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Foto: Davis Ausserhofer |
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Albert Schmidt ist verkehrspolitischer
Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.
Mit ihm zog die fairkehr Bilanz der zu Ende gehenden ersten rot-grünen
Legislaturperiode. Ergebnis: Wesentliche Kurskorrekturen
sind geleistet worden, aber es bleibt noch viel zu tun.
fairkehr: Herr Schmidt, die
ersten vier Jahre rot-grüne Bundesregierung sind fast um.
Wo ist die Verkehrswende?
Schmidt: Es wäre in der
Tat vermessen, schon von einer Verkehrswende zu sprechen, aber
wir haben wesentliche Kurskorrekturen vorgenommen. Wir haben die
Investitionen für die Bahn von knapp 2,4 Milliarden Euro
auf 4,5 Milliarden gesteigert und zwar dauerhaft.
Die jüngsten Kürzungsabsichten von Finanzminister Eichel
bei den Regionalisierungsmitteln konnten wir in eine Steigerung
umwandeln mit garantierten weiteren Wachtumsraten.
Wir haben eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale
und die Ökosteuer. Erstmals seit Jahrzehnten sank in den
beiden vergangenen Jahren der Kraftstoffverbrauch in Deutschland
um ca. 6 Prozent. Auch der CO2-Ausstoß sank dadurch. Diesen
Weg müssen wir jetzt verstetigen.
fairkehr: Alles Trippelschritte
in die richtige Richtung. Aber die Ankündigung des Kanzlers
steht keine weitere Ökosteuer.
Schmidt: Vor zwei Jahren waren
es noch Trippelschritte. Heute ist es deutlich mehr. Die Ökosteuer
ist eine Erfolgsgeschichte. Harry Potter hat gezeigt, Erfolgsgeschichten
sollte man fortschreiben. Wir haben einen Rückgang im Flottenverbrauch
und in der Pkw-Fahrleistung, der ÖPNV steigt entsprechend.
Wie gehts weiter? Wir könnten auch belohnen. Wir könnten
Vergünstigungen für 3 Liter-Autos gewähren. Die
abgestufte Kfz-Steuer hat sich sehr bewährt.
fairkehr: Also trotz Kanzlerwort
gehts weiter mit der Ökosteuer?
Schmidt: Man muss jetzt nicht
in Pfennigen definieren, wie es weiter geht. Dazu ist nach der
Wahl Zeit.
fairkehr: Reden wir nicht von
Pfennigen. In der richtigen Verkehrspolitik geht es immer um Milliarden.
Schmidt: Das ist typisch sozialdemokratische
Auffassung von Verkehrspolitik, nämlich alles als Infrastrukturpolitik
zu sehen.
fairkehr: Das Verkehrsministerium
denkt doch weiter so. Ein Beispiel: Der Transrapid heißt
jetzt Metrorapid, ist aber noch genauso unsinnig.
Schmidt: Der Metrorapid lebt vor
allem im Kopf von Herrn Clement. Ich hoffe, dass er dort auch
bleibt. Die Finanzierung ist keineswegs gesichert. Man wird also
auch im Ruhrgebiet keine schwebende Straßenbahn bauen, sondern
die vorhandene Schieneninfrastruktur vernünftig ausbauen.
Die Generalüberschrift über Verkehrspolitik heißt
für mich immer noch Chancengleichheit für alle Verkehrsträger
zu schaffen. Da gehört Geld auch dazu.
fairkehr: Das aktuell bewilligte
VCD-Projekt im Auftrag des Umweltbundesamtes soll den Boden für
ein Lärmschutzgesetz bereiten. Haben Sie dieses Thema überhört?
Schmidt: Die Lärmfrage ist
in der Tat die größte inhaltliche Lücke in dieser
Legislaturperiode. Bei dem Thema wurde auch gemauert: Vom Bundesverteidigungsminister,
von Flughafenbetreibern etc. Nach dem 11. September war das Thema
völlig durch. Bei drohender Pleite von Fluggesellschaften
konnte man gegen Fluglärm nichts mehr durchsetzen.
fairkehr: Fluglärm ist
das eine, der allgegenwärtige Auto- und Schienenlärm
ist das Massenproblem.
Schmidt: Das von uns eingeführte
100 Millionen-DM-Programm gegen Schienenlärm reicht nicht.
An Lärmschutzmaßnahmen gegen Autolärm wird schon
deutlich länger gearbeitet. Aber wir brauchen wirksamere
Gesetze gegen den Lärm: Ein Verkehrslärmgesetz und ein
Fluglärmgesetz. Das muss im Koalitionsvertrag ganz oben stehen.
fairkehr: Kommen wir zu den
Perspektiven der Bahn. Die VCD-Mitglieder laufen Sturm gegen die
Bahntarifreform. In drei Jahren ist die Bahn saniert, aber keiner
fährt mehr mit.
Schmidt: Positiv wirkt die Tarifreform
für Familien und Frühbucher mit Bahncard. Das wird der
Bahnkunde schnell verstehen. Bei Regionalzügen und im Interregio
gibts ein Preisproblem. Man sollte festlegen, dass im Nahverkehr
die Bahncard mit 50 Prozent weiter gilt. Ich hoffe, dass
diese Einsicht im Unternehmen Platz greift.
Wir wollen außerdem den halben Mehrwertsteuersatz auch für
Fernverkehrstickets. Das ist in ganz Europa so. Das wird im grünen
Wahlprogramm stehen. Hier kann die Politik eingreifen, aus dem
operativen Geschäft der Bahn muss sie sich seit der Privatisierung
allerdings raushalten.
fairkehr: Wie bewerten Sie
insgesamt den Kurs der Bahn? Mehdorn streicht Interregios, konzentriert
die Bahn auf Hochgeschwindigkeitstrassen.
Schmidt: Die Streichung von Interregios
ist verkehrspolitisch falsch. Die Politik muss dafür sorgen,
dass Defizite auf IR-Linien ausgeglichen werden können. Das
haben wir mit dem neuen Regionalisierungsgesetz getan. Es gibt
100 Millionen Euro extra, um Defizite auf Interregiolinien bezuschussen
zu können. Das ist die Zahl, die die Bahn selbst immer genannt
hat. Jetzt hat es jeder Landesverkehrsminister selbst in der Hand.
Will er das Geld der Bahn einem Konkurrenzunternehmen wie der
Connex geben oder einen eigenen Regionalzug einsetzen.
Die Bahnsanierung ist ein schmerzhafter und teurer Prozess. Allein
im Nahverkehr sind für 4,5 Milliarden Euro neue Fahrzeuge
bestellt. In fünf Jahren sind die alten Silberlinge weg.
fairkehr: Glauben Sie, dass
die Lkw-Maut eine Lenkungswirkung im Güterverkehr enfaltet?
Schmidt: Ja. Die Lkw-Maut ist
eines der Schlüsselprojekte was verursachergerechte Anlastung
von Kosten angeht. Und die Gelder werden jeweils zur Hälfte
für Straßenbau und Schiene/Wasserstraßen verwendet.
Die Verfünfzehnfachung der Wegekosten im Lkw-Verkehr wird
Wirkung entfalten. Der Preis allein wirds allerdings nicht
richten. Die Bahn muss die nötige Qualität bringen.
Die privaten Güterbahnen haben einen Zuwachs von 50 Prozent.
Alle diese Bahnen machen regionale Güterverkehre, die es
nach DB-Cargo-Logik überhaupt nicht geben darf. Die Politik
muss Sorge tragen, dass die Bahn in der Fläche präsent
bleibt.
fairkehr: Die einzelnen Projekte
der rot-grünen Regierung in allen Ehren, aber fehlt es der
Verkehrspolitik in Deutschland nicht an einem Gesamtkonzept? In
unserer aktuellen fairkehr-Titelgeschichte untersuchen wir Vision
Zero. In Schweden ist die Vision von null Verkehrstoten
offizielles Regierungsprogramm. Mit hoher gesellschaftlicher Akzeptanz.
Ein ganzheitlicher Anspruch mit moralischer Legitimation.
Schmidt: Vision Zero kann als
thematische Klammer viele Einzelmaßnahmen miteinander verknüpfen.
Allerdings: Vieles von dem, was auch die Schweizer bei ihrem Ansatz
von Vision Zero planen, haben wir bereits eingeführt: 0,5
Promille-Grenze, Kreisverkehre, Sicherung für Kinder etc.
fairkehr: Bleiben trotz allem
fast 8000 Tote jedes Jahr auf der Straße. Die schwedische
Regierung legt fest, dass sie die Zahl der Toten im Verkehr bis
zum Jahr 2007 halbieren wollen. Das gewährleistet die konkrete
Überprüfbarkeit der hehren Absicht.
Schmidt: Ich glaube nicht, dass
Vision Zero die Klammer für alles bietet.
fairkehr: Haben Sie eine andere?
Schmidt: Chancengleichheit ist
das Leitmotiv einer modernen Verkehrspolitik, weil sie den Verkehr
als Markt begreift. Auto, Bahn, Fahrrad und Fußverkehr
alle müssen gleiche Chancen haben. Aber, ich gebe zu, das
ist verkehrssystematisch gedacht. Vision Zero ist wärmer,
von den Menschen her gedacht.
Alkohol- und Tempokontrollen kann man verstärken, Tempolimits
muss man wieder enttabuisieren. Wenn man das alles unter eine
Überschrift Vision Zero packt und damit das Maßnahmenbündel
als Schutz des Lebens aller begreift, dann halte ich sehr viel
davon.
fairkehr: Nochmal konkret zum
Reizthema Tempolimits. Bei Tempo 30 ist die Bundesregierung auf
der Ziellinie eingeknickt und Tempo 120 oder 130 auf Autobahnen
ist, wie Sie selbst sagen, ein Tabu.
Schmidt Für Tempo 30 Zonen
haben wir die Einführung wesentlich erleichtert und, was
das Tabu-Thema angeht: In einem zusammenwachsenden Europa wird
das Tempolimit wieder auf der Agenda stehen.
Interview: Michael Adler
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