„Mein Papa fährt den ganzen Tag Fahrrad“, erklärt die sechseinhalbjährige
Kim den Beruf ihres Vaters. Jürgen Beling fährt Fahrrad bei Regen, Schnee und Eis, aber auch bei 35 Grad im Schatten. Als Radkurier
kennt er weder Schlechtwetter, noch Hitzefrei.
Im April 1998 gründete Beling gemeinsam mit einem Freund in Bonn das Radkurierunternehmen Radzfatz. Mittlerweile
durchschaut er den Verkehr der Stadt, kennt den Rhythmus der Ampeln. Er tritt mal kräftig in die Pedale, um noch gerade eben bei Gelb
über die Kreuzung zu flitzen, mal fährt er ganz langsam, um die nächste grüne Welle mitzunehmen. „Andauernd an
Ampeln stehen zu bleiben ist nicht nur bei Kälte unpraktisch. Ständiges Anfahren braucht unglaublich viel Muskelkraft und kostet
unnötig viel Energie“, erklärt der erfahrene Radler. Seine Energie versucht er sinnvoll über den Tag zu verteilen.
Er radelt bei normalen Fahrten so, dass es ihn nicht anstrengt. So kann er für Eilaufträge seine Reserven mobilisieren und auch
mal mit 40 km/h durch die Straßen sausen. Der Alltagsradler kommt bereits kaum noch hinterher, wenn Beling langsam fährt,
und die Kilometer, die er jährlich mit dem Rad zurücklegt, schaffen viele nicht einmal motorisiert. Im letzten Jahr waren es 24000.
Seine Leidenschaft fürs Zweirad begann, als er 1979 mit seinen Eltern in die Niederlande zog. Die holländische
Fietskultur nahm der damals 14-Jährige begeistert an. „Ich fürchte, dass man sich mit mir eine Zeit lang nur übers
Fahrradfahren unterhalten konnte“, gibt er schmunzelnd zu. In dieser Zeit sah er auch zum ersten Mal Fahrradkuriere – allerdings
im Fernsehen. „Die Kuriere schlängelten sich durch die verstopften Straßen New Yorks, und ich dachte: Klasse, es gibt also
wirklich eine Möglichkeit mit dem Fahrradfahren Geld zu verdienen“, erinnert sich Beling lebhaft an den Bericht. Das war sein
großer Traum.
Wieder in Deutschland ging er zunächst jedoch einen konventionellen Weg: Er machte Abitur, absolvierte den
Zivildienst und begann ein wirtschaftswissenschaftliches Studium in Bonn. Aber Fahrradfahren blieb wichtig für ihn. „Das war
schon immer der ruhende Pol in meinem Leben. Wenn ich sehr angespannt war, bin ich aufs Rad gestiegen.“ Seine ersten Erfahrungen als
Radkurier sammelte Beling während eines Studentenjobs. Zweieinhalb Jahre fuhr er für ein Dental Labor Gebisse, Abdrücke und
Zahnersatz durch die Stadt.
Der Traum vom Vollzeitkurier war nie ganz ausgeträumt, zumal Ende der Achziger auch in Deutschland die ersten
Fahrradkurierunternehmen gegründet wurden. „Es gab die ein oder andere Möglichkeit, mich selbständig zu machen, aber
ich glaubte lange Zeit nicht, dass Kurierfahren alleine finanziell reichen könnte,“ bemerkt der Radkurier rückblickend.
Seine große Chance kam dann 1998. „Als ein Bonner Radkurierunternehmen wegen schlechter Organisation Pleite ging und Jo, ein
guter Freund, dadurch seinen Job als Fahrer verlor, ging plötzlich alles sehr schnell. Jo kannte die Kunden, die schnell einen neuen
Kurierdienst brauchten. Das war der entscheidende Vorteil. Von einem Tag auf den anderen kündigte ich meine alte Stelle und wir gründeten
Radzfatz“, erinnert er sich an die turbulente Zeit.
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