Sanfter Tourismus

Der Natur auf der Spur

„Öko und Urlaub lässt sich nicht verkaufen“, ist eine gerne gehegte Überzeugung vieler Reiseveranstalter. „Man muss es nur richtig machen“, kontern die erfolgreichen Anbieter der Branche. Dazu gehören inzwischen die beiden Tourismusmarken „Fahrtziel Natur“ und „viabono“, an denen sich der VCD seit einigen Jahren beteiligt. Beide Marken setzen sich dafür ein, umweltschonende Urlaubsformen bekannter und beliebter zu machen. Beide Marken werben damit, dass der Kunde mehr bekommt und nicht etwa weniger, wenn er sich für einen ökologischen Urlaub entscheidet. Während Fahrtziel Natur dabei auf außergewöhnliche Naturerlebnisse setzt, zielt viabono darauf ab, die Umweltqualität bei Standardangeboten zu verbessern.


Foto: Ina Schulze Steinen

Kreidefelsen im Sonnenuntergang: Die berühmte Kreideküste Rügens gehört zum Nationalpark Jasmund – dem kleinsten Nationalpark Deutschlands.

 

Der „Schwarze Tod“ sitzt auf einem im Hafen vertäuten Kahn und trocknet sein Gefieder. „Schwarzer Tod“ nennen die Fischer auf Rügen die Kormorane und behaupten, sie ernährten sich ausschließlich von Aalen – natürlich am liebsten direkt aus der Reuse. Für schlechte Fänge wird der „Schwarzer Tod“ verantwortlich gemacht, und so sind die Fischer nicht gut auf die großen Wasservögel zu sprechen.

Der kleine Fischerhafen Gager liegt im Biosphärenreservat Südost-Rügen, eingebettet zwischen Wiesen und Hügeln. Auf dem Campingplatz direkt neben dem Hafen, mitten in einer Siedlung von Dauercampern, residiert der Reiseveranstalter „Seekajakreisen“. Thomas Trojan gründete das Unternehmen vor zwei Jahren mit Hilfe des Existenzgründungsprogramms „Job-Motor Biosphäre“. Das Projekt soll den Unternehmensgründern auf Rügen eine Starthilfe bieten. Bedingung für die Förderung ist ein nachhaltiges, umweltfreundliches und regionales Betriebskonzept. „Seekajakreisen“ ist daher nicht nur Reiseveranstalter, sondern auch Partner des Nationalparkamtes Rügen und offizielle Informationsstelle des Biosphärenreservates.

Um Trojan schart sich eine Gruppe von Menschen, die sich zu einem Schnupperkurs angemeldet haben und bereits in leuchtend roten Schwimmwesten stecken. „Wer von ihnen hat denn schon mal in einem Kajak gesessen?“, fragt der engagierte Jungunternehmer. Jochen hebt zögerlich den Arm. Er hat schon einige Bootstouren hinter sich, aber noch nie auf „hoher See“. „Na, dann kommen Sie mal her – Sie nehmen den Einer.“ Thomas Trojan verteilt die Gruppe auf die Boote und macht unerfahrene Landratten seetauglich. Dann schieben Trojan und sein Mitarbeiter die Kajaks an, während die Insassen mit den Händen nachhelfen und unbeholfen ins Wasser robben. Rote und gelbe Kajaks fahren im Zickzackkurs aus dem Hafenbecken. Langsam gleiten die Boote durchs Wasser. Hier im Bereich des Rügener Bodden ist die See nicht besonders tief und die Sicht reicht bis auf den Grund.

Auf halber Strecke zum gegenüberliegenden Ufer bittet Thomas die Paddler mit ihren Kajaks ein „Floß“ zu bilden. Es erfordert einige Manövrierkunst, die Kajaks Seite an Seite zu platzieren. Zur Belohnung gibt es Tee, und Trojan weist auf die Besonderheiten der Umgebung hin: „Dort drüben, Richtung Gager, seht ihr eine Hügelkette. Das sind die Zicker Berge. Das Zickersche Höft, ganz rechts, ist Kernzone des Biosphärenreservates und hat somit den gleichen Schutzstatus wie ein Nationalpark, in dem sich die Natur nach ihren eigenen Gesetzen entwickeln soll. Diesen Status hat auch die Insel Vilm, die man ganz im Westen am Horizont erkennen kann“, erklärt er.

Nach der Teepause paddelt die Gruppe weiter durch das glitzernde Wasser. Im Schilf rasten ein paar Enten. Entlang des Schilfgürtels geht es zurück zum Hafen. „Schade, ich könnte jetzt noch ewig weiter paddeln!“, seufzt Sabine, der die Kajaks am Anfang viel zu wackelig waren.

 

Foto: Valeska Zepp

Das besondere Licht ist es, das der Insel Rügen zu jeder Jahreszeit ihren einmaligen Zauber verleiht.

 

Hügel wie in der Toskana

Den Paddlern bleibt noch ein wenig Zeit sich wieder an den festen Boden unter ihren Füßen zu gewöhnen, bevor es in die Zicker Berge geht. Die karge Hügelkette bildet einen krassen Gegensatz zur feuchten Boddenlandschaft. Die braunen Grasflächen erinnern eher an die Toskana als an eine Ostseeinsel. Bei jedem Schritt scheucht der Wanderer duzende Heuschrecken auf. Vom sonnenbeschienenen Boden steigt ein intensiver, würziger Geruch auf. „Ist das nicht Oregano?“, fragt eine Frau. „Wilder Oregano wächst hier überall“, sagt Christine Kleimeier, Mitarbeiterin des Nationalparkamtes Rügen, und deutet auf eine buschige, violett blühende Pflanze. „Oregano ist eine der vielen wärmeliebenden Pflanzen, die auf den Wiesen wachsen. Im Frühsommer blühen hier sogar Orchideen.“

Am Grat der Hügelkette angekommen erzählt die Biologin, wie die Zicker Berge früher ausgesehen haben. „Vor Jahrhunderten gab es hier nur Wald. Erst durch Rodung entstand diese offene Landschaft mit den trockenen Böden. Das Gebiet wurde von kleinen Schafherden als Weideland genutzt, regelmäßig gemäht und nie gedüngt. Der Boden verarmte nach und nach und bot vielen Pflanzen- und Tierarten, die speziell an solch magere Bedingungen angepasst sind, einen neuen Lebensraum“, erklärt Kleimeier. „Würde man diese Flächen sich selbst überlassen, entstünde hier wieder dichter Wald.“

Um das zu verhindern, gehören die Wiesen zur Schutzzone Zwei des Biosphärenreservates. Diese Schutzzone umfasst Gebiete einer Kulturlandschaft, die nur durch Pflegemaßnahmen wie Entbuschung oder Beweidung erhalten werden können. Die Pflegezone unterscheidet das Biosphärenreservat vom Nationalpark, in dem sich alle Flächen ohne menschliches Zutun entwickeln sollen.

Nördlich des Biosphärenreservates auf der Halbinsel Jasmund liegt der kleinste Nationalpark Deutschlands. Er hat mit Besuchermassen zu kämpfen, die tagein tagaus nur das Eine wollen: Mit dem Bus rauf auf den Königstuhl, ein paar Fotos von der schönen Aussicht knipsen und wieder zurück ins Hotel oder an den Strand. Die Attraktion Rügens schlechthin, die Kreidefelsen Caspar David Friedrichs, sind vielen nur einen Kurztrip wert – die meisten Besucher merken überhaupt nicht, dass sie sich in einem Nationalpark befinden.

Deshalb möchten der World Wide Fund for Nature (WWF) und das Nationalparkamt Rügen mit Hilfe eines modernen Informations- und Erlebniszentrums mehr Aufmerksamkeit auf das schützenswerte Gebiet lenken. „Ich möchte nicht, wie so oft im Umwelt- und Naturschutz, ein schlechtes Gewissen erzeugen oder belehren, sondern die Neugierde der Menschen wecken und sie für die besondere Natur faszinieren“, sagt Carsten Hertwig, der Projektleiter für das neue Besucherzentrum. Bisher gibt es allerdings nur einen grauen Blechcontainer, der als Provisorium dient und an dessen Hinterausgang der Besucher einen kurzen Blick auf die Baustelle des zukünftigen Infozentrums „Stubnitzhaus“ werfen kann.

Erleben kann man trotzdem schon etwas: Durch die Stubnitz, ein in allen Grüntönen leuchtender Buchenwald auf dem Kreidekliff, ziehen sich zahllose Wege. Wenn die Sonne durch die Äste scheint, macht der aufsteigende Nebel ihre Strahlen sichtbar. Überall blitzen kleine, mit giftgrünen Wasserlinsen übersäte Tümpel zwischen den Baumstämmen.

Nur einige hundert Meter sind es von hier aus bis zum Strand – allerdings steil bergab den Kreidefelsen hinunter. Zum Glück gibt es eine Holztreppe, die in breiten Stufen durch ein kleines Tal zum Sockel des Königstuhls führt. Das Schnaufen der entgegenkommenden Wanderer übertönt Blätterrauschen und Wassergeplätscher. Erst auf den letzten Stufen öffnet sich der Wald und damit der Blick aufs Meer. Der Boden ist übersät mit schwarz-weißen Steinen. „Das sind Feuersteine“, erklärt der Nationalparkführer. „Sie sind im Kreidefelsen eingelagert. Wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie, wie sich der Feuerstein in schrägen Bahnen durch die Kreide zieht.“

Zwischen Meer und Jahrmillionen altem Gestein ist der Strand bis Sassnitz begehbar. Eine Wanderung lohnt sich – allein wegen der grandiosen Aussicht auf die weißen Kreideklippen.

 

Foto: Valeska Zepp
Toskana-Flair: Kräuter und Orchideen wachsen im kurzen Steppengras der Zicker-Berge.

 

Honeckers Urlaubsinsel

Zeugnisse vergangener Zeiten finden sich überall in der Region. Auch auf der Insel Vilm, die knapp vor der südöstlichen Küste Rügens liegt. Erich Honecker erklärte dieses Naturparadies zu seiner privaten Urlaubsresidenz. Obwohl Vilm seit 1936 unter strengem Naturschutz steht, baute sich die DDR-Führung dort ihre Feriendomizile. Heute gehört die kleine Insel zur Kernzone des Biosphärenreservates Süd-Ost Rügen. Einmal pro Tag bringt ein Schiff ab Lauterbach maximal dreißig vorangemeldete Besucher auf Vilm. Mitarbeiter der Internationalen Naturschutzakademie, einer Bildungseinrichtung des Bundesamts für Naturschutz, die in den Gebäuden der einstigen Feriensiedlung untergebracht ist, bieten täglich Führungen über die Insel.

„Ich hoffe, Sie haben festes Schuhwerk an. Der Weg ist nicht überall so aufgeräumt wie hier“, begrüßt Hans Dieter Knapp von der Akademie eine Touristengruppe. Über einen asphaltierten Weg geht es ein paar hundert Meter bergauf bis zu einer kleinen Siedlung. Die reetgedeckten Gebäude sind leuchtend gelb gestrichen und erinnern an Friesenhäuser. Dahinter beginnt der Wald. „Und welches dieser Häuschen hat Honecker bewohnt?“, fragt jemand aus der Gruppe. „Noch ist Honeckers Ferienhaus unverkennbar“, erklärt Hans Dieter Knapp. „Er ließ damals eine Schneise in den Wald schlagen, um freien Blick aufs Meer und auf das mittlerweile stillgelegte AKW Lubmin zu haben.“

Hinter den Häusern beginnt ein schmaler Pfad. Knapp führt die Gruppe in den Wald. Hier herrscht eine eigenartige Stille. Die Bäume sind riesengroß und strecken ihre knorrigen Äste in den Himmel. Spinnennetze schimmern golden zwischen den Zweigen. Die ältesten Bäume sollen über 700 Jahre alt sein. Überall stehen und liegen abgestorbene, mit Pilzen überwucherte Baumreste. Immer wieder müssen die Besucher über umgestürzte Bäume steigen. „Viele Besucher erschrecken beim Anblick der vielen toten Bäume, aber hier ist der Wald eben sich selbst überlassen“, sagt der Naturschützer. „Totes Holz gehört zu einem gesunden Wald.“

An lichten Stellen schimmert das Meer durch die Äste. Ein kurzer Trampelpfad führt zwischen Sträuchern und Bäumen zum schmalen Ufer. Zwischen den Steinen liegen kleine Muscheln und rostrote, vertrocknete Algen. Zurück im Wald steigt der Weg an und endet an einer kleinen Lichtung auf dem Kliff am Ostrand. „Vilm besitzt nahezu alle Küstenformen der südlichen Ostsee in Miniaturausgabe“, sagt Knapp. Er zeigt auf einen schmalen Sandhaken, der ins Meer ragt und erklärt, dass sich dort der Sand anlagert, der an den Kliffs von Wind und Wasser abgetragen wird. So verändert die Insel ständig ihre Lage und Form. „Das gehört dazu, wenn die Natur sich selbst überlassen wird“, erklärt er. Der Rest des Rundweges geht vorbei an Schilfröhrichten, Brombeerhecken und zurück in den Wald bis zu den gelben Häusern und zum Schiff, das bereits wartet.

Im Hafen von Lauterbach werden die Gäste von Eis- und Fischbuden empfangen. Überall gibt es Aal – die Kormorane scheinen auch für die Touristen genug übrig gelassen zu haben.

Valeska Zepp

Reiseinformationen

Täglich fahren DB NachtZüge von Stuttgart, München und Köln über Berlin nach Rügen, im Winter bis Stralsund, im Sommer auch bis Binz. Außerdem ist Rügen per Intercity von Koblenz über Köln, Hamburg und Rostock sowie mit Nahverkehrszügen erreichbar.

Infos:
www.fahrtziel-natur.de
und an allen Verkaufsstellen der DB.

Rügen hat ein dichtes Buslinien-Netz. Der Nationalpark Jasmund ist beispielsweise mit der Linie 408 von Sassnitz in ca. 20 Minuten zu erreichen.
Infos:
Rügener Personennahverkehr, Tel.: (03838) 19449

 

Mehr Informationen

  • Seekajakreisen
    Thomas Trojan,
    Zum Höft,
    18586 Rügen,
    Tel.: (0800) 73352525 oder Tel.: (038308) 34880,
    info@seekajakreisen.de
  • Naturerlebnisverein Rügen e.V
    Herwert Stetke,
    Zubzow 5a,
    18569 Trent,
    Tel.: (038309) 20126,
    www.naturerlebnis-ruegen.de
  • Nationalparkamt Rügen,
    Blieschow 7a,
    18586 Lancken-Granitz,
    www.nationalparkamt-ruegen.de
  • Der NABU-Kreisverband Rügen hat in der Broschüre „Natur & Naturkost auf Rügen Adressen von Bioläden, Hofgemeinschaften, Märkten und Obstplantagen zusammengestellt.
    Zu bestellen bei:
    NABU-Kreisverband Rügen,
    Rugardstraße 9c,
    18528 Bergen,
    Tel.: (03838) 209710

Insel Vilm
Internationale Naturschutzakademie des Bundesamtes für Naturschutz
18581 Putbus,
Tel.: (038301) 860,
ina.vilm@bfn-vilm.de

Anmeldung zu einem Ausflug auf die Insel, inklusive Führung, bei der
Reederei Lenz in Lauterbach unter
Tel.: (038301) 61896,
Gebüren für Überfahrt und Führung: 14 Euro.


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