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Michael Adler
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Stille – Wie lange
ist es her, dass Sie absolute Stille „gehört“
haben? Erinnern Sie sich? Es ist dieses in unseren
Zeiten schier unglaubliche Gefühl, dass die
Ohren ganz groß werden. Alles konzentriert
sich auf den einen Sinn –Hören. Und dennoch
hört man nichts. Ich habe das in Südfrankreich
in einem Dorf am Ende eines Tales in den Cevennen
zuletzt erlebt. Ein Dorf ohne Strom, tagsüber
bewohnt von Schafen, Gänsen, Katzen, Hunden
und einer Handvoll Menschen. Nachdem man lange nichts
gehört hat, nimmt man Geräusche wahr,
die sonst vom allgegenwärtigen Klangteppich
zugedeckt werden: Der Ruf einer Eule, das Flattern
der Fledermäuse, das Atmen des Menschen, der
neben einem steht. Fast ängstigt eine solche
Stille.
„Wer schreit hat Unrecht“, hält
man den notorischen Brüllern in Diskussionen
entgegen. Ruhiges Argumentieren ist deren Sache
nicht. Aber wenn alle schreien? Das Buhlen um Aufmerksamkeit
wird über die Lautstärke entschieden.
Nur wer lauter schreit, findet noch Gehör.
Die zweirädrige Rennmaschine, der tiefergelegte
Ersatz-Ferrari – beides mit Mordsauspuffrohr
und markigem Sound, die wummernden Bässe,
die den Asphalt vibrieren lassen, all das scheint
beim Jungmann genetisch programmiert. Die Hobbygärtner
in ihren Vorstadtlatifundien stehen diesen jugendlichen
Krachmachern indes kaum nach. Rasenmäher, Laubstaubsauger,
Kantenschneider und Heckenschnitt mit Kettensäge
bereiten lautstarke Freuden.
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Eng verwandt ist der Hobbygärtner dem Heimwerker.
Bohrhammer, Bandschleifer, Stichsäge, Flex und Kreissäge
erinnern an Folterwerkzeuge und wirken beim samstäglichen
Einsatz auch entsprechend. Handy, Güterzug, Straßenbahn,
ballerndes Kinderspielzeug, Flugzeug, Gedudel im Supermarkt,
biep! der Computer startet: der Klangcocktail unserer Tage
hat längst bewusstseinstrübende Qualität
angenommen. In den letzten 100 Jahren hat sich der alltägliche
Lärmpegel versiebenfacht.
Fluchtversuche sind zwecklos: Wir können wegsehen, weghören
können wir nicht. Der Krach ist überall. Und er
raubt uns menschliche Fähigkeiten. Hinhören, zuhören,
Zwischentöne erfassen fällt immer mehr Menschen
schwer. Es fehlt schlicht die Zeit dazu, der nächste
Schrei erfordert bereits wieder unsere ganze Aufmerksamkeit.
In unserer Sprache finden sich noch Relikte, die zeigen, dass
Ruhe einst eine Tugend war. Wer „die Ruhe bewahrt“,
bleibt gelassen, auch wenn’s hektisch wird. „Wir
wollen das in aller Ruhe bereden“, zeigt an, dass man
sich Zeit nehmen will, damit die Vernunft sich entfalten kann.
„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, das Sprichwort
gegen alle Quasselstrippen dieser Welt, mahnt zum Wägen
der Worte.
Der VCD wird in den nächsten drei Jahren die Eckpfeiler
einer schärferen Lärmgesetzgebung erarbeiten. Wir
können also warten, bis Krach gesetzlich verboten ist.
Wir können allerdings auch schon jetzt damit anfangen,
leiser zu sein. Legen Sie doch jede Woche oder wenigstens
jeden Monat einen Tag der Ruhe ein. Vielleicht finden Sie
gerade dann mehr Gehör. Wenn alle laut sind, fällt
der Stille auf.
Einen ruhigen Herbst wünscht Ihnen Ihr
Ihr Michael Adler
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