Bis zur Brandkatastrophe vom
20. März 1999 passierten den elf Kilometer langen Montblanctunnel
jährlich zwei Millionen Fahrzeuge, mehr als vierzig
Prozent davon Lastwagen größtenteils internationaler
Transitverkehr, das heißt Vierzigtonner. Jetzt, nach drei
Jahren Reperaturzeit, ist die wichtigste Untertage-Verbindung
zwischen Frankreich und Italien wieder geöffnet worden
zunächst allerdings nur für Pkw und in einem zweiten
Schritt für Lastwagen bis 19 Tonnen, die vornehmlich der
regionalen Versorgung dienen. Den Mut, wie beim Gotthard-Tunnel
auch gleich wieder den internationalen Fernverkehr einzulassen,
hatte man nicht zurecht, wie sich im Mai zeigte: Einige
tausend Demonstranten hatten sich beiderseits des
Tunnels versammelt und die Zufahrten vollständig blockiert.
In einem dritten Schritt sollten an diesem Tag Lastwagen
bis maximal vier Achsen eingelassen werden.
Doch in drei Jahren hatte der Widerstand genügend Zeit, sich
zu formieren. Aus den 60 000 Unterschriften gegen die Rückkehr
der Lastwagen, die nach einem halben Jahr eingereicht worden waren,
sind inzwischen 260 000 geworden. Bei der Öffnung für
die Großlaster des internationalen Transitverkehrs, die
am 25. Juni stattfinden soll, wird es zum Eklat kommen.
Die Sicherheitsfrage steht allerdings nicht mehr im Zentrum der
Kritik. Der Saurier unter den alpinen Transittunneln wurde so
gründlich nachgerüstet, dass sogar der ADAC Lobeshymnen
anstimmte. Andererseits hat die Katastrophe im Gotthard-Tunnel
gezeigt, dass Großbrände auch durch sicherheitstechnische
Aufrüstung nicht auszuschließen sind.
Kritisiert wird nun der Verkehr an sich: Der Lärm und die
Abgase, die durch den alpenquerenden Gütertransport in die
Gebirgstäler kommen. In Courmayeuer sind erste Bergwälder
abgestorben, das ewige Eis am Montblanc ist bereits mit einer
giftigen Rußschicht überzogen und in Chamonix fürchtet
man, bald wieder unter der berüchtigten graugelben Smogglocke
zu verschwinden. Durch die Verwandlung unseres Lebensraums
in einen Transitkorridor für den Gütertransport sind
wir zu Geiseln internationaler Wirtschaftmächte geworden,
sagt Eligio Milano, der Sprecher der italienischen Bürgerinitiative.
Bei den Landespolitikern stößt Milano damit freilich
auf taube Ohren. In einem politischen Gebilde wie dem Aosta-Tal,
in dem die Administration Anteilseigner der Autobahngesellschaft
ist, müssen sich Verkehrsgegner keine Illusionen machen.
Mehr Hoffnung gibt es auf der französischen Seite: Die Kommunalpolitiker
des oberen Arve-Tals haben allesamt die Petition der Bürgerinitiativen
unterschrieben, die Bevölkerung steht ebenfalls dahinter
und auch Feuerwehr, Gewerkschaften und Bergführer sind schon
gegen die Rückkehr der Lastwagen auf die Straße gegangen.
Es ist dieser geschlossene Widerstand, der die Politiker in Paris
zur Zeit das Fürchten lehrt.
Unterstützung erhalten die lokalen Aktivisten von nationalen
und internationalen Umweltschutzorganisationen. Die
haben erkannt, dass der Montblanc zum Austragungsort der alles
entscheidenden Schlacht um die zukünftige Transportpolitik
werden könnte. Denn einerseits bleibt der Tunnel durch den
zu geringen Querschnitt und die steilen Anfahrtsrampen ein
Sicherheitsrisiko, und andererseits hat der Montblanc als Dach
Europas allergrößten Symbolwert.
Mehr als 140 Umweltverbände aus neun Ländern unterzeichneten
ein Manifest, das die Sperrung des Tunnels für Lastwagen
und die sofortige Abkehr von der herrschenden Transportpraxis
fordert. Zum Schutz der ökologisch sensiblen Alpentäler
und ihrer Bewohner müssten die alpenquerenden Handelsgüter
in Zukunft ausnahmslos über die Schiene rollen.
Die Alpenschützer scheinen mit dieser Forderung offene Türen
einzurennen. Denn Frankreich und Italien haben sich im letzten
Sommer auf den Bau eines Eisenbahn-Basistunnels zwischen Turin
und Lyon geeinigt. Doch frühestens 2012 dürfte
die Schnellverbindung fertig sein. Bis dahin wird sich der Güterverkehr
auf der Straße noch einmal verdoppelt haben, es sei denn,
man würde endlich die Kostenwahrheit zwischen Schiene und
Straße herstellen und europaweit eine kilometerabhängige
Schwerverkehrsabgabe einführen.
Auch mit den konkreten Reduktionsversprechungen gibt man sich
am Montblanc jetzt nicht zufrieden. Für die Lastwagen soll
eine Einbahnregelung, eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h,
und ein Mindestabstand von 70 Metern gelten. Man hat sich
für ein Dosierungssystem entschieden, das möglichst
viele Camions durchlässt, kritisiert Jan Gürke
von der Alpeninitiative. Um dies zu verhindern, scheinen die Talbewohner
jetzt zu allem bereit.
Gerhard Fitzthum
|