Nur der Genuss zählt
Nur Genuss ist nachhaltig, ist das Credo von Andrea
Arcais. Der Geschäftsführer von Slow Food Deutschland
ist überzeugt, dass der Mensch egoistisch und in erster Linie
auf sein Wohlergehen bedacht ist. Mit political correctness
allein kann man niemand für eine umweltschonende Agrarpolitik
begeistern, meint Arcais.
Daher stellen die Anhänger der Slow Food-Bewegung, die sich
für eine bessere Qualität und mehr Genuss beim Essen
und Trinken einsetzt, den Geschmack und das Aussehen von Lebensmitteln
über Prädikate wie öko oder bio.
Es ist natürlich kein Zufall, dass es häufig gerade
ökologisch produziertes Gemüse oder Gemüse aus
der Region ist, das unsere Qualitätsanforderungen erfüllt,
sagt Arcais.
Vermutlich ist es auch kein Zufall, dass an der Spitze der deutschen
Slow Food-Organisation mit Arcais ein Münsteraner italienischer
Herkunft steht. Denn in Italien ist die hohe Kunst der einfachen
Küche weit verbreitet und in vielen Regionen bis zur Perfektion
entwickelt. Sie beruht auf dem, was die Region hergibt,
und zaubert aus Getreide, Gemüse, Olivenöl, Kräutern,
Käse und Wein raffinierte Pasta-, Risotto- oder Polenta-Gerichte.
Das Besondere dabei: Konserven, Geschmacksverstärker oder
abgepackte Nahrungsmittel sind tabu. Die verwendeten Tomaten,
Bohnen oder Karotten müssen ganz frisch und gut ausgereift
sein, schön aussehen und intensiv schmecken, um den Qualitätsansprüchen
von Koch und Köchin zu genügen. Die Pasta für Tagliatelle
oder Ravioli wird frisch geknetet, ausgerollt und in Form gebracht.
Und der Käse wird nicht industriell gefertigt, sondern stammt
aus kleinen Familienbetrieben, die geschmackliche Vielfalt garantieren.
Beim Essen anspruchslos
Marc Thoma vom Bonner Hilton-Hotel bedauert, dass eine
entsprechende Esskultur in Deutschland eher die Ausnahme ist.
Der Deutsche ist anspruchsloser, was sein Essen angeht.
Daher ist das Angebot an regionaltypischen und besonders hochwertigen
Lebensmitteln auch geringer, sagt der Küchenchef. Gourmet-Köche,
die das Besondere beim Einfachen suchen, sind daher auf spezialisierte
Importfirmen angewiesen, die den in der Höhle gelagerten
korsischen Ziegenkäse oder den jahrzehnte gereiften toskanischen
Kräuteressig in alle Welt vertreiben. Das Regionale wird
kosmopolitisch und damit zum Luxusartikel, den sich nur
noch wenige leisten können.
Man nehme: Zeit
Die wichtigste Zutat beim Kochen und Essen ist die Zeit.
Aber ist das noch zeitgemäß? Wenn ich abends
um sieben von der Arbeit komme, habe ich keine Zeit mehr für
aufwendiges Kochen, stöhnt Katrin Blank. Die Buchhändlerin
ist Mutter von zwei Kindern und schon froh, wenn die überhaupt
mal was Warmes in den Bauch bekommen. Tortellini aus der Packung,
Fischstäbchen aus der Tiefkühltruhe oder Pizza vom Lieferservice
sind da nur zu oft die Gerichte der Wahl. Mit Sorgfalt einkaufen,
in Ruhe kochen und das Gekochte bewusst genießen? Dafür
bleibt höchstens am Wochenende einmal Zeit.
Ärzte sehen diesen Trend mit Sorge. Fertiggerichte enthalten
zuviel Fett und Eiweiß. Wenn sie auf Dauer einen festen
Bestandteil der Ernährung ausmachen, wird der Mensch übergewichtig
und krank. Und Psychologen wissen: Wo in Ehen oder Familien dauerhaft
das Ritual des gemeinsamen Kochens und Essens fehlt, hängt
der Haussegen schief. Je kaputter die Ehe, umso häufiger
kommt die Mikrowelle zum Einsatz (oder umgekehrt), schreibt
der Stuttgarter Spitzenkoch Vincent Klink in seinem Buch Kochkunst.
Agrarpolitik am Wendepunkt
Zeitmangel hin oder her: Antibiotika-Rückstände
in Hühnchen und Krabben, pestizidverseuchte Paprika, BSE-kranke
Rinder, gepanschter Schinken oder Tier- und Fischmehlskandale
lassen viele Menschen über ihre Ernährungsgewohnheiten
nachdenken. Ein Zeichen der Hoffnung war es, als die grüne
Spitzenpolitikerin Renate Künast im Januar 2001 den Bauernlobbyisten
Karl-Heinz Funke ablöste und das Landwirtschafts- zum Verbraucherschutzministerium
wurde. Seither stehen Agrarsubventionen und Produktionsvorschriften
auf dem Prüfstand. Die Legehennen wurden per Verordnung aus
ihren Käfigen befreit, und Öko-Landbau und regionale
Vermarktung können von staatlicher Förderung profitieren.
Aber das ist Künast noch nicht genug: Zwei klar definierte
Gütesiegel für Lebensmittel sollen dem Verbraucher bald
schon die Orientierung erleichtern. Den vielen unterschiedlichen
Öko-Auszeichnungen wurde die einheitliche und EU-weit gültige
Zertifizierung Bio nach EG-Öko-Verordnung an
die Seite gestellt. Für konventionell produzierte Lebensmittel
soll es noch in dieser Legislaturperiode das Gütesiegel QS
geben, das dem Verbraucher Qualität und Sicherheit made
in Germany garantieren soll. Zu den Kriterien gehört
nach Wunsch der Ministerin ein Verzicht auf Antibiotika und Gentechnik
bei den Futtermitteln und eine artgerechte Tierhaltung.
Außerdem arbeitet Künast darauf hin, dass bis zum
Jahr 2011 ein Fünftel aller in Deutschland produzierten Nahrungsmittel
aus ökologischem Landbau stammt.
Die Chancen für die Ministerin stehen gut, denn auch beim
Verbraucher ist Qualität im Kommen. Während Hof- und
Bioläden nach wie vor nur einen geringen Anteil am Lebensmittelgesamtumsatz
bestreiten, greifen im Supermarkt immer mehr konventionelle Esser
zu den hauseigenen Öko-Labels wie Füllhorn, Naturkind
oder Terra Pura. Bis zu 180 verschiedene Öko-Artikel stehen
in den Supermarktregalen: Milchprodukte, Gemüse, Obst, Bio-Fleisch,
Konserven und Tiefkühlkost. Das eröffnet den Öko-Bauern
und -Gärtnern neue, große Absatzmärkte, denn über
die Supermärkte gelingt es, sehr viele Menschen in den Ballungsräumen
und Großstädten mit Lebensmitteln aus ökologischem
Anbau zu versorgen.
Der Vorteil: Der Verbraucher muss sich nicht schon vor dem Gang
in den Laden für das eine oder andere Lebensmittel entscheiden.
Konventionelle und Öko-Lebensmittel stehen im Regal nebeneinander.
Sehen Öko-Pilze oder -Möhren besser aus als die Konkurrenz,
dürfen sie ruhig ein bisschen mehr kosten. Ökologisch
produzierte Lebensmittel finden unbewusst und ganz nebenbei Eingang
in viele Haushalte.
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