fairkehr: Herr Bodack, was ist das Konzept, die Idee des Interregio?
Bodack: Das Konzept des Interregio (IR) wurde aufgrund intensiver Marktanalysen entwickelt. Es
zielt auf das Potenzial der Fernreisen über mittlere Distanzen und auf Kunden, die
preissensibel sind und Direktverbindungen erwarten. Da sie etwa drei Viertel der Kunden im
Fernverkehr ausmachen, stellen sie ein gutes Potenzial für ein Angebot dar.
fairkehr: Bei seiner Einführung 1988 verzeichnete der Interregio binnen eines Jahres 30 Prozent
Zuwachs an Fahrgästen. Spricht man mit Fahrgästen und Bahnern vor Ort, wird immer wieder die
gelungene Ausstattung erwähnt, in der die Leute gern reisen. Die Bahn textete: "...ein
menschlicher Zug...". Was ist das Geheimnis dieser hohen Kundenakzeptanz?
Bodack: Ausstattung der Züge, der Service, Fahrplan, Routen und Zeitlagen der Züge wurden von
qualifizierten Experten optimal auf die Marktanforderungen hin entwickelt. Die Kunden fanden
ihre Bedürfnisse erfüllt, ein Marketing-Mix aus Kommunikation, Preisgestaltung (mit Fahrpreisen
unterhalb derer des Intercity Express (ICE) und des Intercity (IC) und Service ließen die
prognostizierten Zuwächse erreichen. Dies gilt allerdings nur für die ersten Linien. Im Zuge
der Bahnreform wurden die Organisationseinheiten, die das Marketing entwickelten, aufgelöst und
die Marketingaktivitäten nach und nach eingestellt.
fairkehr: Der Interregio ist von der Deutschen Bahn in den letzten Jahren nicht gerade
gefördert worden: Strecken gekürzt oder gestrichen, kaum Marketing, etc. Jetzt spricht die
Deutsche Bahn von 300 Millionen DM Verlust jährlich beim Interregio...
Bodack: ...dazu kam ein schleichender Qualitätsverfall: Unpünktlichkeiten, die Beseitigung von
Anschlüssen, schlechte Pflege der Fahrzeuge, Züge ohne Bistrocafe oder Zugbildung aus alten
D-Zug-Wagen verschlechterten das Image und vergraulten die Kunden. Trotzdem gab es auch in den
letzten Jahren noch bescheidene Zuwachsraten.
fairkehr: Was müsste geschehen, um den Interregio kostendeckend zu betreiben?
Bodack: Zur Kostendeckung wären auf den derzeit schwachen Linien eine konsequente
Wiederherstellung der ursprünglichen Qualitäten notwendig:
· exakter Taktfahrplan mit guten Anschlüssen
· Züge komplett aus IR-Fahrzeugen mit Bistro-Cafe und allen anderen Einrichtungen.
Weiterhin müsste eine Marketingstrategie mit intensiver Kommunikation zu den potenziellen
Kunden geschaffen werden. Allianzen mit Museen, Events, Sportveranstaltungen, Städten müssten
geschlossen werden und zu Paketangeboten entwickelt werden. Der dritte Schritt müsste eine
konsequente Planung für einen wirtschaftlichen Fahrzeug- und Personaleinsatz sein.
Gegebenenfalls müsste für schwache Linien ein Triebwagenkonzept realisiert werden, mit dem die
Kosten reduzierbar wären.
fairkehr: Die Deutsche Bahn will den Interregio auflösen und durch Regional- (RE) und
Intercity- (IC)/Intercity Express- (ICE) Verkehr ersetzen. Was bewirkt dies für den Bahnkunden?
Bodack: ICE-Verbindungen, die IR-Linien ersetzen, müssten entsprechend häufigere Halte haben,
die Fahrzeiten werden entsprechend länger. Da ICE-Züge wesentlich teurer sind als IR-Züge
werden in der Regel höhere Fahrpreise verlangt werden. Beides entspricht nicht den Bedürfnissen
des Kunden. Regional-Express-Züge haben Fahrzeuge mit wesentlich geringerem Sitzkomfort und
sind für Fernreisen daher nicht geeignet. Außerdem sind die RE-Linien in der Regel wesentlich
kürzer, so dass häufigeres Umsteigen erforderlich wird.
fairkehr: Sind die Führungsstrukturen in der Deutschen Bahn durchlässig und wahrnehmungsoffen
genug, um neue, unkonventionelle Ideen aufzunehmen und kundenorientierte neue Angebote bei
Preis, Fahrplan, Strecken und Wagenmaterial hervorzubringen? Wie können neue Kunden durch deren
Einbeziehung gewonnen werden?
Bodack: Nach der Bahnreform wurde eine Führungskultur mit starker Spitze und hierarchischer
Ausrichtung geschaffen. Dies führte dazu, dass qualifizierte Führungskräfte das Unternehmen
verließen oder Wirkungsmöglichkeiten einbüßten. Vor allem verschwand die Gesprächskultur, die
Diskussion um Alternativen, die Möglichkeiten, Innovationen und Engagement zu entwickeln. Darin
liegen die tieferen Ursachen für den Verfall der Qualität, die noch zu Beginn der Bahnreform
relativ gut war. In Bezug auf die Probleme bei vielen IR-Linien würde ich dem Vorstand der
Deutschen Bahn AG vorschlagen:
· Gründen Sie für jede IR-Linie oder für ein Linienbündel verantwortliche Teams aus Experten
des Marketing und der Technik möglichst vor Ort.
· Geben Sie diesen einen klaren aber weitgesteckten Handlungsspielraum.
· Delegieren Sie Verantwortlichkeiten so weit als möglich auf diese Verantwortlichen.
Würden durch eine solche Unternehmenskultur engagierte Bahnfachleute die Chance erhalten,
kreativ und eigenmotiviert zu handeln - ich würde mich selbst in eine solche Arbeit einbringen
- könnten meines Erachtens bei jeder IR-Linie Zuwachsraten von über 10 Prozent pro Jahr
erreicht werden! Ich hoffe die Deutsche Bahn AG erkennt diesen Markt und ihre bisher noch nicht
wahrgenommenen Chancen. Versäumt sie dies, so werden mittelfristig andere Bahnunternehmen diese
Märkte erschließen. Die Öffentlichkeit, die Bundesregierung und die Länder würden dies
unterstützen - gegebenenfalls durch die staatliche Kontrolle über das Netz und die Stationen.
Interview: Rainer Schulz. |