fairkehr: Anlässlich des Elbhochwassers haben Sie gesagt, weltweit
müssten die Klimagasemissionen halbiert werden, um ihre Konzentrationen zu stabilisieren. Wieviel Auto und Flugzeug verträgt
unser Klima?
von Weizsäcker: Verkehr, wie alle Infrastruktur, ist nicht innerhalb einer Legislaturperiode
zu ändern. Das Klima verträgt nicht soviel Verkehr wie wir derzeit haben, aber es gibt keine politisch realistische Option, das
zu verändern. Um eine Verkehrswende zu einem klimaverträglichen Verkehr herbeizuführen, muss man einen Zeithorizont von 50
Jahren oder mehr ansetzen.
fairkehr: Reichen die Anreize, die Rot-Grün in den ersten vier Jahren gesetzt hat, aus und war
das das politisch Mögliche?
von Weizsäcker: Das war das politisch Mögliche, aber das reicht natürlich nicht aus. Ich habe
eine Vision, die vorläufig auch noch nicht als politisch realistisch angesehen werden kann. Dass man sich über die Parteigrenzen
hinaus mit CDU und FDP und möglichst europaweit einigt, fünf Jahrzehnte lang den Preis der ökologisch problematischen Treibstoffe
für Flugzeug, Straßenverkehr und auch nicht verkehrliche Energieträger um drei bis vier Prozent pro Jahr zu erhöhen.
fairkehr: Ist es schlauer, Prozentzahlen zu nennen statt absoluter Zahlen?
von Weizsäcker: Es ist politiknäher. Ich kann mir vorstellen, dass man einen prozentualen Preiskorridor
beschließen kann, während man einen Euro-Korridor nicht so leicht durchsetzen kann.
fairkehr: Sehen Sie Bündnispartner für Ihre Vision auch in der eigenen Partei?
von Weizsäcker: Der stärkste Widerspruch kommt aus dem Finanzministerium. Das Finanzministerium will
nur einen Steuerpfad, nicht einen Preispfad festlegen. Ein Steuerpfad wird aber im Zuge von Weltmarktschwankungen
extrem unpopulär. So wie unsere Ökosteuer im Jahr 2000, als der Rohölpreis brutal in die Höhe geschossen ist. Hätte
man einen Preispfad festgelegt, hätte man im Jahr 2000 den Öko-Aufschlag zurückgenommen. Und das gesamte Volk hätte
gesagt, das sind aber einfühlsame Politiker. Für den Finanzminister ist allerdings ein Preiskorridor schwer kalkulierbar.
fairkehr: Ein Preispfad würde festschreiben: Im Jahr 2003 kostet der Liter Sprit 1,15 Euro, im
Jahr 2004 1,20 Euro usw.?
von Weizsäcker: Ja. Ein „Korridor“ bietet mehr Spielraum. Wenn die Preise um drei bis vier Prozent
ansteigen, entspricht das der Effizienzsteigerungsraate des Gesamtsystems. Wenn die Autoflotte im Jahr etwa drei Prozent effizienter
wird und im gleichen Jahr der Benzinpreis um drei Prozent ansteigt, fährt die Flotte gleich viele Kilometer für gleich viel Euro
und die Volkswirtschaft braucht drei Prozent weniger Sprit.
fairkehr: Ist die von Ihnen geforderte Effizienzsteigerung
nicht der energetische Freibrief für das Weiterrasen wie bisher? Noch dazu mit ruhigem Umweltgewissen?
von Weizsäcker: Nein. Sie kennen die Grafik aus „Faktor Vier“, wo der Treibstoffverbrauch
pro Kopf und Jahr und der Treibstoffpreis gegenübergestellt wurden. Wir sehen eine nahezu perfekte Preiselastizität. Japan
und Italien hatten über die Jahrzehnte einen viermal so hohen Preis wie die USA und ein Viertel des Verbrauchs. Das ist weniger eine
Frage des Verbrauchs italienischer Autos als vielmehr der Infrastruktur. Und: Dies ist eine Momentaufnahme nach 50 Jahren, in denen konsequent
die Treibstoffpreise in den USA niedrig und in Japan und Italien hoch gehalten wurden. Von 1930 bis 1990 ist das einstmals führende
Eisenbahnsystem der USA kollabiert, während in Japan der Schnellzug Shinkansen erfunden wurde. Es ist damit empirisch belegt,
dass über den Preis nicht nur die Autotechnologie, sondern auch die Infrastruktur und das Verhalten angesprochen werden.
fairkehr: Die Reaktion der Verbraucher im Jahr 2000 auf die hohen Preise, nämlich weniger zu tanken,
passt also in Ihr Bild?
von Weizsäcker: Aber ja! Denken wir als nächstes an die Ingenieure bei DaimlerChrysler und Bosch. Diese
wissen dann, das geht jetzt 50 Jahre so weiter. Sie brauchen auch nicht auf einen Regierungswechsel zu hoffen, denn die Opposition
hat zugestimmt, dann müssen sie ein Supereffizienzauto bauen. Das wird dann auch zum Mega-Exporterfolg.
fairkehr: Bei aller Sympathie für Ihre Vision: Angesichts aktueller Klimaveränderungen
sind mir 50 Jahre zu lang. Ist es dann nicht längst zu spät?
von Weizsäcker: Ich bin kein Prophet. Es ist nicht auszuschließen, dass das Grönlandeis
einen Riss bekommt, und innerhalb von nur wenigen Jahren die Hälfte dieses Eispanzers abbricht. Wenn dies konkret zu befürchten
ist, werden die Bewohner von Hamburg, von den Niederlanden, von Bangladesh und von Florida eine gemeinsame, machtvolle
Lobby zu einer dramatischen Verschärfung der Klimaschutzpolitik bilden. Und dann wird politisch manches möglich
sein, was heute als vollkommen abenteuerlich gilt.
fairkehr: Das ist mir zu fatalistisch. Warum sind wir nicht in der Lage politisch präventiv
zu handeln?
von Weizsäcker: Weil die Betroffenheit eine indirekte ist. Der Unterschied zwischen der alten Umweltpolitik,
die sich im wesentlichen auf Schadstoffkontrolle bezog, und der neuen Umweltpolitik, die sich auf langfristige Gefahren bezieht, ist
der, dass bei der alten die Betroffenheit immer sofort gegeben war: die Pseudo-Krupp-Opfer, die Holzschutzmittelgeschädigten usw. Auch
die Medien haben dies im Sinne der Umwelt transportiert. Dagegen ist die Besorgnis, dass in 80 Jahren, vielleicht auch schon in 30 Jahren,
Grönland oder die Antarktis entzwei brechen, für eine Bild-Zeitung, deren Tugend die Tagesaktualität ist, nicht transportierbar.
Entsprechend ist der Politikerspielraum gering. Das ist die Realität des Politikers. Die Massenmedien sind eine reale Begrenzung
des Spielraums.
fairkehr: Kommen wir nochmal auf das Spannungsfeld Wissenschaft/Politik. Sie als ehemaliger Direktor
des Wuppertal-Instituts und Mitglied im Club of Rome wissen doch viel mehr, als sie politisch durchsetzen können. Wie halten Sie
diesen Widerspruch aus?
von Weizsäcker: Ich mag die Menschen. Auch die, die nicht meiner Meinung sind. Ich kann damit leben, dass
ein Bundeskanzler diese von mir zitierten Grenzen des Spielraumes viel stärker betont, als ich das als Wissenschaftler
tun musste. Ich bin Realist genug, um zu wissen, dass dies dennoch die beste Staatsform ist.
fairkehr: Nun ist Trittin Umweltminister, Sie sind Vorsitzender des Umweltausschusses, Reinhard Loske,
ein Mitstreiter aus Wuppertaler Zeiten ist Fraktionssprecher der Grünen. Die Ökosteuer ist dennoch per Kanzlermachtwort
vorerst gestoppt. Auf welche politische und personelle Konstellation müssen wir denn noch warten, damit Sprünge und nicht
Trippelschritte in der Umweltpolitik möglich sind?
von Weizsäcker: Die von Ihnen genannten Personen sind in unserem Land, und das wäre in allen anderen
Ländern ebenso, in einer strukturellen Minderheitensituation. Diese Minderheitensitutaion muss in eine strukturelle Mehrheitssituation
verändert werden.
Ich möchte nochmal die Grönlandbedrohung von vorhin aufgreifen. Davor gibt es natürlich noch eine Reihe von Optionen,
bis hin zu Lösungen, die keiner Bedrohung bedürfen. Ich habe mir beispielsweise von Bewohnern eines Passivhauses erklären
lassen, dass die Lebensqualität dort wesentlich höher ist, als in einem normalen Neubau. Hier sind keinerlei Einschränkungen
für Otto-Normalverbraucher nötig. Keiner muss besonders ökologisch gesonnen sein. Und trotzdem kommt um den Faktor
zehn weniger Naturverbrauch heraus. Das Spektrum der ökologischen Optionen reicht von hoher Bedrohung und hoher Bereitschaft,
das Leben radikal umzustellen bis zu Null Bedrohung, null Verhaltensänderung und doch 90 Prozent ökologischem Fortschritt.
fairkehr: Sie haben das Passivhaus genannt. Nimmt man wieder das Klimaschutzziel heran, dann fällt
auf, alle Politikfelder sind CO2-mindernd bestellt, nur der Verkehr nicht. Was können Sie als Politiker tun, damit sich an der Trägheit
des Systems etwas ändert? Insbesondere bei der SPD.
von Weizsäcker: Ich widerspreche. Es ist nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestags exzentrische
Ideen durchzusetzen. Dieses müssen die Umweltverbände oder Zeitschriften wie fairkehr und aufgeklärte Journalisten und Publizisten
in die öffentliche Diskussion bringen. Dann muss es Streitgespräche bei Sabine Christiansen geben zu solchen Themen. So trägt
man die Themen in die Politk, nicht über die Kreativitat des Umweltausschussvorsitzenden. Wenn es keine spürbare
gesellschaftliche Resonanz für ein Thema gibt, ist der Spielraum für kreative Politiker gleich Null.
fairkehr: Bei Tempolimits für deutsche Autobahnen haben Sie bei Umfragen eine Mehrheit von 80 Prozent.
von Weizsäcker: Es gibt bestimmte Tabus, die auch in unserer Fraktion nicht ganz einfach zu überwinden
sind.
Was ich sagen will, ist: Man muss von der Politik nicht in erster Linie Kreativität und Mut verlangen, sondern zuerst Glaubwürdigkeit
und Verlässlichkeit. Dies aber dann in der richtigen Richtung.
Die alte Umweltpolitik konnte von einem hierfür zuständig erklärten Umweltministerium und -ausschuss gemacht werden.
Die neue Umweltpolitik wird teilweise ind Feldern gemacht, in denen der Verkehrs-, Agrar- oder Finanzausschuss federführend ist.
Wir treten also in eine neue Phase der Umweltpolitik ein, die neue Strukturen fordert.
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