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Verkehrslärm
„Ich kann es nicht mehr hören“
Weit über die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen
fühlen sich von Verkehrslärm belästigt. Donnernde
Lastwagen, röhrende Motorräder, Pkw-Lawinen und Flugzeuglärm
stören den notwendigen Schlaf und machen den Alltag unerträglich.
Die Lärmschutzgesetzgebung hinkt Jahrzehnte hinter der Verkehrsentwicklung
her, weil Wirtschafts- und Verkehrslobby bessere Gesetze verhindern.
Mit Aktionen gegen Verkehrslärm setzt sich der VCD für
ruhigere und gesündere Lebensbedingungen ein.
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Foto: Marcus Gloger |
„Ich bin ein Gewaltopfer“, sagt Petra Hemptenmacher
von der Lärmschutzgemeinschaft Flughafen Köln/Bonn.
„Denn Lärm ist Gewalt, und Lärmopfer sind Gewaltopfer
und keine Neurotiker, die man nicht wirklich ernst nehmen muss.“
Die Chemikerin, die selbst Tag für Tag und Nacht für
Nacht vom Lärm startender und landender Flugzeuge gestört
wird, hat die kleinliche Debatte um die gesundheitlichen Folgen
der Lärmbelastung gründlich satt.
Kein Wunder, denn die Diskussion um den Lärm – um
Grenzwerte, Erkrankungsrisiken oder zumutbare Belastungen –
hat zahlreiche Absurditäten zu bieten. Lärm macht krank
– das bestreitet eigentlich keiner – aber wie? Am
einfachsten ist es noch, die direkte Schädigung des Gehörs
nachzuweisen. Wer dauerhaft einer Beschallung von über 85
Dezibel ausgesetzt ist, wird schwerhörig. Ob das allerdings
auch für besonders laute Einzelereignisse wie Tiefflüge
oder Schießgeräusche gilt und ob sich das Ohr nach
einiger Zeit nicht sogar wieder von der vorübergehenden Taubheit
erholen kann, ist nicht befriedigend geklärt.
Lärm verursacht Stress – und wer ständig Stress
hat, hat ein größeres Risiko, an einem Herz-Kreislauf-Leiden
zu erkranken. Die Lärmexperten des Umweltbundesamtes gehen
davon aus, dass 2000 Menschen pro Jahr an Herz-Kreislauf-Versagen
sterben, weil sie dauerhaft einem Lärmpegel von über
65 Dezibel ausgesetzt sind – verursacht vor allem von Autos,
Lastwagen, Zügen und Flugzeugen. Wissenschaftlich beweisen
lässt sich das kaum, weil jeder Mensch anders reagiert und
Verkehrslärm für viele nur ein Stressfaktor unter mehreren
ist. Bei vielen Menschen lassen sich nach einer Lärmbelastung
erhöhte Stresshormonwerte im Urin nachweisen – aber
eben nicht bei allen. Und selbst wenn, sagen hartgesottene Mediziner:
An Stresshormonen stirbt man nicht.
Ähnlich verläuft die Diskussion darüber, ob psychische
Probleme oder andauernde Erschöpfungszustände durch
Lärm erzeugt werden können. Die Studien belegen nur
eines: Alles ist möglich, muss aber nicht zwingend eintreten.
Lärm wird subjektiv wahrgenommen und Menschen sind unterschiedlich
empfindlich.
Krach um Fluglärmstudie
Besonders geschickt hat die Deutsche Gesellschaft für Luft-
und Raumfahrtforschung (DLR) in Köln das Problem gelöst:
Für ihre groß angelegte Schlafstudie, mit der sie die
Auswirkungen des Fluglärms untersucht, legte sie die Ansprüche
an die Probanden von vorneherein so fest, dass nur die gesündesten
und fittesten überhaupt mitmachen konnten. Empfindlichere
Bevölkerungsgruppen wie Kinder, ältere oder krankheitsanfällige
Menschen, psychisch Labile oder Schlafgestörte, die Interesse
an der Studie gezeigt hatten, wurden durch zahlreiche Tests aussortiert.
„Die ausgewählten Probanden sind nicht repräsentativ
für die Bevölkerung“, kritisiert Petra Hemptenmacher,
„Fast die Hälfte der Probanden, die an der Laborstudie
teilnehmen, ist zwischen 18 und 33 Jahre alt. Außerdem ist
die Laufzeit der Studie viel zu kurz. Langzeitfolgen werden so
nicht erfasst. Laborbedingungen sind mit den Bedingungen in der
realen Wohnumgebung nicht vergleichbar.“
Dennoch bestätigt die DLR-Studie, die bis 2003 läuft,
die besorgniserregenden Ergebnisse, auf die andere Schlafforscher
seit langem hinweisen: Zwar werde durch nächtlichen Lärm
nicht die Gesamtdauer des Schlafes reduziert, aber die Schlafphasen
verschöben sich gegeneinander, fasst Christian Maschke vom
Institut für Technische Akustik der Technischen Universität
Berlin zusammen. „Das führt vor allem dazu, dass die
für die Erholung wichtigen Tiefschlafphasen kürzer werden
oder zu bestimmten Nachtzeiten gar nicht mehr eintreten“,
sagt der Wissenschaftler.
Davon merkt der Schläfer selbst nichts, da er weiterschläft
und die Störung nicht bewusst wahrnimmt. Er ist nicht aufgewacht,
meint also, er habe „gut geschlafen“. Warum er sich
tagsüber müde und kraftlos fühlt, Konzentrationsschwierigkeiten
hat und bei der Arbeit öfter Fehler macht, kann er sich häufig
selbst nicht erklären. „Die DLR-Studie liefert ausreichend
Argumente für die Gesundheitsschädlichkeit nächtlicher
Ruhestörungen wie Verkehrslärm“, sagt Maschke.
Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen dagegen
jubelt. In einer Infoschrift stellte sie in diesem Sommer ihre
Auslegung der DLR-Studie der Öffentlichkeit vor: kaum Veränderungen
des Schlafs hinsichtlich seiner Gesamtdauer, keine vermehrte Ausscheidung
von Stresshormonen, kein Zusammenhang zwischen Lärm und Körperbewegung
im Schlaf, kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Lärm und
Leistungseinbußen, nur geringfügige Beeinträchtigung
der Befindlichkeit und der Erholung. So gelesen ist die Studie
ein Freibrief für Nachtflüge – und jede andere
Art nächtlichen Lärms – in Deutschland.
Studienleiter Alexander Samel vom Institut für Luft- und
Raumfahrtmedizin in Köln weist jegliche Verantwortung für
die gegensätzlichen Interpretationen seiner Studie von sich.
Erst wenn 2003 die letzten Feldstudien abgeschlossen seien, werde
sich sein Institut mit der Interpretation der Ergebnisse beschäftigen.
Für vorzeitige Auslegungen durch andere fühlt er sich
nicht verantwortlich.
Weil es weltweit kaum Schlafstudien gibt, die mit ähnlichem
Aufwand betrieben wurden, steht zu befürchten, dass sich
die einseitige Auslegung der DLR-Studie auch in anderen Ländern
zum K.O.-Argument gegen die Nachtruhe entwickeln wird.
Mit hilfloser Wut beobachten die vom Lärm betroffenen Menschen
diese Entwicklung. Ihr persönliches Erleben deckt sich nicht
mit den Ergebnissen der Studie und schon gar nicht mit der willkürlichen
Auslegung durch die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen.
„Der wachsende Flugverkehr frisst alle Erfolge bei der Lärmminderungstechnik
von Flugzeugen wieder auf“, sagt VCD-Lärmexperte Helmar
Pless. „Die Flugzeuge starten in immer dichterer Folge,
Nachtflugverbote werden ausgehöhlt, und das Netz an Flughäfen
wird immer dichter. Die Zahl der Menschen, die vom Fluglärm
betroffen sind, steigt rapide.“
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VCD-Workshop
– Anforderungen an eine neue Verkehrslärmgesetzgebung |
Was erwarten
Umweltverbände, Lärmbetroffene und Wissenschaft
von der nächsten Bundesregierung zum Schutz vor Straßen-,
Schienen- und Fluglärm?
Der Workshop bildet den Auftakt zu einer Veranstaltungsreihe
des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), die auf eine grundlegende
Reform der Verkehrslärmgesetzgebung abzielt. In den
Veranstaltungen soll ein Anforderungskatalog für ein
eigenständiges Verkehrslärmschutzgesetz bzw. für
eine Verschärfung der vorhandenen Gesetze und Verordnungen
erarbeitet werden.
Die Ergebnisse des Berliner Workshops sowie der thematisch
variierenden Folge-Veranstaltungen in Frankfurt/Main, Hamburg,
Düsseldorf, Bad Boll, München und Dresden sollen
der interessierten Öffentlichkeit und den Vertretern
der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen im Herbst
2003 im Rahmen eines Kongresses und eines Parlamentarischen
Abends vorgestellt werden.
Termin: Dienstag, 22. Oktober 2002, 10.30 bis 17.00 Uhr,
Katholische Akademie, Hannoversche Straße 5 b, Berlin-Mitte.
Anmeldung: VCD, Helmar Pless, helmar.pless@vcd.org,
Tel.: (0228) 98585-20. Die Teilnahme am Workshop ist kostenfrei.
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Alles halb so schlimm?
50 Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich von Straßenlärm
belästigt. 12 Millionen Menschen leben an Straßen mit
einer durchschnittlichen Lärmbelastung von über 65 Dezibel.
Weitere 15 Millionen wohnen in der Nähe der Eisenbahn und
müssen mit einer Lärmbelastung von durchschnittlich
55 Dezibel leben.
Wer in der Umgebung eines Flughafens wohnt, ist ganz arm dran:
Über 75 Dezibel beträgt der Fluglärm in der nach
Lärm definierten sogenannten „Schutzzone 1“,
der nächsten Umgebung des Flughafens. Hier dürfen keine
neuen Wohngebäude mehr entstehen. Wer schon hier wohnt, kann
eigentlich nur noch wegziehen. Die „Schutzzone 2“,
in der keine Schulen und Krankenhäuser gebaut werden dürfen,
umfasst die Wohnbereiche mit über 67 Dezibel Dauerbelastung.
In den „Schutzzonen 1 und 2“ rund um die sechzig größeren
Flughäfen in Deutschland leben Hunderttausende von Menschen.
Ihr einziger Trost: Sie haben Anspruch auf Schallschutzfenster.
Für die Anwohner von 740 weiteren Flughäfen, auf denen
jährlich jeweils bis zu 15000 Flugzeuge starten und landen
können, gibt es überhaupt keinen Anspruch auf Lärmschutz.
Genauso wie für die Menschen, die zwar keinen Flughafen vor
der Haustür haben, aber trotzdem von Tieffliegern und Hubschrauberlärm
gequält werden.
Während sich Wissenschaftler und Lärmopfer streiten,
lehnt sich die Politik zurück und wartet ab. Das zur Zeit
geltende Gesetz, das die Bürger vor Fluglärm schützen
soll, stammt von 1971 und basiert auf den Grundlagen der 60er
Jahre. „Die jetzige Gesetzeslage ist unhaltbar“, schimpft
Jörg Berkemann, Richter am Bundesverwaltungsgericht in Berlin.
„Es ist ein Skandal, dass der Gesetzgeber 40 Jahre lang
keine aktuelle Gesetzgebung hinbekommen hat.“ Im Jahr 2000
hatte Umweltminister Trittin endlich das ersehnte Fluglärmgesetz
auf den Tisch gelegt – ein Entwurf, den selbst der VCD akzeptiert
hätte. „Die geplante stufenweise Absenkung der Grenzwerte
für die Lärmschutzzonen von derzeit 75 auf 65 Dezibel
für die Schutzzone 1 und von derzeit 67 Dezibel auf 60 Dezibel
für die Schutzzone 2 hätte einen deutlichen Zuwachs
an Lebensqualität für die Anwohner bewirkt. Weitere
Pluspunkte des Entwurfes waren die stärkere Gewichtung fluglärmbedingter
Beeinträchtigungen zur Nachtzeit, die verbesserte Bürgerbeteiligung
und die Ausweitung des Anwendungsbereiches auf kleinere Flughäfen
und Militärflughäfen“, fasst Helmar Pless zusammen.
Eine Chance hatte das Papier nie. Es scheiterte schon innerhalb
der Regierungskoalition am Widerstand von Verkehrs-, Wirtschafts-
und Verteidigungsministerium. Auf 6 Milliarden Euro schätzen
Experten die Folgekosten, die der Trittin-Entwurf den privaten
Flughafenbetreibern und dem Bund als Betreiber von Militärflughäfen
verursacht hätte – Geld, das vor allem den Anwohnern
in Form von Schadenersatz und Schallschutz zugute kommen würde.
Ein deutlich verbessertes Flug- und Verkehrslärmgesetz
gehört weiterhin zu den unaufschiebbaren Pflichten der neuen
Bundesregierung. „Wir können den Steigerungsraten im
Luftverkehr nicht weiter mit einer Gesetzgebung aus den 70er Jahren
begegnen“, erklärt Albert Schmidt, verkehrspolitischer
Sprecher der Grünen im Bundestag. Neue Grenzwerte um Flughäfen
seien notwendig. Geforscht habe man genug, die Fakten lägen
auf dem Tisch. „Allerdings“, trübt er die Hoffnung
der Fluglärmopfer, „ein neues Fluglärmgesetz ist
zustimmungspflichtig im Bundesrat.“ Auch die Flughafenstandortplanung
sei Ländersache, der Bund könne nur über das Emissionsrecht
tätig werden.
Privilegien schützen
Im Verkehr kämpfen starke Lobbygruppen um den Erhalt ihrer
Privilegien. Flughafenbetreiber verdienen mehr, je mehr Flugzeuge
bei ihnen starten und landen – egal, zu welcher Tages- oder
Nachtzeit. Die Straßenspediteure, die im Flugverkehr einen
scharfen Konkurrenten haben, müssen über Nacht fahren,
um „just in time“ liefern zu können. Daher kämpfen
sie erfolgreich gegen ein Nachtfahrverbot für Lkw. Der Verband
der Reifenhersteller boykottiert seit Jahren die Einführung
des „Blauen Engel“ für lärmarme Reifen.
Auto- und Motorradhersteller sperren sich gegen die längst
fälligen Tempolimits auf deutschen Straßen und gegen
schärfere Lärmgrenzwerte für ihre Fahrzeuge. In
der Lärmfrage haben sich bisher alle Regierungen dem Druck
der Lobbyisten gebeugt – immer in der Hoffnung, dass es
der Wirtschaft nützt und Arbeitsplätze schafft.
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Foto: Marcus Gloger
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Zehn VCD-Forderungen
für mehr Ruhe |
- Ein Verkehrslärmschutzgesetz muss verkehrsbeeinflussende
Maßnahmen bzw. eine Lärmsanierung an Straßen
vorschreiben, die über den Werten von 65 Dezibel
tags und 55 Dezibel nachts liegen. Bei allen Neubau- und
Sanierungsprojekten muss der sogenannte Flüsterasphalt
Standard werden.
- Ein neues Fluglärmgesetz muss die Ermittlungs-
und Beurteilungsverfahren für Fluglärm modernisieren
und für Lärmschutzzonen bei Flughäfen Grenzwerte
von 65 Dezibel (Schutzzone 1) und 60 Dezibel (Schutzzone
2) festlegen, die auch für Regionalflughäfen,
Landeplätze und militärische Tieffluggebiete
gelten.
- Autos, Motorräder, Eisenbahnen, Schiffe und Flugzeuge
müssen durch lärmarme Reifen und Motoren wesentlich
leiser werden. Dazu bedarf es der Festlegung von schärferen
Grenzwerten und steuerlichen Anreizsystemen.
- Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h in
Ortschaften, 80 km/h auf Landstraßen und 100 km/h
auf Autobahnen bringen eine hörbare Lärmminderung
bundesweit.
- Nur ein bundesweites Nachtflugverbot und Fahrbeschränkungen
für Lkw von 24 Uhr bis 6 Uhr sichern allen Lärmopfern
den nötigen regenerativen Schlaf.
- Der wirksamste Schutz gegen Verkehrslärm ist Verkehrsvermeidung
oder -verlagerung auf lärmarme Verkehrsmittel. Attraktive,
sichere Fußwege, ein engmaschiges Radwegenetz und
gute Bus- und Bahnverbindungen sind dafür Bedingung.
- Die Lärm-Messverfahren für Straßenfahrzeuge
sind zu verbessern und realitätsnäher zu gestalten,
damit Grenzwerte auch eingehalten werden.
- Die Geräuschemissionen motorisierter Zweiräder
müssen jährlich im Rahmen einer Umweltuntersuchung
nachgeprüft werden und lärmsenkendes Fahren
wichtiger Teil der Fahrausbildung und Führerscheinprüfung
werden.
- Für besonders Lärmbetroffene an vielbefahrenen
Straßen und Schienenwegen sowie an Flughäfen
müssen wesentlich mehr öffentliche Mittel für
passiven Lärmschutz bereit gestellt werden.
- Bei Ausschreibungen von öffentlichen Verkehrsleistungen
sollten ambitionierte Lärm- und Abgasstandards zwingend
vorgegeben werden.
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Es geht um Geld
Wer über Verkehrslärm redet, redet über Geld und
nicht über Gesundheit. 3000 Arbeitsplätze führt
der Geschäftsführer des Köln/Bonner Flughafens
Wolfgang Klapdor für den Nachtflug ins Feld. Wieviel sich
Stadt und Land jeden Arbeitsplatz rund um einen Flughafen kosten
lassen und welche – leisen – Arbeitsplätze man
für das Geld sonst schaffen könnte, hat bisher noch
keiner untersucht.
„Je mehr Lebensqualität und Umwelt durch ein Verkehrsprojekt
leiden müssen, desto mehr Arbeitsplätze werden prophezeit“,
beobachtet Werner Geiss vom Arbeitskreis Luftverkehr. „Der
Flugverkehr wird zur Jobmaschine gekürt. Statt dessen entziehen
Billigflüge den strukturschwachen heimischen Ferienregionen
die Nachfrage. Die vielen Frachtflüge tragen dazu bei, dass
manuelle Produktionsprozesse in Niedriglohnländer verlagert
werden können.“ Keine von der Regierung in Auftrag
gegebene Studie hat sich bisher mit diesen Abwanderungsprozessen
beschäftigt.
Mit einem strikten Tabu belegt ist die Diskussion darüber,
wieviele Schlaflose durch einen Arbeitsplatz gerechtfertigt werden
können. Selbst wenn man glaubt, dass 3000 Arbeitsplätze
rund um den Köln/Bonner Flughafen durch Nachtflüge gesichert
werden, sind Hunderttausende in ihrem Wohlbefinden und in ihrer
Gesundheit beeinträchtigte Anwohner ein hoher Preis.
Was außerdem fehlt, sind Zahlen über die wirtschaftlichen
Schäden und Ausfälle, die durch lärmgeplagte Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer entstehen. Wer seinen Arbeitsplatz an einer Bahnlinie,
an einer lauten Straße oder in der Einflugschneise eines
Flughafens hat, muss sich mehr anstrengen, um gleiche Leistungen
zu bringen. „Wenn die Bahn kommt, muss ich Telefongespräche
unterbrechen, weil ich nichts mehr höre“, sagt Ulrich
Habbe, der bei einem IT-Unternehmen im Raum Köln arbeitet,
das direkt an der S-Bahnlinie liegt. Er kennt den Fahrplan und
ruft Kunden nur an, wenn die eine S-Bahn durch und die andere
noch fern ist. Dass ihn der Lärm in seinem ganz normalen
Arbeitsalltag beeinflusst, belegen zahlreiche Studien. „Wenn
umfangreiche Informationen aufgenommen, gespeichert, in Beziehung
gesetzt, beurteilt, nach bestimmten Kriterien abgerufen werden
müssen oder unter Zeitdruck gearbeitet wird, verlängern
sich bereits bei einem Mittelungspegel von 50 Dezibel Entscheidungszeiten,
verringert sich die gespeicherte Informationsmenge, erhöhen
sich Fehlerraten“, sagt August Schick, Professor am Institut
zur Erforschung von Mensch-Umwelt-Beziehungen in Oldenburg.
Bis zu 65 Dezibel misst IT-Fachmann Habbe bei geschlossenem
Fenster, wenn eine S-Bahn vorbeirauscht. Da er und seine Kollegen
sich beim Planen, Programmieren oder Kostenberechnen keine Fehler
erlauben können, müssen sie sich durch die Lärmbelastung
mehr anstrengen, um gute Ergebnisse zu erzielen. „Wenn ich
wirklich Ruhe brauche, um mich zu konzentrieren, arbeite ich zu
Hause“, sagt Ulrich Habbe.
Der deutsche Staat ist per Gesetz nicht nur dazu verpflichtet,
seine Bevölkerung vor „gesundheitlicher Beeinträchtigung“
zu schützen, sondern auch vor „erheblicher Belästigung“.
Beides tut er nicht. „Es beteht Einigkeit dahingehend, dass
das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm in der derzeitigen Fassung
nicht einmal den Schutz vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen
sicherstellt. Der nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG)
über die reine Gefahrenabwehr hinausreichende geforderte
Schutz vor erheblichen Belästigungen ist somit zwangsläufig
auch nicht gewährleistet“, schreiben die Lärmexperten
Jens Ortscheid und Heidemarie Wende in der Studie „Lärmwirkungen“
des Umweltbundesamts (UBA).
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VCD-Lärm-Aktions-Koffer
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Der VCD bietet
Lärmbetroffenen, VCD-Gruppen und sonstigen Initiativen
konkrete Hilfestellungen zur Lärmbekämpfung an.
So kann man beim VCD einen Lärm-Aktions-Koffer mit
einem einfach zu bedienenden Schallpegel-Messgerät
leihen, das sich zur Messung aller Verkehrslärmarten
eignet. Der Koffer enthält einen Leitfaden mit Tipps
für Aktionen gegen Lärm, Darstellungen zum Rechtsschutz,
Musteranträgen und praktischen Hinweisen zum Schallschutz
in Wohnungen. Dem Koffer liegen außerdem zahlreiche
Broschüren anderer Organisationen rund um das Thema
Lärm bei. Für Lehrkräfte bietet der VCD den
Lärm-Aktions-Koffer mit einem speziellen Sortiment
an Materialien für den Unterricht an.
Wer im Umgang mit Computern versiert ist, kann den Aktionskoffer
auch mit einem Online-Meßgerät mit Auswertungsprogramm
leihen.
VCD-Mitglieder können sich darüber hinaus fachlichen
Rat bei den Mitarbeitern der Bundesgeschäftsstelle
zu speziellen Aspekten des Verkehrslärms holen.
Bestellübersicht:
• VCD-Lärm-Aktions-Koffer, Ausleihgebühr:
20 Euro pro Woche (10 Euro für VCD-Mitglieder)
• VCD-Leitfaden zum Lärm-Aktions-Koffer, (Bestandteil
des Koffers), 5 Euro Bearbeitungs- und Versandkostenpauschale
• Faltblatt „Verkehrslärm macht krank“,
kostenfrei
• Broschüre „Lärm, die unerhörte
Plage“, Art.-Nr. 2048, 16 Seiten, Preis: 3,95 Euro
(für VCD-Mitglieder 2,45 Euro)
• Literaturliste „Unterrichtsmaterialien zum
Thema Lärm“, kostenfrei
Bestellung sowie weitere Informationen bei: VCD, Helmar
Pless oder Ruth Rottscheidt, Eifelstr. 2, 53119 Bonn (Tel.
(0228) 98585-20 oder -12, Fax: 98585-10, e-Mail: helmar.pless@vcd.org).
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Lärm vom Ministerium
„Verkehrslärm wird vom Verkehrsministerium gemacht“,
sagt Lärmschutz-Fachmann Wolf-Dietrich Kötz vom UBA
provokant. „Das Ministerium wehrt sich vehement gegen alles,
was den fließenden Verkehr stören könnte.“
Dabei wäre im Straßenverkehr mit einfachen Mitteln
und vorhandener Technik eine erhebliche Lärmreduktion zu
erreichen (siehe „Zehn VCD-Forderungen für mehr Ruhe“
S. 17).
Aber noch kann sich die Politik nicht von der Überzeugung
verabschieden, dass mehr Verkehr automatisch mehr Wirtschaftswachstum
bringt, und Lärm ein notwendiges Übel ist, das es in
Kauf zu nehmen gilt. Dabei übersehen Politiker und Wirtschaftsexperten,
welche produktive Kraft in der Stille liegt. Könnte man Deutschland
in einer Laborstudie nachstellen und ein Verkehrsfluss- mit einem
Ruhe-Modell vergleichen, wäre es wahrscheinlich das Ruhe-Modell,
das die größeren wirtschafltichen Erfolge erzielt.
Regine Gwinner |
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