Fahrplan digital

Jedes Problem lässt sich technisch lösen. Und wenn es ein Verkehrsproblem ist, gilt dies erst recht. Ingenieure und Verkehrsminister jeglicher Couleur wollen uns das seit Jahren glauben machen. Telematik löst jeden Stau und der Umwelt solls auch noch helfen. Studien belegen indes: Navigationssysteme in deutschen Autos helfen im besten Fall dem einzelnen Fahrer, meist sind sie teures Spielzeug. Und die Telematik im ÖPNV hinkt, trotz großen Potenzials, leider um Jahre hinterher.

Anzeigenmotiv: IVB

Wegweisend: Die Innsbrucker Verkehrsbetriebe schicken Fahrplandaten aufs Handy.

 

Bruno G. freut sich auf seinen neuen schicken 5er BMW. „Intelligente Autos für mehr Komfort und Souveränität“ versprach die Werbung und mahnte „Es geht um die Zukunft der Mobilität! 50 Millionen Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen. Tendenz weiter steigend! 8000 von 12000 Kilometern deutscher Autobahnen sind ständig staugefährdet.“ Bruno macht da nicht mehr mit! BMW bietet die intelligente Lösung: „Telematik-Anwendungen von BMW Assist“ heißt die Zauberformel. Mit individuellen Navigationshilfen, Stauhinweisen und Zusatzinfos von BMW hat Bruno in Zukunft die Nase vorn.

Mit Hilfe des neuen Bord-Navigationssystems weiß er früher als alle Radiohörer über Baustellen und andere Störungen Bescheid und umfährt jeden Stau. Und sollte es doch mal schief gehen, kann er beim Warten noch seine elektronische Post erledigen: Einen Gruß an die Liebste daheim, die Bestellung der Theaterkarten und die Terminanfrage seines Geschäftspartners. Am Ziel lotst ihn „BMW Assist“ direkt in die Tiefgarage seines Hotels und bucht fürs Abendessen gleich noch einen Tisch beim Italiener.

Bruno träumt schon vom nächsten Sommerurlaub. Nörgelnde Kinder gehören endlich der Vergangenheit an. Statt Gameboy oder langweiligem Kennzeichen-Raten sind dann Benjamin Blümchen und das SAMS in bester DVD-Qualität angesagt, im mobilen Kino direkt aus der Kopfstütze. Sein RDS/TMC-Radio „versteht“ mehrere Fremdsprachen und hält Bruno auch im Ausland über die Verkehrslage auf dem laufenden. Und sollte doch einmal eine Panne die Urlaubsfahrt trüben, winkt schnelle Abhilfe mittels elektronischem Ferndiagnose-System. Per Satelliten-Ortung ist schnell der nächstgelegene BMW-Servicepartner ausgemacht, der sich alsbald mit dem benötigten Ersatzteil auf den Weg macht. „Mit Sicherheit noch mehr Freude am Fahren.“ Bruno lehnt sich entspannt zurück: Die wird er haben! Das hätte er sich als kleiner Junge nie träumen lassen …

Freude am Bahnfahren?

Marie H. muss unwillkürlich grinsen, wenn ihr Kollege Bruno mal wieder von seinem neuen Auto schwärmt. Sie selbst reist am liebsten mit der Bahn, fährt mit dem Bus ins Büro und leiht sich gelegentlich ein Car-Sharing-Auto für den Großeinkauf. Nicht dass immer alles perfekt klappen würde. Hin und wieder ist sie sogar ziemlich genervt, wenn sie eine halbe Stunde in der Kälte auf einen verspäteten Zug wartet. Aber insgesamt ist sie durchaus zufrieden mit ihrer Wahl.

Einige Verbesserungen könnten den Komfort beim Reisen allerdings noch deutlich steigern … Immerhin, mit der neuen Tür-zu-Tür-Auskunft der DB im Internet kann sie ihre Geschäftsreisen ohne großen Aufwand bestens vorbereiten. Aber Marie träumt schon mal weiter. Wir schreiben das Jahr 2005: Marie organisiert eine Dienstreise nach Hamburg. Ihre Reiseplanung mit Bus, ICE und U-Bahn hinterlegt sie in ihrem elektronischen Postfach bei der Deutschen Bahn. Sobald eine Störung auftritt, die sie betrifft, bekommt Marie eine automatische Text- oder Sprachnachricht auf das von ihr angegebene Telefon. Unnütze Wartezeiten kann sie auf diese Weise minimieren.

Der digitale Stadtführer

Sehr zu schätzen weiß Marie auch ihren „City-Companion“ der sie durch fremde Städte lotst und ihr immer die nächstgelegenen Haltestellen mit den Abfahrtszeiten der Busse und Straßenbahnen nennt. Es ist ein flacher Mini-Computer mit eingebautem Ortungssystem. Die Stadtpläne von allen Städten Deutschlands sind darauf gespeichert. Sie muss nur eine Adresse eingeben und bekommt einen Routenvorschlag, je nach Präferenz zu Fuß, mit dem Fahrrad, Auto oder mit Bus und Bahn.

Der Clou aber ist, dass sie über Datenfunk jederzeit eine aktuelle Echtzeit-Fahrplanauskunft anfordern kann, egal wo sie sich gerade aufhält. Unregelmäßigkeiten können Marie nicht mehr schrecken. Auch die lästige Suche nach dem richtigen Fahrpreis am Automaten und dem passenden Kleingeld hat ein Ende. Ihr „City-Companion“ speichert gleichzeitig ihren elektronischen Fahrschein. Am Monatsende bekommt sie eine Abrechnung über alle Fahrten, so wie von ihrer Telefongesellschaft. Als Stammkundin der Bahn genießt Marie noch einen weiteren Service. Je mehr Kilometer sie mit dem Zug zurücklegt, umso höher ist am Jahresende ihr Bonus. Und falls sie unterwegs doch mal strandet, weil ein Anschluss nicht geklappt hat, genügt eine kurze Nachricht an das Service-Team der Bahn, das ihr im Rahmen ihres „Kundenversprechens“ die schnellstmögliche Weiterbeförderung garantiert, bei Bedarf auch mit dem Taxi oder Mietwagen. „Ein intelligenter Zug der Neuen Bahn“ denkt Marie und wünscht Bruno viel Spaß bei der ersten Spritztour in seinem schicken Traumauto.

Foto: Marcus Gloger

Navigationssystem in Großlimousine: Das Auto auf dem Weg zum mobilen Arbeitsplatz.

 

Kunstwort Telematik

Seit gut zehn Jahren macht ein neues Kunstwort die Runde unter Verkehrsexperten und -politikern: „Telematik“. Die Verbindung von Telekommunikation und Informatik gilt als Hoffnungsträger zur Lösung einer Reihe von Verkehrsproblemen. Derzeit laufen in diesem Bereich zahlreiche Forschungsprojekte und Modellversuche des Bundes und der EU. Elektronische Parkleitsysteme in Städten, Verkehrsmanagementzentralen, Wechselschilder an Autobahnen, Satellitennavigation und individuelle Verkehrshinweise sind Elemente dieses neuen Systems, das mit Hilfe technischer Mittel den Verkehr intelligenter lenken und verteilen soll.

Mit der Einführung des Mobilfunks der dritten Generation bis 2005, bekannt geworden durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen, soll ein ganz neuer Markt für Mehrwertdienste geschaffen werden. Durch verbesserte Möglichkeiten der Positionsbestimmung bis hin zur metergenauen Satellitenortung sind auch im Verkehrsbereich zahlreiche Anwendungen vorstellbar, unter anderem die Navigation als Fußgänger, Radfahrer oder Kunde von Bus und Bahn in fremden Städten per Kleincomputer.

Gastronomie, Handel und andere Dienstleister sollen durch sogenannte „Ortsbezogene Dienstleistungen“ („Location based services“) gezielt interessierte Kunden umwerben können, denen sie gleich noch eine Wegbeschreibung mit aufs Handy oder den Organizer schicken können, sei es als Text, Bild oder Video. Die Suche und Reservierung eines passenden Hotels oder Spezialitätenrestaurants könnte dann zum Kinderspiel werden, auch wenn man sich in der Stadt nicht auskennt.

In Autos und Zügen wird ein mobiler Internetzugang in Zukunft zum Standard gehören. Ob der Straßenverkehr durch Telematik unterm Strich sicherer und flüssiger wird, bleibt jedoch sehr fraglich. Wie bei der Handy-Nutzung ist davon auszugehen, dass sich viele Autofahrer nicht regelkonform verhalten und Zusatzgeräte auch während der Fahrt bedienen und sich ablenken lassen.

Eine Studie der Prognos AG zu den Umweltwirkungen von Verkehrsinformations- und -leitsystemen im Straßenverkehr für das Umweltbundesamt brachte eher ernüchternde Ergebnisse. Die mit Abstand deutlichsten Umweltentlastungen gehen demnach von Telematiksystemen zur Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren aus, die einen vergleichsweise starken Eingriff in das Verkehrsgeschehen bedeuten und politisch in absehbarer Zeit für den Pkw-Verkehr kaum durchsetzbar sein dürften.

Digitale Tempolimits

Das Gleiche betrifft die automatische Einhaltung von Tempolimits. Technisch könnten alle Fahrzeuge mit einem Gerät ausgestattet werden, das von einem Sender die jeweils erlaubte Höchstgeschwindigkeit mitgeteilt bekommt und das Tempo entsprechend anpasst. Ein gewaltiger Aufschrei der Autolobby wäre vorprogrammiert. Durch dynamische Verkehrs- und Reiseinformationen ließen sich nach den Berechnungen von Prognos immerhin fast vier Prozent der Pkw-Fahrten auf den öffentlichen Verkehr verlagern, wenn sie rechtzeitig bei der Reiseplanung zur Verfügung stehen.

Auch automatische Zufahrtsbeschränkungen in Abhängigkeit von der Straßenbelastung schnitten noch relativ gut ab. Für dynamische Zielführungssysteme zur Stauumfahrung konnten keine positiven Umweltwirkungen ermittelt werden. Im besten Fall erzielten einzelne Autofahrer einen Fahrzeitgewinn. Fazit: Maßnahmen, die etwas bringen, tun weh, weil sie die automobile Freiheit einschränken oder an den Geldbeutel gehen. Alles andere führt vielleicht punktuell zu kleinen Entlastungen, bringt aber letztlich keinen nennenswerten Nutzen für die Allgemeinheit.

Deutlich positivere Effekte kann die Telematik bei Bussen und Bahnen erzielen. Mit Hilfe rechnergestützter Betriebsleitsysteme sowie einer genauen Ortung von Fahrzeugen und Haltestellen können Verkehrsunternehmen ihren Kunden zuverlässige Echtzeit-Informationen zum Fahrplan zur Verfügung stellen. Bei Störungen kann die Leitstelle so viel schneller und besser disponieren. Anschlüsse beim Umsteigen auf Bus oder Bahn können bedarfsgerecht hergestellt und gesichert werden.

Foto: Klaus Schäfer-Breede

Erster Schritt in Bremen: Genaue Ortung der Busse und Bahnen ermöglicht Echtzeit-Information an Haltestellen.


Fahrplan per SMS

Die Innsbrucker Verkehrsbetriebe haben vor zwei Jahren als erstes Verkehrsunternehmen weltweit die Fahrplaninformation in Echtzeit eingeführt. Mit dem sogenannten „IVB-Phone“ können Kunden sich die tatsächliche Ankunftszeit von Bussen und Bahnen an jeder gewünschten Haltestelle per SMS auf ihr Mobiltelefon schicken lassen. Die Ungewissheit, wann bei Unregelmäßigkeiten der nächste Bus kommt, hat damit ein Ende. Doch diese Pionierleistung der Innsbrucker stellt bis heute eine große Ausnahme dar. Die meisten Verkehrsunternehmen plagen andere Sorgen, und der technologische Abstand zur Automobilindustrie wächst.

Während „König Autofahrer“ schon fast ganz Europa zu seinem Reich zählen kann, in dem er mit Hilfe moderner Technik zielgenau an jede Adresse geführt wird, bauen sich für die Kunden im Öffentlichen Verkehr noch jede Menge Grenzen von kleinen Fürstentümern auf. Die deutschland- oder gar europaweite Fahrplan- und Tarifauskunft aus einer Hand, über alle Unternehmens- und Verbundgrenzen hinweg, womöglich noch in Echtzeit, erscheint heute noch als Traum.

Bis diese Integrationsprobleme überwunden sind, bleibt dem Fernreisenden mit Bahn und Bus als wertvolles Orientierungsmittel die Fahrplankarte des VCD mit dem Telefonverzeichnis aller Verkehrsunternehmen. Schließlich kann man Handys auch ganz einfach zum Telefonieren benutzen.

Hinrich Kählert

 


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