Politik am Küchenherd

Bis Hühnerbein oder Schweinesteak in der Pfanne landen, sind sie weit gereist. Wer sich beim Kochen für Lebensmittel aus der Region entscheidet, bekommt nicht nur das bessere Essen, er kann außerdem jeden Tag, Mahlzeit für Mahlzeit, viele hundert Kilometer Verkehr vermeiden.

Fotos: Marcus Gloger

 

Wer isst und trinkt, macht Verkehrspolitik. Denn mit der Lebensmittel-Jahresration für jeden einzelnen Bundesbürger lassen sich ohne weiteres Lastwagen füllen: 65 Kilogramm Fleisch, 91 Kilo Frischmilcherzeugnisse, 90 Kilo Gemüse, 135 Kilo Obst und Zitrusfrüchte, 224 Eier, 70 Kilo Brotgetreide, 160 Liter alkoholische und 240 Liter alkoholfreie Getränke. Dazu kommen Müsli, Marmelade, Wurst, Käse, Fisch, Schokolade, Kekse, Chips und was der Deutsche sonst noch so isst. Weitere Lastwagen fahren für die Futtermittel von Hühnern, Rindern und Schweinen, für Verpackungen und Vorprodukte und für Verarbeitungsschritte, die an unterschiedlichen Produktionsstandorten durchgeführt werden.

Jedes einzelne dieser Produkte legt – je nach Herkunftsland – hunderte oder tausende Kilometer zurück. Denn Lebensmittel gehören zu den reiselustigsten Gütern überhaupt. Bohnen aus Afrika, Lammfleisch aus Neuseeland oder Birnen aus Argentinien garantieren in Deutschland eine jahreszeitenunabhängige Rundum-Versorgung mit nahezu allen Obst-, Gemüse- und Fleischsorten.

Aber das Mehr an Möglichkeiten hat kein Mehr an Qualität und Auswahl gebracht. Globalisierung und Industrialisierung haben zu einer Vereinheitlichung des Lebensmittelmarktes geführt. Das Angebot wird von Jahr zu Jahr ärmer, und traditionelle regionale Köstlichkeiten geraten in Vergessenheit. Deshalb hat der Verein Slow Food nun eine „Arche des guten Geschmacks“ ins Leben gerufen. Auf dieser imaginären Arche sollen bedrohte Obst- und Gemüsearten, Rezepte, Käsesorten etc. erfasst und vor dem Vergessen bewahrt werden.

Auf der Arche befinden sich Gerichte wie der westfälische Lappen-Pickert oder der Pumpernickel, den kaum ein Bäcker noch im Angebot hat.

 

Nur der Genuss zählt

„Nur Genuss ist nachhaltig“, ist das Credo von Andrea Arcais. Der Geschäftsführer von Slow Food Deutschland ist überzeugt, dass der Mensch egoistisch und in erster Linie auf sein Wohlergehen bedacht ist. „Mit political correctness allein kann man niemand für eine umweltschonende Agrarpolitik begeistern“, meint Arcais.

Daher stellen die Anhänger der Slow Food-Bewegung, die sich für eine bessere Qualität und mehr Genuss beim Essen und Trinken einsetzt, den Geschmack und das Aussehen von Lebensmitteln über Prädikate wie „öko“ oder „bio“. „Es ist natürlich kein Zufall, dass es häufig gerade ökologisch produziertes Gemüse oder Gemüse aus der Region ist, das unsere Qualitätsanforderungen erfüllt“, sagt Arcais.

Vermutlich ist es auch kein Zufall, dass an der Spitze der deutschen Slow Food-Organisation mit Arcais ein Münsteraner italienischer Herkunft steht. Denn in Italien ist die hohe Kunst der einfachen Küche weit verbreitet und in vielen Regionen bis zur Perfektion entwickelt. Sie beruht auf dem, was die Region hergibt, – und zaubert aus Getreide, Gemüse, Olivenöl, Kräutern, Käse und Wein raffinierte Pasta-, Risotto- oder Polenta-Gerichte.

Das Besondere dabei: Konserven, Geschmacksverstärker oder abgepackte Nahrungsmittel sind tabu. Die verwendeten Tomaten, Bohnen oder Karotten müssen ganz frisch und gut ausgereift sein, schön aussehen und intensiv schmecken, um den Qualitätsansprüchen von Koch und Köchin zu genügen. Die Pasta für Tagliatelle oder Ravioli wird frisch geknetet, ausgerollt und in Form gebracht. Und der Käse wird nicht industriell gefertigt, sondern stammt aus kleinen Familienbetrieben, die geschmackliche Vielfalt garantieren.

Beim Essen anspruchslos

Marc Thoma vom Bonner Hilton-Hotel bedauert, dass eine entsprechende Esskultur in Deutschland eher die Ausnahme ist. „Der Deutsche ist anspruchsloser, was sein Essen angeht. Daher ist das Angebot an regionaltypischen und besonders hochwertigen Lebensmitteln auch geringer“, sagt der Küchenchef. Gourmet-Köche, die das Besondere beim Einfachen suchen, sind daher auf spezialisierte Importfirmen angewiesen, die den in der Höhle gelagerten korsischen Ziegenkäse oder den jahrzehnte gereiften toskanischen Kräuteressig in alle Welt vertreiben. Das Regionale wird kosmopolitisch – und damit zum Luxusartikel, den sich nur noch wenige leisten können.

Man nehme: Zeit

Die wichtigste Zutat beim Kochen und Essen ist die Zeit. Aber ist das noch zeitgemäß? „Wenn ich abends um sieben von der Arbeit komme, habe ich keine Zeit mehr für aufwendiges Kochen“, stöhnt Katrin Blank. Die Buchhändlerin ist Mutter von zwei Kindern und schon froh, wenn die überhaupt mal was Warmes in den Bauch bekommen. Tortellini aus der Packung, Fischstäbchen aus der Tiefkühltruhe oder Pizza vom Lieferservice sind da nur zu oft die Gerichte der Wahl. Mit Sorgfalt einkaufen, in Ruhe kochen und das Gekochte bewusst genießen? Dafür bleibt höchstens am Wochenende einmal Zeit.

Ärzte sehen diesen Trend mit Sorge. Fertiggerichte enthalten zuviel Fett und Eiweiß. Wenn sie auf Dauer einen festen Bestandteil der Ernährung ausmachen, wird der Mensch übergewichtig und krank. Und Psychologen wissen: Wo in Ehen oder Familien dauerhaft das Ritual des gemeinsamen Kochens und Essens fehlt, hängt der Haussegen schief. „Je kaputter die Ehe, umso häufiger kommt die Mikrowelle zum Einsatz (oder umgekehrt)“, schreibt der Stuttgarter Spitzenkoch Vincent Klink in seinem Buch „Kochkunst“.

Agrarpolitik am Wendepunkt

Zeitmangel hin oder her: Antibiotika-Rückstände in Hühnchen und Krabben, pestizidverseuchte Paprika, BSE-kranke Rinder, gepanschter Schinken oder Tier- und Fischmehlskandale lassen viele Menschen über ihre Ernährungsgewohnheiten nachdenken. Ein Zeichen der Hoffnung war es, als die grüne Spitzenpolitikerin Renate Künast im Januar 2001 den Bauernlobbyisten Karl-Heinz Funke ablöste und das Landwirtschafts- zum Verbraucherschutzministerium wurde. Seither stehen Agrarsubventionen und Produktionsvorschriften auf dem Prüfstand. Die Legehennen wurden per Verordnung aus ihren Käfigen befreit, und Öko-Landbau und regionale Vermarktung können von staatlicher Förderung profitieren.

Aber das ist Künast noch nicht genug: Zwei klar definierte Gütesiegel für Lebensmittel sollen dem Verbraucher bald schon die Orientierung erleichtern. Den vielen unterschiedlichen Öko-Auszeichnungen wurde die einheitliche und EU-weit gültige Zertifizierung „Bio nach EG-Öko-Verordnung“ an die Seite gestellt. Für konventionell produzierte Lebensmittel soll es noch in dieser Legislaturperiode das Gütesiegel „QS“ geben, das dem Verbraucher Qualität und Sicherheit „made in Germany“ garantieren soll. Zu den Kriterien gehört nach Wunsch der Ministerin ein Verzicht auf Antibiotika und Gentechnik bei den Futtermitteln und eine artgerechte Tierhaltung.

Außerdem arbeitet Künast darauf hin, dass bis zum Jahr 2011 ein Fünftel aller in Deutschland produzierten Nahrungsmittel aus ökologischem Landbau stammt.

Die Chancen für die Ministerin stehen gut, denn auch beim Verbraucher ist Qualität im Kommen. Während Hof- und Bioläden nach wie vor nur einen geringen Anteil am Lebensmittelgesamtumsatz bestreiten, greifen im Supermarkt immer mehr konventionelle Esser zu den hauseigenen Öko-Labels wie Füllhorn, Naturkind oder Terra Pura. Bis zu 180 verschiedene Öko-Artikel stehen in den Supermarktregalen: Milchprodukte, Gemüse, Obst, Bio-Fleisch, Konserven und Tiefkühlkost. Das eröffnet den Öko-Bauern und -Gärtnern neue, große Absatzmärkte, denn über die Supermärkte gelingt es, sehr viele Menschen in den Ballungsräumen und Großstädten mit Lebensmitteln aus ökologischem Anbau zu versorgen.

Der Vorteil: Der Verbraucher muss sich nicht schon vor dem Gang in den Laden für das eine oder andere Lebensmittel entscheiden. Konventionelle und Öko-Lebensmittel stehen im Regal nebeneinander. Sehen Öko-Pilze oder -Möhren besser aus als die Konkurrenz, dürfen sie ruhig ein bisschen mehr kosten. Ökologisch produzierte Lebensmittel finden unbewusst und ganz nebenbei Eingang in viele Haushalte.



Öko im Übergang

„Der Markt für Öko-Lebensmittel befindet sich in einer Übergangsphase“, sagt VCD-Vorstandsvorsitzender Thomas Schaller. „Das Ziel muss die Professionalisierung und die Kostensenkung bei Bioprodukten sein.“ Da der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Flächen am gesamten Agrarland in Deutschland noch verhältnismäßig gering ist, sind die Transportwege weit und die Produkte entsprechend teuer. Je höher der Anteil an ökologisch bewirtschafteten Agrarflächen wird, um so einfacher wird die Belieferung des lokalen Handels, um so kürzer werden die Wege und um so billiger werden auch die Produkte.

„Bei Agrarprodukten ist der Anteil des Verkaufspreises, der beim Hersteller verbleibt extrem klein. Häufig gerade einmal 20 Prozent“, betont Thomas Schaller. Der Rest geht an Groß- und Einzelhandel. Beim Öko-Landbau ist die Gewinnspanne für den Erzeuger meist noch erheblich geringer. Schaller, der lange Jahre Umweltbürgermeister in Heidelberg war, kennt die Chancen und Nöte der großstadtnahen Landwirtschaftsbetriebe. „Stadtnahe Agrarbetriebe sind meistens klein oder mittelständisch. Sie haben es sehr schwer in Konkurrenz zu ländlichen Großbetrieben zu bestehen. Ihre besondere Chance liegt darin, auf Öko-Landbau umzusteigen und regionale Vertriebspartnerschaften zu schließen. Zum Beispiel mit Großküchen als Abnehmer.“

Einige Städte haben den gegenseitigen Nutzen solcher Partnerschaften erkannt und schaffen selbst regional organisierte Abnahmestrukturen für ihre Öko-Bauern. „Ein Landwirt ist meistens kein Verkäufer“, sagt Schaller. „Deshalb muss die Initiative für solche Kooperationen von einer anderen Seite ausgehen. Kommunen können hier Starthilfe geben.“

Verkehr reduziert

Die Verkehrsbilanz einer Kantinen- oder Klinikmahlzeit verbessert sich erheblich, wenn die Rohstoffe dafür direkt beim benachbarten Bauern eingekauft werden. Die Evangelische Akademie Bad Boll hat die Verköstigung ihrer Gäste auf regionale Produkte umgestellt. Die 30000 Gäste, die jährlich in der Akademie verpflegt werden, bekommen seither fast ausschließlich Produkte aus der näheren Umgebung des Hauses serviert. Das durch den Lebensmitteleinkauf erzeugte Verkehrsaufkommen hat sich nach Schätzungen der Akademie seither auf etwa ein Zehntel reduziert. Die Mehrkosten für die Produkte, die weitgehend von Bio-Bauern, vom Bioland-Metzger oder aus dem Naturkostladen der Stadt stammen, sind nur unwesentlich gestiegen.

Das Hauptargument gegen regionale und ökologisch produzierte Lebensmittel ist der Preis. Bei einer Umfrage, die 1996 in katholischen Bildungshäusern stattfand, gaben 87 Prozent den Preis der Lebensmittel als Haupthindernis für eine Umstellung auf Biokost an. An zweiter Stelle folgte mit 67 Prozent der Aufwand beim Einkaufen und beim Kochen.

„Wir brauchen die Bereitschaft eines Teils der 82 Millionen Verbraucher, für Produkte höherer Qualtität aus der Region mehr auszugeben, als sie es heute tun“, betont Ministerin Künast. Qualität gibt es nicht umsonst. Aber gesundes Essen muss kein Luxus für Besserverdienende sein.

Noch liegt der Preis für Bioprodukte deutlich höher als bei konventionell produzierten Lebensmitteln. Etwas weniger teuer sind Bio-Produkte aus dem Supermarkt. Weit günstiger als im Bioladen oder Supermarkt ist es in der Regel, die der Jahreszeit entsprechenden Obst- und Gemüsesorten im Hofladen, in der Gärtnerei oder auf dem Wochenmarkt zu kaufen.

Beim Fleisch sind die Preisunterschiede gewaltig. Das wundert nicht, wenn man einen Blick auf die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Tiere wirft.

Im Ökolandbau sind wachstums- und leistungsfördernde Stoffe wie Antibiotika verboten. Ställe und Ausläufe müssen so gestaltet sein, dass die Tiere entsprechend ihren angeborenen Verhaltensweisen leben können. Käfighaltung ist nicht erlaubt. Die Ställe dürfen maximal 3000 Hühner umfassen, bei höchstens sechs Tieren pro Quadratmeter. Dazu kommen ein überdachter Auslauf und ein Grünauslauf.

Ganz anders bei der konventionellen Massenaufzucht: Hier werden die Hühnchen in fünf Wochen von der Geburt zur Schlachtreife von 1,6 Kilogramm gemästet. Zwanzig Tiere teilen sich einen Quadratmeter, 25000 einen Stall. Der scharfe Geruch des ammoniakhaltigen Hühnerkots schädigt die Atemwege der Tiere. Ohne Beruhigungsmittel und Antibiotika würden sie die Zeit nicht durchstehen. Preisvorteil? Nur der Genuss ist nachhaltig. Für dieses Hühnerleiden ist jede Mark zu viel.

Regine Gwinner


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