fairkehr:
Herr Sachs, wie definieren Sie Wohlstand und was unterscheidet
ihn vom Luxus?
Sachs: Luxus braucht als Spiegel immer das Notwendige. Luxus
steht für das Spektakuläre, den Überfluss, das
Überflüssige. Wohlstand in der vorindustriellen Zeit
ist verwandt mit anständig. Will sagen: Es gab standesgemäße
Lebensformen für den Handwerker, den Staatsbeamten, den Offizier.
Wer diese Lebensform gediegen ausfüllte, galt als wohlständig.
fairkehr:
Diese Standeskonventionen verwischen allerdings in unserer Zeit.
Sachs: Richtig! Spätestens seit den 50er Jahren wird Wohlstand
in Europa über mehr oder weniger Besitz an Gütern definiert.
Der Besitz eines Autos in dieser Zeit etwa zeigte Wohlstand an.
fairkehr:
Und wenn jeder ein Auto hat?
Sachs: Dann geht es um den Kommunikationseffekt der Ware Auto.
Die Lebensmilieus haben sich seit den 50er Jahren verzweigt wie
ein Baum. Die Multioptionsgesellschaft schafft die Freiheit, frühere
Klassenschranken zu überwinden, andererseits verlangt sie
von jedem Individuum eine Positionierung. Jedes Lebensmilieu erfordert
seine speziellen Symbole, die man besitzen muss. Nach dem Krieg
war ein Kleinwagen Ausweis geringeren Wohlstandes, heute ist beispielsweise
ein Smart Zeichen eines bestimmten Lebensstils.
fairkehr:
Was für einen bestimmten Lebensstil notwendig
ist, definiert die Gesellschaftsgruppe, der man sich zugehörig
fühlt, selbst?
Sachs: Sie definiert es ständig neu. Und das Notwendige
wird im Zweifel mehr. Vor zehn Jahren musste man noch keinen Internetanschluss,
Off-Road-Jeep oder Nike-Sportschuh besitzen, um zu einer bestimmten
Gruppe zu gehören, heute ist das so. Das ist wie auf einer
Rolltreppe in Gegenrichtung. Sie müssen immer mehr investieren,
um auf der Stelle zu treten.
fairkehr: Können wir
deshalb nicht genug an Gütern bekommen? Müssen wir deshalb
immer neuen Moden hinterherlaufen?
Sachs: Jenseits des Nutzeffektes sind Produkte mit einem Image
belegt. Die Ökonomie produziert Bedürfnisse und Waren
für unsere Einbildungskraft. Der Schmierstoff ist die Imagination.
Ich brauche also die immergleichen Produkte jeweils
mit einem neuen imaginären Nutzen ausgestattet. Das Verhängnis,
das dieser Konsumwelt innewohnt, ist die Tatsache, dass das, was
wir als Kulturwesen sind, verknüpft ist mit einem enormen
Verbrauch endlicher Stoffe aus der Erdkruste.
fairkehr: Wenn Sie nun allerdings
Verzicht predigen, werden Sie in der Spaßgesellschaft kaum
Resonanz finden.
Sachs: Warum sind ökologische Lebensmittel, den regionalen
Verhältnissen angepasste Häuser, eine Bewegung wie Slow
Food oder ein Versandhandel wie manufactum so
erfolgreich? Weil der Käufer aus dem einzelnen Apfel mehr
Geschmack und aus dem Schrank mehr Funktionalität herausholt.
Der Nutzen wächst. Wir können es auch als Lebenskunst
begreifen: Der ökologische Rucksack der Produkte schrumpft,
der Bedeutungsrucksack wächst.
fairkehr:
Diese wenigen Güter haben allerdings ihren Preis. Ist das
nicht Snobismus im minimalistischen Gewand?
Sachs: Sicher haftet diesem Lebensstil etwas Elitäres an.
Es braucht ein kräftigeres inneres Selbst, weniger Masse
zu kaufen. Die Abrechnung ist jedoch für mich offen. Von
der besseren Qualität muss ich schlicht weniger kaufen.
fairkehr:
Sie haben in einem Artikel kürzlich das maßvolle
Leben als Ziel formuliert. Sollen wir alle den Gürtel
enger schnallen?
Sachs: Das rechte Maß zu finden hat für mich nichts
Repressives. Maßvoll zu agieren ist eine Frage der rechten
Proportion. Es kostet etwas, das menschliche Maß zu überschreiten:
Wenn wir in hohem Tempo große Distanzen überwinden,
kostet das Energie. Das rechte Maß für seinen Lebensstil
zu finden, heißt sich sehr überlegt die Referenzgruppe,
die man sich als Ziel setzt, zu wählen. Nur wer Herr seiner
Wünsche bleibt,und sie mit seinen Fähigkeiten im Einklang
weiß, kann heiter, zufrieden und glücklich sein.
r
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