Reisen Sie gern?

 

Chefredakteur Michael Adler

Michael Adler

 

Die meisten Deutschen werden diese Frage mit „Ja“ beantworten. Sind Sie gerne unterwegs? Hier wird die Zustimmung schon weniger. Schnell ans Ziel oder der Weg ist das Ziel? Jedes Jahr aufs Neue hebt die Diskussion in der fairkehr-Redaktion an, welches die wichtigste Botschaft von „Zügig durch Europa“ ist. Steht das Zeitargument bei der Wahl des Urlaubsverkehrsmittels im Vordergrund? Oder ist es die andere Haltung zum Reisen, getreu dem früheren Bahnslogan „Urlaub von Anfang an“, die unsere Leser aus dem Flugzeug treibt?
Je nach Reiseziel und Reisezweck wird mal die eine, mal die andere Fraktion unser beispielloses Informationspaket preisen. Aber, mir geht es noch um etwas anderes – die Reisekultur.
Wichtig ist mir zum Beispiel die Unterbringung. Werde ich als Beförderungsfall im Transportgefäß verstaut oder finden meine grundlegenden menschlichen Bedürfnisse Berücksichtigung? Im Prinzip ist die Bahn hier dank Platz und Bewegungsfreiheit im Vorteil. Und ist doch gerade dabei, eben diesen zu verspielen. Passagiere als Stapelware in manchen Schlaf- und Liegewagen und gefaltet in den engen Sitzen der Hochgeschwindigkeitszüge fühlen sich auch nicht besser als in der Economy-Class im Flieger oder auf dem Rücksitz eines Mittelklassewagens.

 


Und kommen wir zu einem offenbar oft unterschätzten Gradmesser der Kultur auf Reisen: Wie werden Fahrgäste abgespeist? Hier ist ein rapider Kulturverfall zu diagnostizieren. Im Eurostar musste ich 1997 erstmals Menschen erleben, die in kleinen Papiertäschchen, denen einer amerikanischen Hamburgerbräterei sehr ähnlich, „schnelles Essen“ an ihren Platz trugen. Das Verzehren des Essens wird zur Nahrungsaufnahme degradiert. Es ist eng, einsam und danach der Platz voll Müll. Schneller Zug – schnelles Essen, das hielt ich schon damals für eine Gleichung, die nicht aufgeht.
Dennoch, eine Entwicklung, die bedenklich um sich greift. Im IC gibt es tatsächlich nur noch Bistrowagen, jene lauten, verrauchten Stehimbisse, wo sich Kegelclubs mit Bier und Schnaps schon mal warmtrinken.
Ein Affront gegen die guten Tischsitten auch die Papiersets der Mitropa, die neuerdings die Tische im letzten Speisewagenreservat ICE bedecken. Die seit Monaten unveränderte Speisekarte legt spätestens nach der fünften Zugfahrt den Verdacht nahe, dass hier durch Vergraulen der letzten Unverbesserlichen der Abgesang auf eine völlig unzeitgemäße Form des Speisens auf Reisen angestimmt werden soll.
Dass es anders geht, erlebe ich regelmäßig in Eurocitys aus Österreich und der Schweiz: Der Blattsalat mit Kernöl und Backhendl oder die gemischte Vorspeisenplatte – ein Gedicht. Serviert wurde das Ganze von freundlichen, kompetenten Kellnern, die den Beruf noch mit Würde ausüben, auf Stofftischdecken mit Stoffservietten. Schnelle Bewegung mit der Reisekultur im Einklang. Slow food im fast train.
Eine glückliche Hand bei Ihrer Urlaubsplanung wünscht Ihnen

Ihr Michael Adler

 
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