„Rolltreppe in Gegenrichtung“

Wolfgang Sachs ist stellvertretender Leiter der Arbeitsgruppe „Neue Wohlstandsmodelle“ am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie. fairkehr-Chefredakteur Michael Adler sprach mit ihm über die Kunst des „maßvollen Lebens“.

 

Jeder Lebensstil fordert seinen bestimmten Duft.
Foto: Marcus Gloger

 

fairkehr: Herr Sachs, wie definieren Sie Wohlstand und was unterscheidet ihn vom Luxus?

Sachs: Luxus braucht als Spiegel immer das Notwendige. Luxus steht für das Spektakuläre, den Überfluss, das Überflüssige. Wohlstand in der vorindustriellen Zeit ist verwandt mit anständig. Will sagen: Es gab standesgemäße Lebensformen für den Handwerker, den Staatsbeamten, den Offizier. Wer diese Lebensform gediegen ausfüllte, galt als wohlständig.

fairkehr: Diese Standeskonventionen verwischen allerdings in unserer Zeit.

Sachs: Richtig! Spätestens seit den 50er Jahren wird Wohlstand in Europa über mehr oder weniger Besitz an Gütern definiert. Der Besitz eines Autos in dieser Zeit etwa zeigte Wohlstand an.

fairkehr: Und wenn jeder ein Auto hat?

Sachs: Dann geht es um den Kommunikationseffekt der Ware Auto. Die Lebensmilieus haben sich seit den 50er Jahren verzweigt wie ein Baum. Die Multioptionsgesellschaft schafft die Freiheit, frühere Klassenschranken zu überwinden, andererseits verlangt sie von jedem Individuum eine Positionierung. Jedes Lebensmilieu erfordert seine speziellen Symbole, die man besitzen muss. Nach dem Krieg war ein Kleinwagen Ausweis geringeren Wohlstandes, heute ist beispielsweise ein Smart Zeichen eines bestimmten Lebensstils.

fairkehr: Was für einen bestimmten Lebensstil notwendig ist, definiert die Gesellschaftsgruppe, der man sich zugehörig fühlt, selbst?

Sachs: Sie definiert es ständig neu. Und das Notwendige wird im Zweifel mehr. Vor zehn Jahren musste man noch keinen Internetanschluss, Off-Road-Jeep oder Nike-Sportschuh besitzen, um zu einer bestimmten Gruppe zu gehören, heute ist das so. Das ist wie auf einer Rolltreppe in Gegenrichtung. Sie müssen immer mehr investieren, um auf der Stelle zu treten.

fairkehr: Können wir deshalb nicht genug an Gütern bekommen? Müssen wir deshalb immer neuen Moden hinterherlaufen?

Sachs: Jenseits des Nutzeffektes sind Produkte mit einem Image belegt. Die Ökonomie produziert Bedürfnisse und Waren für unsere Einbildungskraft. Der Schmierstoff ist die Imagination. Ich „brauche“ also die immergleichen Produkte jeweils mit einem neuen imaginären Nutzen ausgestattet. Das Verhängnis, das dieser Konsumwelt innewohnt, ist die Tatsache, dass das, was wir als Kulturwesen sind, verknüpft ist mit einem enormen Verbrauch endlicher Stoffe aus der Erdkruste.

fairkehr: Wenn Sie nun allerdings Verzicht predigen, werden Sie in der Spaßgesellschaft kaum Resonanz finden.

Sachs: Warum sind ökologische Lebensmittel, den regionalen Verhältnissen angepasste Häuser, eine Bewegung wie „Slow Food“ oder ein Versandhandel wie „manufactum“ so erfolgreich? Weil der Käufer aus dem einzelnen Apfel mehr Geschmack und aus dem Schrank mehr Funktionalität herausholt. Der Nutzen wächst. Wir können es auch als Lebenskunst begreifen: Der ökologische Rucksack der Produkte schrumpft, der Bedeutungsrucksack wächst.

fairkehr: Diese wenigen Güter haben allerdings ihren Preis. Ist das nicht Snobismus im minimalistischen Gewand?

Sachs: Sicher haftet diesem Lebensstil etwas Elitäres an. Es braucht ein kräftigeres inneres Selbst, weniger Masse zu kaufen. Die Abrechnung ist jedoch für mich offen. Von der besseren Qualität muss ich schlicht weniger kaufen.

fairkehr: Sie haben in einem Artikel kürzlich das „maßvolle Leben“ als Ziel formuliert. Sollen wir alle den Gürtel enger schnallen?

Sachs: Das rechte Maß zu finden hat für mich nichts Repressives. Maßvoll zu agieren ist eine Frage der rechten Proportion. Es kostet etwas, das menschliche Maß zu überschreiten: Wenn wir in hohem Tempo große Distanzen überwinden, kostet das Energie. Das rechte Maß für seinen Lebensstil zu finden, heißt sich sehr überlegt die Referenzgruppe, die man sich als Ziel setzt, zu wählen. Nur wer Herr seiner Wünsche bleibt,und sie mit seinen Fähigkeiten im Einklang weiß, kann heiter, zufrieden und glücklich sein.

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