Volle Kanone

Nirgendwo sonst in Europa werden Klimaveränderungen so deutlich wie im sensiblen Ökosystem der Alpen. Der Trend ist eindeutig: Es wird wärmer.


Klimaforscher prognostizieren, dass in Höhenlagen unterhalb von 1500 Metern schon bald wegen Schneemangels kein Skifahren mehr möglich sein wird und es noch häufiger zu schneearmen Wintern kommt als heute. Die Wintersportorte in den Alpen rüsten gegen diese Szenarien auf: Wirtschaftlich vom Skitourismus abhängig, versuchen sie durch künstliche Beschneiung mit Schneekanonen die Wintersaison zu retten – und schaffen damit das Unmögliche: Ski und Rodel gut, alle Lifte und Pisten in Betrieb. Uta Linnert auf Probefahrt im österreichischen Defereggental.

Fotos: Uta Linnert

Verkehrte Welt: Während die Skifahrer im Lift die Sonne genießen, kommt der Neuschnee von unten aus der Kanone.

 

Schon an der Art wie sie morgens zum Lift kommen, kann er sie erkennen, wie sie ihre Skier und Stöcke tragen, wie sie in den starren Schuhen über die vereiste Rampe laufen, wie sie in die Bindung steigen. „Wir sehen sofort, ob da ein guter Skifahrer kommt oder nicht“, erklärt der Profi bei der Anmeldung zum Skiunterricht die Einteilung der Klassen. Wie also treffe ich am ersten Morgen meinen Skilehrer ohne mich gleich zu enttarnen? Eigentlich egal – die ersten Schwünge auf der frisch präparierten Piste bringen es ohnehin an den Tag: So gut wie Bertl werde ich nie.

Bertl Gasser ist seit zehn Jahren staatlich geprüfter Skilehrer in seinem Heimatdorf und auf den Pisten von St. Jakob aufgewachsen. Die 3000-Einwohner-Gemeinde hat sich mit den Nachbardörfern St. Veit und Hopfgarten zur Urlaubsregion Defereggental zusammengeschlossen. Abseits der großen und bekannten Skigebiete wirbt das Osttiroler Tal mit intakter Natur, urigen Bergdörfern, erschwinglichen Preisen und 34 Kilometern familienfreundllichen Abfahrten – vor allem aber mit „absoluter Schneesicherheit“ von Anfang Dezember bis Ende April.

Kanten und Carven

Die schönsten Pisten können die Wintersportler jedoch nicht locken, wenn die weiße Pracht ausbleibt. Also hat man sich in St. Jakob dieser Sorge entledigt. Selbst wenn es, wie in diesem Winter, so gut wie gar nicht schneit, ist im Deferggental Skifahren garantiert. St. Jakob besitzt die modernste Beschneiungsanlage, die sich derzeit auf dem Markt befindet. Sechs bis zehn computergesteuerte Schneekanonen sind dabei im Einsatz. „Ein schönes Winterangebot geht auch ohne Schnee von oben“, verkündet Gerald Hauser, Vorsitzender des Touristenverbandes stolz, „wir haben jetzt ordentlich beschneit und alle Pisten sind in tadellosem Zustand.“

Stimmt. Großzügig breit und plattgewalzt, wie es der wenig trainierte Städter am liebsten hat, glitzern die Pisten in der Sonne. Beste Vorraussetzungen, sich von Bertl die richtige Belastung des Talskis, das Kanten und Carven zeigen zu lassen – oder einfach in der Spur des dynamischen Fahrers talwärts zu schwingen. Nur wenige Skifahrer sind jetzt im Januar unterwegs, Wartezeiten an den Liften gibt es keine.

„Seit Mai hatten wir praktisch keinen Niederschlag mehr“, beklagt der Skilehrer das schöne Wetter, das die Einheimischen langsam nicht mehr sehen können. Den Skifahrern gefällt’s: Strahlend blauer Himmel, während es in Deutschland den ganzen Winter grau in grau ist. Die Nordwesthänge und das schattige Dorf unten im Tal haben die zehn Zentimeter Naturschnee als Winterdekoration halten können, auf den Südhängen leuchten Zirbelwälder und Matten golden wie im Oktober. Unter uns röhren die Schneekanonen während wir uns angenehm im Sessellift nach oben schaukeln lassen.

Der Preis, den die Gemeinde für diesen Skispaß aus der Kanone zahlt, ist hoch. Mit 40000 Euro monatlich schlägt allein die Stromrechnung für die Beschneiung der Pisten in St. Jakob zu Buche. Kommen noch die Kosten für das Personal hinzu, das den Maschinenpark bedient. „Wasser haben wir zum Glück genug, das liefert uns der Bach“, redet sich Tourismusvorstand Hauser die Misere schön. Dieser Bach muss sich einiges gefallen lassen: Erst speist er im Tal das E-Werk, dann wird sein aufgewärmtes Wasser auf Null Grad runtergekühlt, keimfrei gereinigt, auf den Berg gepumpt und unter hohem Druck durch die Kanonen gejagt, um sich dabei schließlich in pudrige Schneeflocken zu verwandeln.

 
Schneeraupen und fahrbare Schneekanonen sorgen für optimale Pistenverhältnisse.

 

Ohne Schnee kein Wintertourismus?

Vor Jahren setzten die Gemeinden Schneekanonen nur zum Ausbessern an stark befahrenen Pistenabschnitten ein. Beschneit wurde diskret am Abend, wenn die Skifahrer sich beim Après-Ski vergnügten. In Wintern wie dieses Jahr laufen die Kanonen rund um die Uhr, weil sie den natürlichen Schneefall komplett ersetzen müssen. Nachts rücken dann die Pistenraupen aus, um die auf Halden geschneite Pracht zu verteilen. Im gleißenden Licht ihrer Halogenlampen, Baggerschaufel vorne und Schnee-Egge am Heck, verwandeln die High-tech-Fahrzeuge die Abfahrten auf den Almböden Spur für Spur wieder in makellose Schneeautobahnen. Kaum vorstellbar, dass die Gemeinde sich solch einen gigantischen Aufwand mehrere Jahre hintereinander leisten könnte.

Ähnlich wie im Defereggental sieht es diesen Winter auf der gesamten Alpensüdseite aus. Der Schnee bleibt aus. Und das schlägt unmittelbar auf die Wirtschaft durch: Das Defereggental erzielt den Großteil seiner Tourismuseinnahmen im Winter – und alle Einwohner sind mittlerweile in irgendeiner Form vom Fremdenverkehr abhängig. Dass aufgrund der Klimaerwärmung in Zukunft vieles anders sein könnte als heute, daran mag hier niemand denken. „Ohne Schnee gibt es keinen Wintertourismus“, bringt es Andreas Kleinlercher, Geschäftsführer der Bergbahnen, auf den Punkt. Zwar biete das Tal auch Rodeln, Eislaufen oder Winterwandern an, 95 Prozent aller Gäste im Winter wollten aber Ski- oder Snowboardfahren.

 
Meine Skier, mein Skipass, mein Skilehrer: Winterurlauber im Defereggental wollen in erster Linie Skifahren.

 

Ausgebuchter Lieblingslehrer

Der seit Jahren wogende Streit um die Umweltverträglichkeit von Schneekanonen ist in dieser Saison erst gar kein Thema. Deren Einsatz wird sogar mit Umweltargumenten begründet: „Wir wollen nur gute Bedingungen schaffen“, sagt Tourismusmanager Hauser, „und die Schädigung des Untergrundes so gering wie möglich halten.“ Kalt genug sei es schließlich und da funktioniere das Beschneien ganz ohne chemische Zusätze.

Die Skifahrer jedenfalls merken kaum einen Unterschied. „Vielleicht ist der „Kunstschnee“ ein bisschen härter als das, was sonst vom Himmel fällt, ansonsten sind die Skiverhältnisse hier aber optimal“, ist die einhellige Meinung der Skibegeisterten, nachdem sie die Abfahrt von der 2400 Meter hoch gelegenen Brunnalm über die Waldabfahrt fast tausend Höhenmeter hinunter zur Talstation der Gondel in St. Jakob genossen haben. Nicht zuletzt pflügen die Pistenraupen jede Nacht die eisigen Abfahrten durch und machen den Schnee wieder schön griffig.

Die Menschen im Defereggental vertrauen darauf, dass die Urlauber ihnen auch nach einem schneearmen Winter nicht den Rücken kehren. „Der Anteil der Stammgäste, die jedes Jahr wiederkommen ist sehr hoch, er liegt bei uns um die 70 Prozent“, sagt der Tourismus-Obmann Hauser zufrieden, „außerdem kann es jeden Tag schneien und dann verbessert sich die Situation schlagartig.“ Während der Hauptsaison über Weihnachten, Neujahr, Fasching oder Ostern ist Skilehrer Bertl Gasser fast immer ausgebucht, erzählt er abends auf der Hütte. Viele Gäste buchen ihren Lieblingslehrer gleich von einem Jahr aufs andere. Und nächsten Winter gibt es bestimmt wieder Schnee satt.

Uta Linnert

 

www.defereggental.at

Das ruhige Seitental im Nationalpark Hohe Tauern ist im Winter eine Sackgasse. Dann ist die im Sommer nach Südtirol gehende einspurige Straßen-verbin-dung für den Autoverkehr gesperrt.
Wer mit der Bahn anreist, fährt von Kufstein oder Kitzbühel aus mit dem Taxi weiter oder lässt sich vom Vermieter abholen. Skiverleih mit den neuesten Modellen vor Ort. Im Tal pendelt ein kostenloser Skibus im 20-Minuten-Takt.
Urlaubsregion Defereggental, A-9963 St. Jakob, Tel.: (0043) 4873-63600, Fax: -636060.


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