Von Bären und Beeren
Im weiten wilden Norden

Wildwasser, fischreiche Seen, Urwald und baumlose Berge: Skandinaviens südlichste Wildnis erinnert an Alaska, liegt aber näher.

 

Foto: Uta Linnert
Wer die Einsamkeit liebt, findet nichts Besseres: Der norwegische See Femunden an der schwedischen Grenze.

 

Das Einschussloch am Hals deutet an, dass der Tod schneller war als der Schreck. „Der Bursche hat nicht leiden müssen“, sagt Lars Ekstrand, der mit sichtlicher Vorfreude auf den abendlichen Schmaus die Filetpartien des bereits abgezogenen Elchs betrachtet. „Schon weil die Gebühr für einen erlegten Elch hoch ist, sehen wir zu, dass wir treffsicher schießen und kein kostbares Fleisch durch Schmauch verderben.“ An den ersten sonnigen Herbsttagen Anfang September packt die Schweden das Jagdfieber. Gejagt wird von jeher vorzugsweise für den Kochtopf. Auch Lars Ekstrand braucht das Fleisch für die Küche. Seit 12 Jahren betreibt der 62-jährige Ex-Manager mit seiner Frau Eva im mittelschwedischen Storbo das Gästehaus Mon Gård, ein 15-Hektar-Anwesen mit Restaurant, Ferienwohnungen und Blockhütten am hauseigenen See. Und wie mit dem Wild halten es die Ekstrands mit Fisch, Gemüse, Brot und dem Hausvieh: Sie bewirten ihre Gäste wenn möglich ausschließlich mit Produkten der Region.

Infografik: fairkehr/M.A. Venner

 

„Die meisten unserer Gäste kommen aus Deutschland“, erzählt der Hotelier, der mit sympathischem, schwedisch gefärbtem Akzent deutsch spricht. Es sind wildnisliebende Großstädter und Familien mit Kindern, die auf Mon Gård alles finden, was sie auf dem Land erwarten: grenzenlose Natur, traditionelle Unterkünfte, dazu freilaufende Hühner, Enten, Gänse, Schafe, Pferde und gutmütige Hofhunde. Das Ehepaar Ekstrand hat sich mit seinem Gästehaus in der Wildnis auf 700 Metern Höhe selbst einen Traum erfüllt. Eva Ekstrand gab für das Anwesen 600 Kilometer nördlich von Göteborg zwei gutgehende Läden im Süden Schwedens auf, Lars seinen Job in der Industrie.

 

Foto: Idre Fjäll
Alle in Schweden lebenden Rentiere gehören dem Volk der Samen.

 

Eiszeitliche Urlandschaft

Die Wildnis beginnt direkt vor der Hütte. Nicht enden wollende Kiefern- und Birkenwälder, dazwischen dichtes Gebüsch, reichlich moosbedecktes Steingeröll und immer wieder Wasser, schwarze, schweigende Seen und schäumende Wildwasser. Was aussieht, als hätten Riesen im Wald mit Felsblöcken gewürfelt, war in Wirklichkeit die Eiszeit: Die Eismassen transportierten riesige Mengen Kies und Steinbrocken, die beim Abschmelzen des Eises vor etwa 10000 Jahren einfach liegenblieben. „Solche Urwälder, so viele fischreiche Seen und wilde Gewässer findet man sonst nur noch in Alaska“, sagt der Mon Gård-Wirt, der sein Haus ganzjährig für Gäste geöffnet hat.
Tatsächlich ist die Gegend um die Landstädtchen Idre, Torsby, Malung und Plassen ein Paradies für Wanderer, Angler und Outdoor-Freaks. „Hier kann man tagelang zu Fuß, mit dem Mountain-Bike oder dem Kanu durch die Natur ziehen, ohne auf andere Menschen zu treffen“, sagt Henrik Thomke, Marketing Manager von SkanLand. SkanLand ist kein Land im geografischen Sinne, sondern ein grenzüberschreitender Zusammenschluss lokaler Fremdenverkehrs-organisationen im schwedisch-norwegischen Grenzgebiet. SkanLand umfasst eine Fläche von 20000 Quadratkilometern. Hierzu gehören die Regionen Dalarna und Värmland sowie die Provinz Hedmark auf norwegischer Seite. „In unseren Urwäldern streifen noch Bären, Wölfe und Luchse frei umher, auch wenn sie sich Menschen nur selten zeigen.“ Das tun schon eher die Elche. Sie fühlen sich im Land der Seen und Wälder besonders wohl: An die 500000 dieser muskulösen Pflanzenfresser leben heute allein in Schweden.

 

Foto: Uta Linnert
Unbändiges Wasser zieht Angler und Wassersportler an.

 

Bergkiefern und Wolfsflechten

Wer etwas anderes als immer nur Wald und Wasser sehen will, wandert ins Fjäll. Diese abgerundeten Bergkuppen sind typisch für Skandinavien: Obwohl nur wenig über 1000 Meter hoch, liegen sie schon oberhalb der Baumgrenze. „Wanderungen ins Fjäll sind Expeditionen in einsame Naturreservate. Trotzdem haben wir viele leichte Touren und Wanderwege ausgewiesen, die auch Wenigtrainierte oder Kinder schaffen“, sagt Tourismuschef Henrik Thomke. Die Anstiege auf Städjan und Nipfjäll oberhalb der Provinzstadt Idre sind leicht zu gehen: Langsam führt der Weg hinaus aus dem üppigen Tannenwald. Wo die letzten Birken wachsen, hat der Herbst sie bereits in goldene Farbe getaucht. Einzelne Krüppelkiefern wagen sich noch bis dicht an die weichen, sumpfigen Moosmatten, aber oben auf dem kahlen Sandgestein halten sich nur noch silbrig-grüne Flechten. Hier stört nichts den Blick, der weit über die karge Landschaft bis hinüber nach Norwegen geht. Auf dem Rückweg können sich die Wanderer einer typisch schwedischen Leidenschaft hingeben, dem Beerensammeln – direkt in den Mund oder als aromatische Beilage fürs Elchragout am Abend: Blau-, Preisel- und Multbeeren reifen in den Fjällregionen in Massen.

Henrik Thomke und sein Verband haben sich vorgenommen, mehr Sommergäste nach SkanLand zu locken. „Die Tage sind lang, die Luft ist sauber, das Wasser der Seen und Flüsse kristallklar und überall trinkbar“, wirbt der Naturfreund für seine Region. Den Einwand, besser erst nach den ersten Nachtfrösten Mitte September in die Wildnis aufzubrechen, um sich nicht den Mücken zum Fraß vorzuwerfen, lässt der smarte Schwede nicht gelten. „Unsere Apotheken halten gegen diese Plagegeister wirksame Präparate und Pasten bereit“, versichert Henrik Thomke und ist ganz der bodenständige Skandinavier, der sich ohnehin von ein paar Mückenstichen nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Hochsaison in SkanLand ist bislang der Winter, der hier oben sieben Monate dauern kann. Die Region ist schneesicherer als mancher Wintersportort in den Alpen. Auch bei Lars Ekstrand ist dann jedes Blockhaus ausgebucht. „Meist fällt der erste Schnee schon im Oktober und bleibt dann liegen bis in den Mai“, erzählt Lars seinen Besuchern. Wochenlang minus 15 Grad, in knackigen Wintern auch darunter, seien in den schwedischen Fjällregionen ganz normal. „Die trockene Kälte ist viel angenehmer als das feuchtkalte Wetter in Deutschland“, erklärt der freundliche Schwede das Winterwetter. Liegt die weiße Pracht erst mal meterhoch, räumt Lars mit seinem Schneemobil die Wege für Wanderer und Langläufer frei. Kilometerweit geht’s direkt von der Hütte auf Skiern durch die einsamen Wälder, zum Eisangeln auf den See oder mit dem Hundeschlitten durch die weiten Täler. Oder die Gäste genießen einfach die Ruhe. „Auf Mon Gård kann man die Stille hören“, schwärmt der Hausherr.

 

Foto: Uta Linnert
Wandern auf dem Fjäll: Die Berge sind kahl und über tausend Meter hoch.

 

Natur pur oder Tourismus total

Wem die Stille in den Ohren dröhnt und wer bei so viel Natur Lust auf Sessellifte und Pistentrubel verspürt, fährt ins vierzig Kilometer entfernte Idre Fjäll oder quartiert sich gleich in eines der komfortablen Appartements ein. 50 Lifte und ebensoviele Abfahrten bietet die 7000-Betten-Ferienanlage den Wintersportlern. Dazu Spaß für die ganze Familie: Mit Abenteuerschwimmbädern, Golfplatz, Tennis- und Bowlinghallen, Kinderspielplätzen, Restaurants, Geschäften und Diskothek wartet Idre Fjäll rund ums Jahr mit touristischer Infrastruktur auf.

 

Foto: Uta Linnert

In einer Hand voll bunt gestrichener Holzhäuser leben die wenigen Einwohner von Elgå am Femunden.

 

„Die wildeste Wildnis. Die einsamste Einsamkeit.“ Um zu finden, was die SkanLand-Texter versprechen, fährt man hinüber nach Norwegen zum Femunden, einem der größten Seen im westlichen Nachbarland. Der See liegt auf 663 Metern Höhe in von Eiszeiten gerundeten Bergen. Die Straße, die direkt zum See führt, endet in Elgå. Im Dorf wohnen 50 Menschen in einer Hand voll verstreuter roter Holzhäuser. „Alle hier leben vom Fischfang“, sagt Eva-Kari Rösten, die Lehrerin, die die neun Grundschüler von Elgå zusammen in einem Raum unterrichtet. Zehn Tonnen Fisch haben die Fischer von Elgå dieses Jahr in ihren offenen Holzbooten aus dem 130 Meter tiefen Femunden geholt. Die Felchen, Lachsforellen, Barsche und Hechte verarbeitet die kleine Kooperative am Kai direkt weiter. „Im Sommer freuen wir uns über Gäste, die die Stille und Einsamkeit am See zu schätzen wissen“, sagt die junge Frau, deren Gemeinde auf Zusatzeinnahmen aus dem Tourismus hofft. Im Dorf gibt es ein paar Gästezimmer, die Möglichkeit zum Zelten und ein kleines Fischrestaurant. Jetzt im Herbst sind die Dorfbewohner wieder unter sich, auch das Ausflugsschiff, das im Sommer Einheimische und Besucher ans andere Ufer oder zu den Stränden bringt, hat seinen Betrieb eingestellt. Der Femunden liegt wie ein Spiegel umrahmt von weiten, kahlen Bergen unter tiefhängenden Wolken. Wagt sich die Sonne durch das Himmelsgrau, taucht sie Wasser und Ufersaum in ein blau-goldenes Farbenmeer und spielt Indian Summer.

 

Foto: Natur 2000
Wer wildlebende Braunbären in Schweden sehen will kann Exkursionen buchen bei: Andrea Friebe, Tel./Fax: (0046-250) 83040, e-mail: andreafriebe@web.de

 

Zurück auf Mon Gård genießen es die Ausflügler, bei Lars und Eva Ekstrand in ihrem gemütlichen Restaurant zum Abendessen angemeldet zu sein. „Uns deckt die Natur den Tisch“, sagt Eva und serviert als ersten Gang eine Pfifferlingsuppe. Immer mehr Restaurants in SkanLand haben ihre Küche auf lokale Erzeugnisse umgestellt, kochen das, was die Umgebung zu bieten hat, was in Wald und Gebirge wächst und lebt. „Vildrike“ – „Wildreich“ – nennt sich das Markenzeichen ausgewählter Restaurants, dem sich auch Mon Gård angeschlossen hat. „Wir verarbeiten die hiesigen Pilze, Beeren, dazu Rentier- und Elchfleisch. Und die Fische unserer Seen und Flüsse gehören natürlich immer auf den Speiseplan.“ Dazu reicht die Wirtin knuspriges Knäckebrot, das sie am Morgen mit einigen Gästen in der hofeigenen Backstube gebacken hat. Nur für die Weine zum Menü ist hierzulande der Sommer nicht lang genug – sie kommen aus Südafrika.

Uta Linnert

 

fairkehr-Tipps

 

  • Anreise Von Kiel aus bringen die Schiffe der Stena Line Schweden-Reisende bequem über Nacht nach Göteborg oder über Frederikshavn nach Oslo. Buchung und Information in Reisebüros oder direkt bei:
    Stena Line, Schwedenkai 1, 24103 Kiel,
    Tel.: (0431) 9099,
    Fax: 909200.
    Mail: info.de@stenaline.com


  • Reisen im Land Die besten Bus- und Bahnverbindungen kennen die Schwedischen Staatsbahnen. Infos im Internet: www.sj.se

  • SkanLand Der Tourismus-verband verschickt Bro-schüren und ein Reise-handbuch in deutscher Sprache.
    Tel.: (0046-280) 33730,
    Fax: 33504,
    Web: www.skanland.com

  • Mon Gård Wer seine Ferien bei Lars und Eva Ekstrand verbringen möchte, ruft am besten- direkt dort an oder schickt ein Fax
    (auf deutsch).
    Tel.: (0046-253) 26000,
    Fax: 26060. Gäste, die ohne Auto anreisen, werden in Oslo an der Fähre abgeholt.
  • Idre Fjäll Infos zu Übernachtung und Aktivitäten direkt vor Ort.
    Tel.: (0046-253) 41000,
    Fax: 40000. Die Ferien-anlage ist auch buchbar über Stena Line (s.o.)

  • Aktivcamp Idre Aktivurlaub als Gruppenreise im Sommer und Winter mit Wandern, Biken, Raften, Skifahren und Snowboarden in Idre über: Rucksack reisen, Hammer Str. 418, 48153 Münster, Tel.: (0251) 76368-50,
    Fax: -52, Web: www.rucksack-reisen.de

  • Natur für alle Das schwedische Jedermanns-recht ist großzügig und erlaubt Zelten fast überall. Auch das Angeln im Meer steht jedem frei. Fürs Angeln in Seen und Flüssen erwirbt man für um die 100 SEK (ca. 21 DM) einen Angelschein in Touristenbüros oder örtlichen Geschäften.
 
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