Bewegte Jugend

Spaß oder Ideale? Bibliothek oder Internet? Brief oder Handy? Beruf oder Familie? Auto oder Bahn? – Die Antwort lautet ja! Die Generation Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland hebt scheinbare Widersprüche auf.

 


Das Festhalten an starren Ideologien oder Wertvorstellungen ist out. Denn in einer Zeit, die sich schnell ändert und besonders Jugendlichen viel Flexibilität abverlangt, orientieren sich diese entsprechend der jeweiligen Situation. Endgültige Antworten werden ersetzt duch Entscheidungen auf Zeit. „Gelebt wird mehr denn je ein »Sowohl-als-auch« und nicht – wie es frühere Werterziehungskonzepte implizieren –ein »Entweder-oder«, so die Ergebnisse der Shell Jugendstudie 2000. Die Autoren der Studie, die Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren befragt haben, sind der Meinung: Die „Jugend von heute“ lässt sich nicht in pauschale Kategorien einordnen, Zwischentöne überwiegen vor Schubladendenken. Die Altersgruppe Jugend ist dabei weit gefasst: Sowohl 15-jährige Schüler als auch 25-jährige Familienväter fallen darunter. Am wichtigsten seien der jungen Generation persönliche Freiheit, soziale Kontakte und Freundschaft – materieller Wohlstand spiele im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine deutlich untergeordnete Rolle, so die Autoren der Shell-Studie.

Mobilität ist für die junge Generation nicht nur selbstverständlich, sondern der Ausdruck von Unabhängigkeit. Ob in der Freizeit oder aus beruflichen Gründen: Jugendliche sind mit durchschnittlich über vier Wegen pro Tag 13 Prozent häufiger unterwegs als der Bevölkerungsdurchschnitt. Für die Frage, mit welchen Verkehrsmitteln sie sich fortbewegen, ist der 18. Geburtstag ein entscheidendes Datum. Jugendliche unter 18 Jahren legen drei Viertel ihrer Wege mit Rad, zu Fuß oder mit Bus und Bahn zurück. Nur 15 Prozent fahren als Beifahrer im Auto von Eltern oder Freunden mit. Ab 18 Jahren kehrt sich das Verhältnis beinahe um: Der Anteil der im Auto zurückgelegten Wege steigt auf 70 Prozent.

Mit steigendem Alter nimmt der Mobilitätsradius von Jugendlichen weiter zu: Jugendliche unter 18 Jahren sind stark abhängig von den Angeboten der öffentlichen Verkehrsunternehmen. Ist das Angebot schwach, wie in kleinen Städten oder ländlichen Regionen, ist die Anzahl der zurückgelegten Wege gering. Der Verkehrsclub Österreich, VCÖ, hat in einer Untersuchung die Mobilität von Jugendlichen aus der Stadt und mit der von Jugendlichen aus dem ländlichen Raum verglichen. Das Ergebnis: Jugendliche, die in der Stadt leben, sind mobiler. Sie legen mehr Wege zurück und nutzen dafür den ÖPNV. Jugendliche auf dem Land, die nicht auf ein ähnliches Angebot öffentlicher Verkehrsmittel zurückgreifen können, legen weniger Wege zurück und setzen sich häufiger ins Auto.

Über die Hälfte aller Jugendlichen macht den Führerschein sofort mit 18. Bis zu ihrem 20. Geburtstag haben neunzig Prozent aller jungen Deutschen die Fahrerlaubnis. Das Auto symbolisiert Mobilität ohne Einschränkungen, Spontaneität und persönliche Freiheit. Die Hälfte der Fahrneulinge schafft sich ein eigenes Auto an oder bekommt das der Familie wie „selbstverständlich bereitgestellt“, so Stephan Grünewald, Diplom-Psychologe des Marktanalyse-Instituts rheingold in Köln. Im Auftrag des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) führte rheingold eine Verkehrsstudie mit Jugendlichen zwischen 16 und 24 durch, um Sicherheitskonzepte für die befragte Gruppe zu entwickeln. Die hohen Unfallzahlen der Fahranfänger seien das Resultat einer zu hohen Erwartungshaltung sowohl auf Seiten der Eltern als auch der Jugendlichen selbst, so Stephan Grünwald. „Die Jugendlichen fühlen sich allein gelassen. Sie dürfen die große auto-mobile Freiheit ausnutzen und sollen im Verkehr perfekt mitspielen, ohne vorher wirklich geübt zu haben“, erklärt Grünwald den Spagat zwischen Erwartungshaltung und vorhandener Verkehrskompetenz bei den Fahrneulingen.

 

Unternehmen suchen die Jugend

„Ob Führerscheinbesitzer weiterhin öffentliche Verkehrsmittel nutzen, hängt mit den bis dahin gemachten ÖPNV-Erfahrungen und besonders mit der Qualität des Angebotes zusammen“, sagt Gernot Miller vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund. Fehlten gute Angebote oder empfänden Jugendliche das Angebot als unattraktiv, gingen sie den Verkehrsunternehmen als Kunden verloren. Miller ist Projektleiter der Studie U.MOVE des ILS, die untersucht, was die junge Generation zum Umsteigen auf Bus und Bahn bewegen könnte.

Seit 1998 läuft das U.MOVE-Projekt, bei dem Jugendliche zwischen 15 und 26 in vier Untersuchungsräumen –zwei Städte und zwei ländliche Gebiete – befragt wurden. Erfasst wurde ihr Mobilitätsverhalten sowohl quantitativ in den Zahlen ihrer Wege als auch qualitativ im Erleben der „Mobilitätswelt“. Die Studie, deren Ergebnisse erst Anfang nächsten Jahres veröffentlicht werden, hat fünf Mobilitätstypen kreiert, um dem unterschiedlichen Verhalten Jugendlicher gerecht zu werden. Der „ökosensibilisierte Verkehrsteilnehmer“ verhält sich in seiner Mobilität anders, als der „Autofan“, so die vorläufigen Erkenntnisse der Studie. Konkrete Ergebnisse entstehen aus der engen Zusammenarbeit zwischen ILS und den ÖPNV-Unternehmen in Dortmund und Potsdam. Flotte Internetseiten und Nachtbussysteme sollen den Nerv der Jugend treffen und dazu animieren, den ÖPNV bei der Verkehrsmittelwahl nicht links liegen zu lassen.

 

Wenig Engagement der Bahn

Das größte deutsche Verkehrsunternehmen, die Deutsche Bahn AG, hat 1998 eine eigene Jugendmarke DEINER geschaffen. DEINER startete mit einem großen Konzert bekannter deutscher Bands. Es folgten viele Aktionen an deutschen Bahnhöfen. Drei eigene Waggons –als Disko eingerichtet – reisten durch Deutschland und lockten die junge Generation in die Züge. „Aufgrund der aktuellen DB-Konzernstrategie und der neuen Tarifstruktur, die bereits 2002 bundesweit gilt, kann es zukünftig keine eigenständigen DB-Marken mehr geben“, lautete das Todesurteil der Bahn für DEINER im Juli diesen Jahres. Damit währte das Werben der DB um die Zielgruppe der Jungen gerade einmal drei Jahre.

Auf Seiten der Jugend wird es Bedauern geben, denn DEINER kam gut an: Die Aktionen, wie beispielsweise die Foto-Tour „ZeigDich“ oder die Flirtkampagne „Bin in Deiner?“ trafen genau den Geschmack der Zielgruppe. Auch die herausgegebenen Hiphop-CDs, deren Cover Symbole aus Zügen schmückten, kamen auf Anhieb in die deutschen Charts. Der Erfolg von DEINER war kein Zufall, sondern beruhte auf einer zielgruppengerechten Ansprache in Zusammenarbeit mit Marktforschungsunternehmen. Die aufgebauten 50000 regelmäßigen Kontakte dürften nun wohl wieder verloren gehen. Denn nach dem Aus für DEINER ist das altbewährte Interrail-Ticket für Reisen in europäische Länder und ein Raverticket zur jährlichen Loveparade nach Berlin alles, was bei der Deutschen Bahn von ihrem Bemühen um die nachwachsende Generation von Kunden übriggeblieben ist. Das Twen Ticket für Jugendliche zwischen 15 und 26 Jahren wird im Rahmen des neuen Tarifsystems 2002 wegfallen –und neue Jugend-Angebote sind nicht geplant.

Stefanie Schneider


„Feierland“ hießen die zu rollenden Diskotheken umgerüsteten Waggons der Jugendmarke der Bahn, die jetzt auf dem Abstellgleis landen.

 
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