Eine gute dreiviertel Stunde
dauert die Wanderung vom Abzweig Maria Hilf im Osttiroler Defereggental
zur Hütte Alpe Stalle. Wer es durch den verschneiten Wald
hinauf bis auf 1714 Meter geschafft hat, darf auf einer Naturrodelbahn
zurück ins Tal fahren. Heute Abend allerdings haben alle
schwere Beine vom Skifahren und lassen sich mit dem Minibus nach
oben bringen. Weil Rodler und Auto die gleiche Strecke fahren,
hupt die Taxifahrerin vorsorglich an besonders unübersichtlichen
Stellen, auch wenn sie um diese Zeit eigentlich keine Rodler erwartet.
Tagsüber gibt es klare Regeln wer wann fahren darf, damit
es nicht zu Unfällen kommt: Solange Rodler unterwegs sind,
wartet das Taxi unten, danach bringt es die Schlitten und auch
den ein oder anderen wandermüden Rodler erneut hinauf an
den Start.
Vor nicht allzu langer Zeit war der Schlitten das Transportmittel,
mit dem die Bergbauern Milch und Heu von den Almen in die Dörfer
brachten. Heute ist Rodeln fester Bestandteil des Wintersportangebotes
der Urlaubsregion Defereggental, auf jeden Fall aber krönender
Abschluss eines Besuches auf der Alpe Staller. An diesem Abend
erleben Gäste und Einheimische gemeinsam, was man hierzulande
einen zünftigen Hüttenabend nennt. Alle Plätze
an den langen Holztischen sind bis auf den letzten Platz besetzt.
Der Wirt serviert bei Kerzenschein traditionelle Tiroler Spezialitäten:
handgemachte Schlipfkrapfen, deftige Graukassuppe, köstliche
Knödel aller Art und natürlich Kaiserschmarrn.
Ein programmatisch lustiges Rentnerduo läßt es krachen
und sorgt mit Gesang zu Gitarre und Akordeon für die nötige
Austria-Stimmung: Den Alpenklängen, dem Kufsteinlied
oder dem obligaten Anton aus Tirol kann sich niemand
entziehen.
Mit gut gefülltem Bauch, reichlich genossenen Schnapsrunden
und einigen unvermeidlichen Polonaisen über Tische und Bänke
ist es gegen Mitternacht Zeit, den Höhepunkt des Ausflugs
anzusteuern.
Vor der Hütte ist die Nacht still und die Sterne funkeln
vom klaren Himmel. Die Schlitten stehen bereit. Jetzt muss man
nur noch einen geeigneten Partner finden und gemeinsam an den
Start gehen. Zu besonderen Anlässen wird die Strecke mit
Fackeln abgesteckt, heute ist die Bahn dezent elektrisch beleuchtet.
Ganz ungefährlich ist die abschüssige und kurvenreiche
Wegstrecke aber trotzdem nicht erst recht nicht, wenn die
Rodler vorher kräftig den Tiroler Obstbränden zugesprochen
haben.
Gelenkt wird mit den Füßen. Vorne sitzt der Steuermann,
Angsthasen dürfen sich hinten dranklammern. Wer das Glück
hat, bei einem furchtlosen Einheimischen mitzufahren, der hier
jede Bodenwelle kennt, ist natürlich am besten dran. So brettern
die Gespanne ziemlich schnell auf schmalen Kufen dem Tal entgegen.
Nach einigen Überholmanövern, steilen Kurven, viel Jubeln
und Geschrei ist der Spaß nach fünf Minuten leider
schon vorbei und selbst die ängstlichen Beifahrer
wollen am liebsten gleich wieder nach oben.
Uta Linnert
|