Schirme sieht man wenige in den Straßen
von Dublin, obwohl das Wetter in diesen letzten Apriltagen
sämtliche Vorurteile über den irischen Frühling bestätigt.
Wahrscheinlich weil Schirme bei diesem stürmischen Wind einfach
nutzlos sind. Mit wasserdichtem Schuhwerk und mehrlagiger Outdoor-Garderobe
können aber auch empfindliche Menschen dem nass-kalten Wetter
trotzen, vorausgesetzt es stört sie nicht, schon von weitem
als unangepasste Fremde aufzufallen. Denn die Iren und ganz
besonders der weibliche Teil der Bevölkerung kleiden
sich um diese Jahreszeit bereits sommerlich. Hatte man sich nachmittags
schon über die vielen leicht bekleideten Frauen und Mädchen
im Straßenbild gewundert, steht man am Abend mit Fleecepulli
und Schnürschuhen endgültig im modischen Aus: Die Dublinerin
trägt tief dekoltierte Hemdchen und vorzugsweise Sandalen ohne
Strümpfe, im Pub wie auf der Straße scheinbar
ohne zu frieren.
Jetzt am Samstagabend gehört die Stadt dem jungen Ausgehpublikum.
Tausende sind auf den Straßen unterwegs, kaum jemand scheint
älter als 30 zu sein. Aus den Läden schallt Musik, gestylte
Bars liegen neben traditionenellen Guinness-Pubs, kleinen Restaurants,
kuriosen Läden, Galerien und Werkstätten. Wer zu dieser
Zeit durch das belebte Künstler- und Kneipenviertel Temple
Bar streift, fühlt sich von den Temperaturen einmal
abgesehen in eine lebhafte südliche Metropole versetzt.
Während ihre Vorfahren im vergangenen Jahrhundert vor Hunger
und Armut flohen, genießen die Jungendlichen heute den neu
gewonnenen Wohlstand.
Bis ins letzte Jahrhundert hinein war Irland ein Auswanderungsland.
Mitte des 19. Jahrhunderts, zu Beginn der großen Hungesnöte,
lebten noch 8,3 Millionen Iren im Land. Doch wer konnte emigrierte,
vor allem in die USA, aber auch in die europäischen Nachbarländer.
1980 zählte die Insel keine 3 Millionen Einwohner mehr. Heute
dagegen ist Irland das EU-Land mit dem größten Bevölkerungswachstum.
Während etwa in Deutschland der Altersdurchschnitt ständig
steigt, verzeichnet Irland noch einen Geburtenüberschuss. Dass
über 40 Prozent der Iren jünger als 25 Jahre alt sind,
glaubt man auf den Straßen der Hauptstadt sofort.
Dublin ist ein Dorf
Viele hier in Dublin kennen sich, sagt Emma Gorman,
die sich sichtlich freut, mal wieder in ihrer Heimatstadt ausgehen
zu können. Sie erzählt, dass für viele Iren Dublin
gar keine Großstadt sei, sondern einfach ein großes
Dorf. Emma Gorman vertritt ihr Land in der Irland Information
in Frankfurt. Wir Iren stammen alle vom Land, viele Familien
haben noch ein Haus in den Bergen oder am Meer, beschreibt
Gorman die bodenständigen Dubliner. Nördlich und südlich
der Stadt gibt es schöne Sandstrände und die Berge von
Wicklow liegen in Sichtweite.
|
Infografik: fairkehr/M.A.Vennert |
|
Einsame Täler
Mit etwas über 900 Metern sind die Wicklow Mountains nicht
spektakulär hoch, doch lockt die hügelige Gegend mit
tief eingeschnittenen Tälern, Wasserfällen, Hochmooren
und einsamen Höhenzügen. Hier gibt es noch Reste
der mächtigen Eichenwälder zu sehen, die vor Jahrhunderten
ganz Irland bedeckten. Heute fällt am stärksten auf,
dass es in Irland überhaupt keinen Wald gibt, nur wenige
Bäume, vereinzelt Neupflanzungen schnellwachsender Nadelhölzer.
Im Laufe der Jahrhunderte fiel der irische Wald vollständig
der Landwirtschaft, der britischen Armada oder den Hochöfen
in England zum Opfer.
Die meisten Ziele in den Wicklow Mountains sind von Dublin
aus mit dem Bus oder dem Auto zu erreichen. Trotzdem erschließt
sich die immer noch dünn besiedelte Gegend am eindrucksvollsten
zu Fuß. Für passionierte Wanderer ist der Wicklow Way,
Irlands erster Fernwanderweg, eine ideale Herausforderung.
Gut sechs Tage dauert die Strecke, die natürlich auch Abschnittsweise
erwandert werden kann.
Ziele für Individualisten
Ein schönes Etappenziel auf dem Weg ist die alte Klosterstadt
Glendalough. Ihre Baudenkmäler gehören zu den berühmtesten
irischen Sehenswürdigkeiten. Die Reiseführer
empfehlen, die stark frequentierten Ruinen entweder außerhalb
der Saison oder bei Regen zu besuchen. Für unseren Ausflug
trifft beides zu. Eigentlich müssten die umliegenden
Bergkuppen stärkere Luftwirbel aufhalten, doch durch
das Tal der zwei Seen bläst ein kräftiger Wind. Dunkle
Wolken, schwarz wie Guinness, ziehen auf, um sich von einem Moment
zum anderen in einen bleigrauen Wasservorhang zu verwandeln.
Im Rauschen des Regens und der Wasserfälle kann der Besucher
vielleicht am besten nachempfinden, in welcher Einsamkeit und
Entbehrung der heilige Kevin hier vor 1400 Jahren in
seiner Klosteranlage gelebt haben muss.
|
Der Rundturm von Glendalough,
der Klosterstadt des heiligen Kevin aus dem 6. Jahrhundert,
steht noch heute inmitten von Grabsteinen und Kreuzen und
überragt das ganze Tal. |
|
Wer nur die Sonne sucht, ist in Irland falsch, bringt
Emma Gorman vom Irish Tourist Board das Phänomen Wetter auf
einen einfachen Nenner. Vom Massentourismus ist Irland deshalb
weit entfernt. Individualisten und Naturliebhaber sind es, die
sich Zeit für eine Wanderung auf dem Wicklow Way nehmen.
Von dieser Spezies profitiert die Familie Coogan, über deren
Wiesen der erst vor einigen Jahren angelegte Wanderweg führt.
Die Familie betreibt auf der Kyle Farm in der Gemeinde Tinahely
eine kleine Bed&Breakfast-Pension. Ansonsten ist die Farm
ein moderner Bauernhof. Hugh Coogan hält 60 Kühe und
eine Schafherde. Einige wenige Hühner liefern die Frühstückseier
für die Gäste. Margaret Coogan kümmert sich um
den Pensionsbetrieb, von dessen Auslastung sie bei einer Tasse
Tee zufrieden berichtet. Das Geld aus der Landwirtschaft
allein reicht nicht aus, begründet Hugh Coogan den
Zuerwerb seiner Frau. Außerdem freut sich die gastfreundliche
Familie über Gäste aus aller Welt, die für einige
Tage mit auf dem Hof wohnen und dort auch essen können. Wir
sagen unseren Gästen bei der Anmeldung was sie hier erwartet:
Landleben, Einsamkeit und absolute Ruhe. Auch Familien
sind willkommen. Hier bei uns können Stadtkinder noch
sehen, wo die Milch herkommt, sagt Margaret Coogan.
|
Margaret und Hugh Coogan vermieten
Gästezimmer mit Frühstück auf ihrer Farm in
den Wicklow Mountains.
|
|
Land der Mauern
Ganz so romantisch wie Frau Coogan es sieht, geht es allerdings
nicht mehr zu. Ackerbau betreiben die Coogans schon lange nicht
mehr, weil es sich einfach nicht lohnt bei dem Wetter in Irland.
Das können die Bauern anderer EU-Länder billiger
und besser, erklärt Hugh Coogan beim Rundgang über
seinen Hof die Spezialisierung des Betriebes auf
Milchwirtschaft. Auch den Blumen- und Gemüsegarten
hat Frau Coogan aufgegeben: Ihre vier Kinder kennen als Herkunft
von Karotten und Kartoffeln auch nur noch die Gemüsetheke
im Supermarkt. Die Kyle Farm, die erst 1960 an die Strom- und
Wasserversorgung angeschlossen wurde, hat die EU-Wirklichkeit
längst eingeholt.
Über Land schlängeln sich die von Büschen und grünen
Hecken gesäumten engen Straßen an einsamen Höfen
entlang von Dorf zu Dorf. Kommt die Sonne zwischen den Wolken
hervor, leuchten gelb die Ginsterhecken. Aus losen Feldsteinen
aufgeschichtete Mauern begrenzen die Weiden und Wege. Ideales
Terrain zum Radfahren eigentlich. Doch die Kinder der Coogans
werden mit dem Auto in die sieben Kilometer entfernte Schule,
zum Sport oder zu Freunden gefahren. Der Verkehr ist einfach
zu gefährlich, begründet Frau Coogan das Radfahrverbot.
Die Straßen sind noch romantisch eng wie zu unserer
Kindheit, erklärt sie das Dilemma, die Autos und
Lastwagen fahren aber gemessen an den unübersichtichen
Wegen viel zu schnell.
Die Nationalstraßen Richtung Hauptstadt sind bereits
alle neu ausgebaut. An vielen Abfahrten und innerhalb der
Ortschaften wird gebaut. Die Iren haben Nachholbedarf und
teeren sich mit EU-Zuschüssen in die Moderne. Auch hier ist
das Land im 21. Jahrhundert angekommen.
Am Abend im Pub scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Die
Landbevölkerung trifft sich im Waggon Wheels
in Hackestown, um zu Akkordeon- und Gitarrenklängen
die alten irischen Weisen zu singen. Bis zur Last Order
um 23 Uhr fließt reichlich dunkles Guinness. Reihum tragen
die überwiegend älteren Leute ihre Lieblingslieder
vor. Viele Jugendliche sind auch dabei und feiern mit. Mein
Sohn geht gar nicht gern ins Pub, erzählt eine Mutter
mit sorgenvollem Gesicht, er sitzt nur am Computer oder
liest, sagt sie und schüttelt verständnislos den
Kopf.
Auf der Hinfahrt von Schottland nach Belfast in Nordirland hatte
die Irische See bereits ihrem Ruf alle Ehre gemacht und mit riesigen
Wellen das Abendbuffet auf dem galaktisch anmutenden Schnellkatamaran
der Stena Line kurzerhand abgeräumt. Beim Abschied
ist es nicht anders. Möglicherweise ist das der Grund,
weshalb die alten Römer nie versucht haben, Irland zu erobern.
Irland befindet sich im Aufbruch, aber eine Konstante bleibt:
das Wetter.
Uta Linnert
|
|
|
|
Anreise
Der schnellste
Weg mit Zug und Fähre nach Irland führt über
Köln nach Brüssel und dann per Eurostar durch den
Kanaltunnel nach London. Von dort aus gehts per Zug
zu den Fährhäfen an der Westküste Großbritanniens.
Von Fishguard und Holyhead aus fahren die Fähren
der Stena Line nach Rosslare oder Dublin. Information im Reisebüro
oder direkt bei: Stena Line, Schwedenkai 1, 24103 Kiel, Tel.:
(0431) 9099, eMail: info.de@stenaline.com
Touring-Busse fahren in den Sommermonaten zwei- bis dreimal
die Woche ab Stuttgart über Frankfurt und Köln nach
Dublin.
|
Irland
Information
Seit Anfang des
Jahres haben die Republik Irland und Nordirland eine gemeinsame
Tourismusvertretung: Tourism Ireland, Untermainanlage 7, 60329
Frankfurt/Main, Tel.: (069) 92318517, www.irland-ferien.de,
www.ireland.ie
Reisen im Land
Der Zugverkehr
in Irland ist auf Dublin ausgerichtet. Querverbindungen decken
Busse ab. Infos im Internet: www.irishrail.ie
Unterkunft
Beliebt und preiswert
ist in Irland die Übernachtung in familiären Bed
and Breakfast Häusern, besonders auf |
Bauernhöfen: www.irishfarmholidays.com
Kyle Farm, Margaret und Hugh Coogan:
www.kylefarm.f2s.com
Alle Adressen
der Bus-, Bahn- und Fährverbindungen hat die fairkehr
2/2002 in Zügig in Europa zusammengestellt.
www.fairkehr.de
Zum Weiterlesen
empfehlenswert
Ralf Sotscheck:
Gebrauchsanweisung für Irland, Piper Verlag,
16,80 Euro
Margit Wagner: Irland, Prestel Verlag, 24,95
Euro
|
zurück zum Inhalt
|