Die „Blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl einst den Ostdeutschen versprach, drängen ins Gedächtnis angesichts
der Verheißungen des neuen Preissystems. (Fast) allen soll es besser gehen, nur wenigen schlechter. Viele Familien und viele Gelegenheits-Bahnfernfahrer
sind sicher nach wie vor von den positiven Neuerungen der Bahn überzeugt.
Was sich allerdings für die DB AG als Bumerang erweisen kann, ist die systematische Vertreibung der Pendler – Stammkunden, die
nicht selten in Abgrenzung zum Wahnsinn auf den Straßen das Hohelied auf die Eisenbahn singen.
Der fairkehr liegen zahlreiche Briefe empörter VCD-Mitglieder vor, die von zum Teil abstrusen Preiserhöhungen berichten. Dabei
liegt die Ursache oft im sogenannten „Upgrading“ der Züge. Zwischen Freiburg und Basel müssen Pendler ab Dezember
ICE fahren. Die Mehrkosten pro Jahr betragen rund 300 Euro. Zwischen Northeim und Hannover wird aus dem Interregio ein IC. Folge: 81 Prozent
Preissteigerung. Hart trifft es auch die Teilzeitpendler, die bis heute mit der BahnCard 50 ihren Fahrpreis außerhalb von Verbünden
konkurrenzfähig zu den Betriebskosten des Autos halten konnten. Mit der BahnCard 25 verbunden mit Interregio-Streichungen ergibt sich
im Extremfall eine Verdopplung der Preise. Beispiel: Die Strecke Stuttgart–Aalen wird um 102 Prozent teurer die Strecke Offenburg–Villingen
um 92 Prozent.
In Pendlerkreisen braut sich explosiver Unmut zusammen. Schon ist von Bahn-Boykott und kollektivem Zahlungsstreik die Rede. Eine Pendlergruppe
in Freiburg sammelte an einem Morgen 387 Unterschriften gegen die Verteuerung und wandte sich hilfesuchend an den VCD.
Die Forderung des VCD ist eindeutig: Erhalt der beliebten Interregiozüge sowie der BahnCard 50, mindestens auf Strecken unter 200
Kilometer.
Der zweite Knackpunkt des neuen Preissystems ist die hohe Strafgebühr für verpasste Plan&Spar-Buchungen. Der Miterfinder
des Interregio, Karl-Dieter Bodack, formuliert es so: „Das neue Preissystem schafft Juristereien statt Dienstleistungen.“ Wer
haftet, wenn die Straßenbahn Verspätung hatte? Wann haftet die Bahn selbst? Auch hier ist die Lösung des VCD klar: Deutlich
reduzierte Stornogebühr und unbürokratischere Buchungskriterien, keine Wochenendbindung, keine Hin- und Rückfahrtbindung.
Der VCD steht weiter in engem Kontakt zur DB AG und hat Einfluss: „Wir haben vor zehn Jahren die DBAG von der BahnCard überzeugt,
wir haben die BahnCard 50 für das kommende Jahr erhalten und die kinderfreundliche Gestaltung des neuen Preissystems wesentlich beeinflusst“,
sagt VCD-Referentin Annette Volkens. Der VCD setzt sich weiter beharrlich für die Interessen seiner Mitglieder bei der Bahn ein.
Michael Adler
VCD-Musterbriefaktion
In fairkehr 4/2002 rief der VCD die Leser auf, den Bahnfahrer-Profil-Test zu machen und die Ergebnisse in einem Musterbrief festzuhalten.
So sollten die individuellen Auswirkungen des neuen Bahnpreissystems deutlich werden. Test und Brief konnten bis zum 15. November auch im
Internet heruntergeladen und ausgefüllt werden.
Insgesamt rund 1600 Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer haben den Musterbrief an die VCD-Bundesgeschäftsstelle geschickt. Ergebnis: Über
90 Prozent der Teilnehmer sehen sich nach eigener Einschätzung und den Ergebnissen des VCD-Bahnfahrer-Profil-Tests als Verlierer/innen
des neuen Preissystems (93,4% werden „verlieren”, 3,4% „etwas verlieren”). Nur knapp ein Prozent wird im Mittel
keine Veränderung spüren. Deutliche Gewinner/innen waren nicht unter den Einsendern und auch diejenigen, die „etwas gewinnen”,
bleiben mit nur 0,1% verschwindend wenige.
Die überwiegende Verlierer-Mehrheit lag vor allem darin begründet, dass die Teilnehmer in der Regel allein (90%) und spontan
(83%) reisen. Wenngleich die Ergebnisse nicht als repräsentativ angesehen werden können, zeigt die Aktion dennoch deutlich: Das
neue Preissystem schafft nicht nur Gewinner, sondern auch viele Verlierer. Der VCD wird die Briefe wie angekündigt an die Abgeordneten
des Deutschen Bundestages weiterleiten, damit die Forderungen des VCD auch von der Politik gehört werden: Eine BahnCard mit 50 Prozent
Ermäßigung muss auch weiterhin erhalten bleiben und das neue Preissystem durch eine Vielzahl von Nachbesserungen attraktiver
werden.
Annette Volkens
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