Ein Mann in einfachen Kleidern döst in einem Fischerboot.
Ein gut gekleideter Tourist legt einen neuen Film in die Kamera,
um das idyllische Bild festzuhalten. Das Klicken der Kamera weckt
den Fischer auf. Der Tourist bietet ihm eine Zigarette an und
beginnt ein Gespräch: Tolles Wetter heute, Sie werden
einen guten Fang machen.
Der Fischer schüttelt den Kopf.
Geht es Ihnen nicht gut?, fragt der Tourist.
Ich fühle mich bestens, antwortet der Fischer.
Nur, ich habe heute morgen genug gefangen.
Aber stellen Sie sich mal vor, sagt der Tourist, Sie
würden drei-, viermal am Tag hinausfahren und drei-, viermal
soviel Fisch nach Hause bringen. Wissen Sie, was dann geschehen
würde?
Der Fischer schüttelt den Kopf.
Nach ungefähr einem Jahr könnten Sie sich ein
eigenes Motorboot kaufen, sagt der Tourist. Nach zwei
Jahren ein zweites und nach drei Jahren einen Kutter oder zwei.
Sie würden ein Kühlhaus oder eine Räucherei bauen,
mit dem eigenen Helikopter Fischschwärme ausmachen und Ihren
Kuttern per Funk Anweisungen geben, ein Fischrestaurant eröffnen
und den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris liefern,
und dann
, dem Fremden verschlägt es vor Begeisterung
die Sprache.
Was dann? fragt der Fischer leise.
Dann, fährt der Tourist triumpfierend fort.,
könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne
dösen und auf das herrliche Meer blicken!
Aber das tu ich ja schon jetzt, sagt der Fischer,
ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Ihr Klicken
hat mich dabei gestört.
Die Geschichte frei nach Heinrich Bölls Anekdote
zur Senkung der Arbeitsmoral irritiert. Der mit dem
Wenigen zufriedene Fischer ist schon jetzt da angekommen, wo der
expansiv agierende Fischereiunternehmer vielleicht im hohen Alter
noch landen wird. Wenn er den nervenzehrenden Job so lange durchsteht.
Was ist Luxus?
Sicher, der Unternehmer wird mehr Geld haben wahrscheinlich.
Aber wird er auch zufriedener, glücklicher sein? Was ist
Wohlstand? Was ist Luxus?
Greift man zum Wörterbuch, findet man das lateinische Adjektiv
luxus, wörtlich übersetzt mit verrenkt,
gebogen, schräg. Luxus in diesem Sinne bedeutet also
anders zu sein, sich vom Normalen zu unterscheiden.
Doch, was ist heutzutage das Normale? Das lateinische
Substantiv Luxus steht für Üppigkeit,
vorwiegend definiert durch materiellen Besitz, Essen und Sex.
Die orgiastische Überzeichnung dieser Üppigkeit, genährt
durch eine ungesunde Gier, beschreibt der römische Dichter
Sallust so: Man wartet nicht Hunger, Durst, Kälte und
Müdigkeit ab, um sie dann zu befriedigen, sondern stimuliert
sie schon vorher künstlich durch gesteigerte Sinnenreize.
Nichts anderes geschieht in den Werbeblöcken von RTL, SAT
1 und ZDF tagtäglich vor dem Fernseher.
Wer im Internet www.luxus.de eingibt, erblickt als erstes ein
Mercedes Cabrio im warmen Abendlicht. Mein Haus, mein Pferd,
meine Yacht, die schon legendäre Werbung der Sparkassen
weist dem orientierungslosen Konsumenten den Weg: Mit diesen Federn
musst du dich schmücken, willst du im immerwährenden
Konkurrenzkampf bestehen. Wir beschaffen dir das nötige Kleingeld
dazu.
Das Luxurieren, das verschwenderische Zurschautragen
von eigentlich Überflüssigem, verliert jedoch dann den
Reiz des Spektakulären, wenn die schmückenden Güter
weltweit dieselben sind. Jeder Vorstadt-Schumi hat seinen Audi
TT oder seinen Mercedes SLK vor der Tür stehen. In Tommy
Hilfiger-Kluft und mit Davidoff Coolwater überschüttet,
bewegt er sich hochpreisig normiert in den Samstagabend-Wettbewerb.
Beliebigkeit drängt sich vor
Hans-Magnus Enzensberger hat in einem Spiegel-Essay schon vor
fünf Jahren diesem Luxus herkömmlicher Prägung
einen Nachruf verfasst: In allen früheren Gesellschaften
galten Verschwendung und Überfluss als seltene Ausnahme.
Gerade der Tatsache, dass er gegen alle Normen des Alltags verstieß,
verdankte der Luxus seinen Eclat und sein Prestige. (
)
Duty Free Shop und Shopping Mall heißen die Leichenschauhäuser
des Luxus. Das Unheimliche an ihnen ist, dass sie sich wie in
einem Horrorfilm vermehren. Die Überschwemmung durch das
Immergleiche tritt mit der Behauptung auf, sie vertrete das Exklusive,
und die Beliebigkeit drängt sich mit dem albernen Anspruch
vor, es handle sich um ein ,Must.
Die jüngst im Fokus einer weltweiten Protestbewegung stehende
Globalisierung der Wirtschaft verstärkt diese Nivellierungs-
und Vulgarisierungstendenz. Kommen wir also zum Wohlstand.
Neben der fast vergessenen traditionellen Bedeutung von wohlanständig
(vgl. Interview Seite 17) wird Wohlstand heutzutage fast ausschließlich
in Dollar gemessen.
Ein genauerer Blick auf die ökonomische Wohlstandsgröße
Bruttosozialprodukt offenbart deren Schwäche. Der Markt ist
blind für soziale und ökologische Belange. Die meisten
Länder berauben sich ihres natürlichen Kapitals
für einen zweifelhaften Fortschritt. Ernst-Ulrich von Weizsäcker
und das Forscherpaar Lovins zitieren in ihrem Standardwerk Faktor
Vier das Beispiel der Elfenbeinküste: Rundhölzer,
Kaffee, Kakao, Mangan, Gold und anderes wurde zu Lasten der Natur
produziert und exportiert. Es dauerte etwa noch zehn Jahre, bis
das Land großflächig zerstört war. Über 80%
der ursprünglich reichen Waldbestände (
) sind
dem Raubbau zum Opfer gefallen. Wohlgemerkt: In dieser Zeit
steigerte das westafrikanische Land ständig sein Bruttosozialprodukt,
wurde also theoretisch immer reicher.
Weltweite Einfalt
Außerdem walzt der Weltmarkt regionale Besonderheiten platt.
Aus Vielfalt wird weltweite Einfalt. Wie viele lokale Getränke
sind von Coca-Cola verdrängt worden?, fragt Faktor
Vier. Wie viele Obst- und Gemüsesorten sind infolge
der Standardisierung der Sorten von den Märkten verschwunden?
Nach einer Studie des Rural Advancement Fund International (
)
sind von 1903 bis 1983 insgesamt 97% der damals bekannten Gemüsesorten
nicht mehr im Angebot.
Nun mag sich der gut situierte Wohlstandsbürger fragen,
ob es sich mit einer Handvoll Gemüsesorten, einem Mercedes
auch wenn ihn viele haben und dem sterbenden Tropenwald
irgendwo in Afrika nicht doch entspannt im Hier und Jetzt leben
lässt. Es mehren sich die Zeichen, dass es mit dem sorglosen
Ich konsumiere, also bin ich vorbei ist.
Das Manifest der weltweiten Anti-Globalisierungsbewegung No-Logo!
brandmarkt nicht nur die sogenannten sweat-shops,
Produktionsstätten in Asien und Afrika, wo zu Hungerlöhnen
ohne jede soziale Absicherung die Kultobjekte der reichen Länder
hergestellt werden. Die Autorin Naomi Klein beschreibt auch, wie
etwa Turnschuhe in Nike-Shops präsentiert werden auf
sich drehenden Sockeln wie auf einem Altar für Gläubige.
Dazu im Boden eingelassen Begriffe wie Mut, Ehre
und Teamwork. Die Konzerne dringen in die privatesten
Ecken unseres Lebens vor und verstopfen unsere Phantasie,
erklärt die Kanadierin.
Liebe gibts nicht am Kiosk
Authentische, immaterielle Güter wie Großzügigkeit,
Mitleid, Liebe und gegenseitige Achtung haben es da schwer, sich
gegen die bedeutungsüberladene Marketingmaschinerie der Markenartikler
zu behaupten. Der Konsumforscher Gerhard Scherhorn hat herausgefunden,
warum das so ist: Nicht, weil die immateriellen Bedürfnisse
als weniger wichtig empfunden würden, sondern weil die materiellen
schneller und leichter zu haben sind.
Also alles zu spät, die Ausbeutung der Natur beschlossene
Sache, der Mensch in seiner Fremdbestimmtheit nur noch willfähriger
Erfüllungsgehilfe eines selbstzerstörerischen Systems?
Die Gegenkultur formiert sich. Ihre Wortführer definieren
Wohlstand neu. Weniger ist mehr, lautet ihr Credo.
Wolfgang Sachs, Wohlstandsforscher am Wuppertal-Institut, gehört
dazu. Er begründet die Umweltbewegung nicht moralisch, sondern
als ästhetischen Reflex auf das Unmäßige und Hässliche:
Was immer Ökologie im einzelnen heißen mag, ihr
liegt die Einsicht zugrunde, dass die materielle Größe
des ökonomischen Systems in ein Missverhältnis zur Größe
des Natursystems geraten ist. Wer dieser Erkenntnis folgt,
erkennt neue Knappheiten, die neue Wünsche schaffen. Je
mehr die Beschleunigung aller Lebensvorgänge zur Grundregel
wird, desto stärker treten ihre Schattenseiten hervor. Beschleunigung,
gründlich genug betrieben, zeigt nämlich die missliche
Tendenz, sich selber aufzuheben: Man kommt immer schneller dort
an, wo man immer kürzer bleibt. So verfehlt Beschleunigung
ihren Zweck: die Begegnung.
Als Ausweg aus dem Dilemma der ungezählten Optionen, die
die heutige Welt offeriert, empfiehlt Sachs das maß-volle
Leben: Das rechte Maß zu suchen, ist keine Empfehlung
für ein moralisch besseres, sondern für ein unabhängigeres
Leben. Denn, so meinen die Klassiker, ein schönes und gelungenes
Leben führt am ehesten jener, der sich nicht jedem Genuss
an die Brust wirft.
Die Slow Food-Bewegung etwa definiert dieses rechte
Maß mit regionalem Bezug. Genuss steht für Slow
Food oben an, aber eben nicht jeder. Geschmackliche Qualität
und Qualität der Produktion sollen stimmen. Und da besserer
Geschmack bei regional und jahreszeitlich angepassten Früchte,
Gemüse- und auch Fleischsorten ebenso wahrscheinlicher ist,
als bei ökologischer Produktion, baut Slow Fooddie
Brücke zwischen Feinschmecker und Ökologen.
Ein anderes Beispiel für ein neues Wohlstandsmodell sind
autofreie Wohnquartiere, weil sie das Muss des Autobesitzes mit
Wohlstandsgewinn an anderer Stelle konterkarieren. Der Geschäftsführer
des Verkehrsclub Österreich, Willi Nowack, lebt in einem
genossenschaftlich organisierten Wohnprojekt in der Wiener Innenstadt
mit dem historisch begründeten Namen Sargfabrik.
Das Gelände mit gemeinschaftlich nutzbarem Schwimmbad, Veranstaltungssaal,
Kindergarten, Dachgarten und Sauna allerdings ohne Tiefgrarage
und mit einer sehr reduzierten Stellplatzverpflichtung
ist sehr dem guten Leben zugetan. Das variable Wohnumfeld und
die Möglichkeit der Mitbestimmung werden so zum Wohlstand
und Luxus.
Und schließlich nannte auch Enzensberger immaterielle Güter
wie Zeit, Aufmerksamkeit, Raum, Ruhe, Umwelt und Sicherheit den
neuen Luxus. Die Zeit hebt er als wichtigstes aller Luxusgüter
hervor: Bizarrerweise sind es gerade die Funktionseliten,
die über ihre eigene Lebenszeit am wenigsten frei verfügen.
(
) Man erwartet von ihnen, dass sie jederzeit erreichbar
sind und auf Abruf bereitstehen.
Als Quintessenz seiner Reminiszensen an den Überfluss
skizziert Enzensberger ebenfalls einen Paradigmenwechsel im Konsumverhalten:
(
) dann liegt die Zukunft des Luxus nicht wie bisher
in der Vermehrung, sondern in der Verminderung, nicht in der Anhäufung,
sondern in der Vermeidung. Der Überfluss tritt in ein neues
Stadium ein, indem er sich negiert. Die Antwort auf das Paradox
wäre dann ein weiteres Paradox: Minimalismus und Verzicht
könnten sich als ebenso selten, aufwendig und begehrt erweisen
wie einst die ostentative Verschwendung. Seine repräsentative
Rolle würde der Luxus damit allerdings endgültig einbüßen.
Seine Privatisierung wäre perfekt.
Heinrich Bölls Fischer wäre mithin der Archetyp des
neuen Wohlstandsbürgers.
Michael Adler
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Literatur zum Thema
Naomi Klein, No Logo!, Büchergilde Gutenberg,
Frankfurt a.M./Wien/Zürich 2001, 38DM, ISBN 3-7632-5205-3
Fiederun Pleterski/Renate Habinger, Vom Luxus
des Einfachen, Edition Grüne Erde im Verlag Christian
Brandstätter, Wien 2000, 48DM, ISBN 3-85498-041-8
E.U. von Weizsäcker/A.B. Lovins/L.H. Lovins,
Faktor Vier, Droemer Knaur Verlag, München 1996,
45 DM,
ISBN 3-426-26877-9
Wolfgang Sachs, Maß-voll leben, in: politische
ökologie Nr. 69 LebensKunst Auf Spuren
einer Ästhetik der Nachhaltigkeit, ökom
Verlag, München 2001
Hans Magnus Enzensberger, Reminiszenzen an den
Überfluß, Der Spiegel 51/1996
Heinrich Böll, Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral
, in: Ders., Werke, Romane und Erzählungen Bd. 4,
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln, S. 267269
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