Nach Portugal soll die Reise gehen?
Kein Problem!, der Verkäufer im Reisebüro
hat sofort die passenden Kataloge mit Flugreisen zur Hand. Algarve?
Lissabon? Sein freundliches Lächeln erstarrt, als er
den Wunsch des Kunden vernimmt. Mit dem Zug? Ungläubiges
Staunen: Warum fliegen Sie nicht? Oder nehmen den Bus? Das
ist billiger und bequemer
Wer in Europa gerne mit
der Bahn unterwegs ist, kämpft weniger gegen widrige Umstände
als gegen Klischees und Vorurteile.
Geschwindigkeit zählt
Siegfried Klausmann vom Freiburger Reisebüro Gleisnost
relativiert solche Erlebnisse: Wie in allen Branchen gibt
es auch im Bahnreisegeschäft gute und schlechte Verkäufer,
differenziert er. Grundsätzlich sei der Zug auf dem europäischen
Kontinent nie teurer als ein vergleichbarer Flug, stellt der Fachmann
für Bahnreisen fest sofern man die Preise richtig
berechne und nicht mit Billigtickets zu unüblichen Flugterminen
vergleiche.
Auch Klausmann übt Kritik am oft geschmähten Tarifdschungel.
Er hält die derzeitigen Preissysteme selbst für Fachleute
für kaum durchschaubar. Dennoch, so urteilt er, sei beim
Bahnreisen in den letzten Jahren vieles erheblich besser geworden.
Früher etwa mussten Reservierungsanfragen in die
Nachbarländer noch per Telex geschickt werden, erläutert
der Reisebürofachmann. Manchmal hat es wochenlang gedauert,
bis eine Antwort zurückkam wenn überhaupt,
fügt Klausmann hinzu. Je entfernter das Ziel, desto schwieriger
die Reiseplanung.
Davon kann heute keine Rede mehr sein. Auch beim Bahnreisen hat
die Globalisierung Einzug gehalten: sämtliche europäischen
Fahrpläne und Tarife sind heute per Computer verfügbar,
Reservierungen sind über das Buchungssystem der Reisebüros
in Sekundenschnelle gemacht.
Hemmnis Fahrzeugtechnik
Aber was der Buchungscomputer erleichtert, macht die moderne
Fahrzeugtechnik wieder zunichte. Zwar setzt die Deutsche Bahn
AG täglich rund 320 Züge im grenzüberschreitenden
Fernverkehr ein, im Regionalverkehr sind es sogar 780 Bahnen.
Doch weil immer mehr Bahngesellschaften auf moderne Triebzüge
wie den ICE, Thalys oder Cisalpino umrüsten, ist allein schon
aus technischen Gründen die Zahl vieler europäischer
Direktverbindungen in den letzten Jahren zurückgegangen.
Die einst weit verbreiteten Kurswagen, die an verschiedene Züge
angehängt wurden und so von Hamburg bis Italien durchfuhren,
sind nahezu verschwunden. Klausmann sieht darin lediglich eine
Anpassung an die Nachfrage: Auch die meisten Bahnkunden
möchten heute schnell vorankommen. Die Erfahrungen
im Reisebüro belegten dies: Wer die Wahl habe zwischen einem
langsamen Direktzug und einer teureren ICE-Verbindung mit Umsteigen
wähle fast immer den ICE.
Die Europäische Union (EU) arbeitet auf politischer Ebene
daran, dass europäische Hochgeschwindigkeitszüge bald
direkt zwischen den Hauptstädten verkehren können. In
Brüssel versucht man, bei stetig sinkendem Verkehrsanteil
die Schiene wieder mehr in den Mittelpunkt der Verkehrspolitik
zu rücken.
Ein erster Schritt in diese Richtung wurde mit der Festlegung
der sogenannten Transeuropäischen Netze getan, erläutert
VCD-Vorstandsmitglied und Europa-Experte Paul Beeckmans. Auf speziell
festgelegten Korridoren quer durch Europa sollen Bahngleise ausgebaut
und der Verkehr merklich beschleunigt werden.
Zwar ist auf dem zunächst rund 50000 Kilometer umspannenden
Netz an den stetig wachsenden Güterverkehr gedacht, doch
mittelfristig dienen neue Schnellfahrstrecken auch dem Reiseverkehr.
Künftig werden bei Reisen innerhalb Europas immer häufiger
die Hochgeschwindigkeitszüge genutzt werden, ist sich
Beeckmans sicher.
Wenn sich in ein paar Jahren die Schnellfahrstrecken zum Netz
schließen und der französische TGV oder ein mehrsystemtauglicher
ICE 3 über Neubaustrecken in Spanien bis Barcelona, Madrid
oder Sevilla rauschen kann, wird diese Route auch für Urlauber
wieder interessanter.
Die DB schmiedet schon seit Jahren Allianzen mit den Nachbarbahnen.
Mit der Fertigstellung der Neubaustrecke Frankfurt/MainKöln
etwa wird es durchgehende ICE-Verbindungen nach Amsterdam geben.
Ab 2006 soll der französische TGV über Neubaustrecken
Südwestdeutschland erreichen. Die Fahrzeit MünchenParis
wird dann noch rund sechs Stunden betragen. Und mit der sogenannten
TEE-Rail Alliance (siehe Interview) sollen die Märkte im
Alpenraum besser erschlossen und vernetzt werden.
Insgesamt lässt die Kooperation der nationalen Bahnen aber
noch zu wünschen übrig. Auch die Zusammenarbeit in den
europäischen Eisenbahn-Verbänden gestaltet sich laut
Beeckmans eher träge. Es müsse auf europäischer
Ebene ständig Druck ausgeübt werden. Wir wollen
vor allem erreichen, dass die Fahrradmitnahme in den Zügen
eine Selbstverständlichkeit und europaweit zum Standard wird,
erläutert Beeckmans. Ein erster Erfolg ist in Sicht, die
neueste Generation der TGV-Züge wird mit Radabteilen ausgestattet.
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Immer schneller von Metropole zu Metropole:
Während der Bahnverkehr auf den Hauptstrecken beschleunigt
wird, dünnen viele europäische Länder ihre
Nahverkehrsnetze systematisch aus. |
Marktöffnung gefordert
Dass vieles für den Bahnkunden noch nicht reibungslos funktioniert,
liegt vor allem an den unterschiedlichen technischen Systemen.
Es gibt fünfzehn voneinander abgeschottete und auf
ein nationales Netz beschränkte Systeme nebeneinander,
stellte Loyola de Palacio, die für Verkehr und Energie zuständige
Vizepräsidentin der EU-Kommission fest. Solange dies so sei,
müssten alle Bemühungen für bessere Schienenverbindungen
im Sande verlaufen.
Kein Wunder also, dass von den insgesamt 20000 Zügen im
grenzüberschreitenden kombinierten Verkehr derzeit nur die
Hälfte pünktlich ist. Erst kürzlich wurde daher
von der EU-Kommission ein weiteres Maßnahmenpaket zur Verbesserung
des europaweiten Bahnverkehrs vorgelegt. Als entscheidende Schritte
werden darin die Harmonisierung der Technik und die Öffnung
der nationalen Bahnnetze bis 2006 angesehen. Zudem soll eine europäische
Eisenbahnagentur eingerichtet werden, die die Sicherheitsaspekte
und den freien Netzzugang überwacht.
Neben einheitlichen Vorschriften und Standards soll vor allem
ein gemeinsames europäisches Signal- und Sicherungssystem
(ETCS) eingeführt werden. Informationen werden künftig
per Mobilfunk direkt in den Führerstand des Zuges übertragen.
Sofern Züge für verschiedene Stromnetze tauglich sind,
können sie mit ETCS dann grenzüberschreitend verkehren.
Was im Luftverkehr selbstverständlich ist, soll auch bei
der Bahn für mehr Verkehr sorgen: Die EU will mehr Wettbewerb.
Der freie Zugang zum europäischen Schienennetz soll künftig
allen Unternehmen möglich sein, die Verkehrsdienstleistungen
anbieten möchten. Darin wird der Schlüssel zu einem
effektiveren und kundenorientierteren Bahnverkehr gesehen.
Noch sträuben sich viele nationale Bahngesellschaften
gegen eine solche Netzöffnung, sagt Beeckmans. Und
wo sie bereits vollzogen ist, versuchen allzu oft die einstigen
Monopolisten neu aufkommende Konkurrenz auszubremsen. Dabei habe
gerade in Skandinavien die Liberalisierung des Bahnverkehrs für
den Kunden sehr gute Ergebnisse gebracht. Vorbildlich verhalte
sich auch die Schweiz: Die Schweiz respektiert von allen
europäischen Ländern die EU-Gesetzgebung zum Bahnverkehr
am besten und das, obwohl sie kein EU-Mitglied ist,
betont Beeckmans.
Kritiker sehen dagegen im Zerfall der einstigen Staatsbahnen
in verschiedene Gesellschaften mehr Probleme entstehen, als gelöst
werden. Manches neue Unternehmen führt gar eigene Tarife
ein oder steigt aus elektronischen Buchungssystemen aus. Bahnexperte
Klausmann hält das für die Ausnahme: Diese Unternehmen
merken sehr bald, dass sie nur durch Kooperation auch Fahrgäste
für ihre Züge bekommen. In den meisten Fällen
interessieren sich privatisierte Verkehrsunternehmen mehr für
Kundenwünsche als bürokratisch organisierte Staatsbetriebe.
Noch ist der Weg weit zu einem europaweiten, kundenorientierten
Bahnsystem. Doch so schlecht wie die Bahn oft geredet wird,
ist sie nicht, stellt Klausmann entschieden fest. Dank moderner
Technik können heute in kürzester Zeit Fahrpläne
erstellt, Tickets gebucht oder Sitzplätze reserviert werden.
Und dies europaweit, bis in den hintersten Winkel der portugiesischen
Algarve.
Wir finden für jeden das passende Ticket und den richtigen
Zug, sagt Klausmann. Allerdings müsse für den
Kunden klar sein: Wer mit der Bahn reise, der müsse auch
gerne unterwegs sein und diese Zeit genießen wollen. Wer
nur nach einem Schnäppchen sucht, der ist tatsächlich
im Flugzeug besser aufgehoben, urteilt der erfahrene Kundenberater.
Michael Schwager
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