Mit einem befreienden Jauchzer tauche
ich kopfüber ins türkisgrüne Wasser des Lago di Santa
Croce ein. Nie werde ich dieses Glücksgefühl vergessen.
Die Salzschicht vom letzten, schweißtreibenden Anstieg löst
sich von meinem Körper, der Staub der letzten Schotterabfahrt
wird weggespült. Noch nie in meinem Leben habe ich mich leistungsfähiger
gefühlt.
Hinter mir liegen die Alpen. 400 Kilometer und 12000 Höhenmeter
haben wir auf unseren Mountainbikes überwunden. Abseits aller
Asphaltstraßen, zehn Tage im Sattel, das Gepäck auf dem
Rücken. Was vielen auf den ersten Blick unmenschlich erscheint,
wird nach vollbrachter Tat zum grandiosen Erlebnis. Spannender kann
Urlaub nicht sein. Jede Fernreise erscheint langweilig gegen die
Erfahrungen einer Alpenüberquerung.
Gut geplant
Ohne solide Vorbereitung darf keiner das Unternehmen Transalp
starten. Die genaue Routenplanung ist dabei das zentrale Element.
Wir haben Monate vorher sorgfältig Karten und Routenbeschreibungen
studiert und ein eigenes Roadbook angefertigt. Wer diese Zeit
nicht hat, vertraut besser einem Spezialreiseveranstalter. Dass
trotz Planung schnell etwas schief gehen kann, wird uns bereits
am ersten Anstieg bewusst. Wir verpassen an der Röhrlmosalm
den Abzweig in den Wanderweg und erweitern damit die erste Tagesetappe
unfreiwillig von 1600 auf 2000 Höhenmeter. Doch das Team
ist hoch motiviert, und der Trail bergab entschädigt für
zusätzliche Strapazen.
Wir folgen nicht den breiten Wegen im Tal, sondern suchen uns
ausschließlich einsame Forststraßen und solide Wanderwege.
Tosende Wasserfälle, einsame Bergseen, beschauliche
Almen nie waren wir der grandiosen Berglandschaft näher.
Mit jeder Umdrehung unserer Stollenreifen werden wir selbst mehr
zu einem Teil dieser berauschenden Natur. Ein Gefühl unbeschreiblicher
Freiheit macht sich breit. Alles, was wir zum Leben brauchen,
haben wir im Rucksack dabei.
Hart trainiert
Am zweiten Tag geht es nur bergauf. Die Weidner Hütte knapp
unterhalb des 2300 Meter hoch gelegen Geiseljochs ist das Etappenziel.
Der erste Tag steckt uns in den Knochen. Wir sind froh, dass wir
drei Monate lang konsequent trainiert haben. Konsequent treten
wir uns nach oben. Doch nach drei Stunden wird auch der leichteste
Rucksack schwer. Wir sind froh um jedes Teil, das wir nicht mitgenommen
haben. An der Hütte angekommen, genießen wir die Nachmittagssonne.
Auf der Wäscheleine baumelt nahezu die gesamte Ausrüstung.
Die Funktionskleidung ist in weniger als einer Stunde trocken.
Die Tageswanderer müssen wieder zurück ins Tal. Wir
bleiben oben. Es wird still.
Da wollen wir drüber! Begeistert und respektvoll
blicken wir vom Geiseljoch auf den vor uns liegenden Alpenhauptkamm.
Der Tuxer Gletscher ist meterhoch mit Eis und Schnee bepackt.
Der Wetterbericht meldet Gewitter. Hoffentlich werden wir nicht
naß. Harald hat andere Sorgen: Eine neugierige Kuh hat soeben
seinen verschwitzten Handschuh verspeist.
Vier Stunden später gießt es in Strömen. Dichter
Nebel macht die Orientierung schwer. Wir müssen schieben,
es ist kalt. Am Tuxerjochhaus gruppieren wir uns und unsere nassen
Kleider auf Stühlen rings um den glühenden Kanonenofen.
Durchs kleine Fenster schauen wir nach draußen. Es ist alles
weiß. Schnee im August. Wer hat behauptet, dass eine Alpenüberquerung
Spaß macht?
Am nächsten Morgen strahlt die Sonne. Die Luft ist kristallklar.
In einer halben Stunde ist der Schnee geschmolzen. Wir quälen
uns mit der ersten langen Tragepassage. Mit dem geschulterten
Bike geht es mehr als 500 Höhenmeter bergab. Doch hausgemachte
Knödel und ein warmer Apfelstrudel im Wipptal machen die
Strapazen wett.
Weit unter uns wälzen sich zwei Blechlawinen über den
Brenner. Kein Autofahrer weiß, wie schön es hier ist.
Dank des perfekten Grenzstraßennetzes müssen wir von
unserem Höhentrip nicht mehr herunter. In der Edelweißhütte
erwartet uns eine Speckbrotzeit. Mit Bärenhunger stürzen
wir uns auf alles Essbare. Morgen knacken wir unsere Königsetappe,
das 2500 Meter hohe Pfunderer Joch.
Rasante Abfahrt
Seit drei Stunden sehen wir nur noch riesige Geröllfelder
und kahlen Fels. Zu Fuß ist die Überquerung des Pfunderer
Jochs kaum zu schaffen. Das Rad bringt die Strapazen jedoch auf
ein erträgliches Maß. Für Wanderer, die hier fernab
von jeder Hilfe ein Wettersturz überrascht, hat der Alpenverein
eine winzige Schutzhütte an den Fels geklebt. Als Mountainbiker
brauchen wir den stundenlangen Abstieg nicht zu fürchten.
Auf 2500 Meter Höhe klicken wir in unsere Pedale ein und
sind nicht mehr zu stoppen. Auf einem perfekten Singletrail geht
es ins Tal. Nach 22 Kilometern und über 2000 Höhenmetern
bergab spuckt uns der Traumtrail im Pustertal wieder aus.
Kann es noch eine Steigerung geben? Und ob! Kein Gebirgszug der
Welt hat für Mountainbiker mehr Trails parat als die Alpen.
Seit Jahrhunderten dringen Menschen in die entlegendsten
Gebiete vor, bauen Straßen, Wege, erklimmen Aussichtsplätze.
So haben wir die Qual der Wahl. Zur Durchquerung der Dolomiten
entscheiden wir uns überwiegend für die Dynamite
Trails. Das sind abenteuerliche Schotterstrecken, die im
ersten Weltkrieg nicht selten direkt in den Fels geschlagen wurden.
Auf ihnen überqueren wir den 2200 Meter hohen Kronplatz und
steuern direkt in den Naturpark Fanes hinein. Selbst Hollywood
berauschte sich an dieser Kulisse. Die atemberaubendsten Szenen
aus dem Film Cliffhanger wurden in den Dolomiten und nicht in
den Rocky Mountains gedreht.
Obwohl wir mittlerweile den achten Tag im Sattel sitzen, macht
sich kein Lagerkoller breit. Im Gegenteil: Die Stärkeren
nehmen auf die Schwächeren Rücksicht. 1600 Höhenmeter
ist das maximale Tagesziel. Das kann jeder schaffen. Auch die
befürchtete Erschöpfung tritt nicht ein. Sylvia macht
dafür unsere Pulsmesser verantwortlich. Dank Pulskontrolle
fährt keiner lange im roten Bereich. Fahrtechnisch machen
wir enorme Fortschritte. Körper und Rad sind nach acht Tagen
eins und meistern gemeinsam selbst schwierigste Passagen. So setzen
die kopfgroßen Schotterbrocken auf der Abfahrt nach Cortina
allenfalls unseren Federgabeln zu. Doch auch die Räder halten
klaglos durch.
Kurz nach Cortina überrascht uns ein Gewitter. Der Zeitplan
gerät aus den Fugen. Der letzte Berg wird zur Hölle.
Wir haben die Karte falsch interpretiert. Keiner von uns kann
das Vorderrad auf dem Boden halten, der Anstieg hat stellenweise
über 25 Prozent. Die rettende Hütte kommt nicht näher.
Ausgepowert sprechen wir uns gegenseitig Mut zu. Endlich sind
wir oben. Aber die Duschen sind kalt und der Wirt betrunken. So
haben wir uns die letzte Station nicht vorgestellt. In der Nacht
fängt es wieder an zu regnen.
Nebel und Regen auch am nächsten Morgen. Doch die Landschaft
hat in dieser Stimmung ihren ganz besonderen Reiz. Der letzte
Downhill führt uns durch vergessene Täler und Dörfer.
Wasser und Schlamm setzen unseren Laufrädern und Bremsen
zu. Die Bremsbeläge schwinden wie Butter. Glücklicherweise
ist heute der letzte Tag. Zum Schlusssprint vor dem Lago di Santa
Croce reißt der Himmel auf. Straßen und Kleider dampfen
in der Schwüle des Augustnachmittags. Wir steuern geradewegs
auf den Holzsteg am Seeufer zu, reißen uns Schuhe und Trikot
vom Leib und springen mit einem befreiende Jauchzer in den See.
Tom Bierl
- Für Einsteiger:
Transalp light von Garmisch an den Gardasee:
Das Gepäck reist im Begleitfahrzeug mit. Infos
bei alpsbiketours, Tel.: (089) 5427880, www.alpsbiketours.de
Für Fortgeschrittene: Transalp extrem.
Der Summit-Club bietet drei Transalp-Varianten für
erfahrene und gut trainierte Biker an. DAV-Summit
Club, Tel: (089) 64240-0,
www.dav-summit-club.de
- Bequem über
die Alpen: Der historische, gut ausgebaute Römerweg
Via Claudia Augusta bietet eine bequeme
Alpenquerung vom Lechfeld aus durch Tirol und Südtirol
bis an die Adriaküste. Der gut ausgebaute Weg
ist auch für Familien oder Senioren geeignet.
Infos für Individualreisende unter Tel.: 0043/664/2763555,
www.viaclaudia.com.
Organisierte Radtouren auf der Via Claudia bietet
der Radreiseveranstalter eurobike, Tel.: 0043/6219/7444,
www.eurobike.at
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