Ab sofort zähle ich zu den Gewinnern.
Ab sofort lohnt es sich, Frau und Kind zu haben. Ab sofort fahre
ich günstig Bahn. Sagt die Deutsche Bahn AG.
Um 7.30 Uhr im Reisezentrum: Vor mir stehen nur sechs andere
Gewinner. 7.45 Uhr: Vor mir stehen nur sechs andere Gewinner.
7.55 Uhr: Vor mir stehen weiterhin sechs andere Gewinner. Zu den
Gewinnern zu gehören, dauert ganz schöne lange.
Endlich trete ich aufgeregt zum Schalter vor: Die Arme zu einem
Dreieck verschränkt (Symbol Gruppe), dann zwei Fingerpistolen
übereinander (Symbol BahnCard) und schließlich Daumen
und Zeigefinger weit auseinander gerissen (Symbol Plan und Spar
40). Die Kundenberaterin schaut mich verständnislos an. Scheinbar
hat sie nicht wie ich stundenlang vor dem Spiegel die neue DB-Indianersprache
geübt. Dann eben wie früher: „Guten Tag, bitte
eine Hin- und Rückfahrkarte für zwei Erwachsene und
ein Kind von Berlin nach Memmingen, Hinfahrt über Augsburg,
Rückfahrt über Ulm.“
„Oh nein, warum immer ich?“, stöhnt meine Kundenberaterin.
„Gleich am Morgen so etwas Schwieriges!“ Und etwas
später: „Für diese Verbindung sind keine Plan-
und Sparpreise vorhanden“. Sollten mir die Schwaben dieser
Republik wieder gezeigt haben, was eine Schnäppchenharke
ist? „Für den Regionalverkehr gibt es grundsätzlich
keine Plan- und Sparfahrkarten. Für den Regionalverkehr ist
es außerdem günstiger, wenn Sie neben der neuen auch
eine alte BahnCard haben.“ Also gut: Dann hat unsere Familie
neben Bank-, Kredit-, Bibliotheks-, Krankenkasse-, Telefon- und
Kaufhauskarten auch noch sechs BahnCards. Beim Sparen kenne ich
keine Kompromisse.
„Warum wollen Sie eigentlich beim Rückweg über
Ulm?“ In Ulm unterbreche ich die Reise und besuche meine
Schwiegereltern. „Sie dürfen die Fahrt aber nur noch
maximal 12 Stunden unterbrechen. Reicht Ihnen das?“ Allmählich
wird mir das ganze Potenzial der Preisreform der deutschen Bahn
bewusst. Doch bevor ich ins Grübeln komme, hat der Computer
für mich entschieden.
Dann eben per Einzelfahrkarten. Nach Augsburg. Nach Memmingen.
Nach Ulm. Nach Berlin. Ist in den Fahrkarten für die festgelegten
Züge die Platzreservierung schon enthalten? „Natürlich
nicht! Der Zug wird überfüllt sein wie immer“,
sagt die Dame hinterm Tresen. Aber wozu muss ich mich dann auf
einen Zug festlegen? „Damit wir Angebot und Nachfrage besser
auf einander abstimmen können.“ Und warum ist dann
der Zug überfüllt? „Weil die Nachfrage das Angebot
übersteigt.“ Ach so.
„Und wenn jemand aus der Familie erkrankt und wir die Fahrt
erst später antreten können?“, wage ich zu fragen.
„Dann geben Sie gegen 45 Euro Stornierungsgebühr ihr
Ticket zurück und kaufen eine neue Fahrkarte zum Regulärtarif.“
Ein Fieberanfall meiner Tochter für 250 Euro – Kranksein
wird wirklich immer teurer. Bevor ich noch mehr erfahre, das Zweifel
an meinem Gewinnerdasein auslöst, bezahle ich und bekomme
ein dickes Fahrkartenbündel ausgehändigt. An der langen
Schlange von hoffnungsfrohen Gewinnern entlang verlasse ich das
Kundenzentrum und hole meine Tochter von der Schule ab. Sie wartet
schon ziemlich lange.
Stephan von Dassel
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