernsthaft zur Disposition. Auch die kleinen Regierungspartner in
Kiel (Grüne) und Schwerin (PDS) konnten oder wollten sich der übermächtigen SPD nicht in den Weg stellen. Die Grünen
in Schleswig-Holstein halten sich immerhin zugute, dass sie als „Ausgleich“ die Wiederbelebung einer regionalen Bahnverbindung
von Neumünster nach Bad Segeberg durchsetzen konnten. Die PDS in Schwerin schaute eher zu, wie Personenzuglinien wegen des Baus der
A 20 stillgelegt und abgebrochen wurden. Dass CDU und FDP für weiteren Straßenbau votieren, daraus machten beiden Parteien nie
einen Hehl.
Wer glaubt, die A 20-Befürworter würden aufgrund des enormem Widerspruchs innehalten, sei entillusioniert: Nachdem die A 20
von Rostock nach Lübeck vor der Vollendung steht, wollen vor allem die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen den
zügigen Weiterbau in Richtung Westen forcieren. Als Umfahrung von Hamburg soll sie als A 22 unter der Elbe hindurch bis zum ebenfalls
bald fertig gestellten Wesertunnel bei Bremerhaven führen. Dort, so die Vorstellungen der Planer, bestünden gute Chancen für
einen Weiterbau bis zum geplanten Ems-Jade-Port in Wilhelmshaven und an die A 28 bei Oldenburg in Richtung Niederlande. Bemerkenswert in
diesem Zusammenhang: der VCD hatte schon 1992 auf diese Pläne aufmerksam gemacht und wurde von der Politik dafür milde belächelt.
„Zu unrealistisch und teuer“, lauteten die Aussagen damals. Heute, unter der rot-grünen Bundesregierung, spielt Geld für
Straßenbau offensichtlich auch angesichts knapper Kassen im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich keine große Rolle mehr.
Der VCD gibt nicht auf: Auf der Homepage des VCD-Landesverbandes Niedersachsen (www.vcd.org/nds) finden sich viele Argumente gegen
weitere Autobahnen sowie interessante Links zu Bürgerinitiativen vor Ort. In Niedersachsen ließ der VCD zehntausende von Informationsfaltblättern
zur A 20 mit Anzeigenzeitungen verteilen, um den Weiterbau schon frühzeitig mit Argumenten zu verhindern. Auch der neuen Landesregierung
in Hannover bleibt der VCD mit besseren Alternativkonzepten auf den Fersen.
Michael Frömming ist Vorsitzender des VCD Landesverbandes Niedersachsen
Informationen
Wer sich gegen die A 20/A 22 engagieren möchte, meldet sich beim VCD-Landesverband Niedersachsen, Postfach 6124,
30061, e-mail: nds@vcd.org. Infos und Argumente gegen die A 20 unter www.vcd.org/nds
Wer sich über die geplanten Projekte in seiner Umgebung informieren oder Bewertungen und Einschätzungen aus
Sicht vor Ort abgeben will, kann dies beim BUND auf der Internetseite www.bvwp.de tun
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