Ein menschlicher Zug

14 Millionen Interregio-Kilometer hat die Deutsche Bahn AG mit dem Fahrplanwechsel am 9. Juni gestrichen. Eine vertane Chance, die Bahn für eine große Zielgruppe attraktiv zu halten, meint Karl-Dieter Bodack, Professor für Design an der Fachhochschule Coburg.

Karl-Dieter Bodack ist Professor für Design an der Fachhochschule Coburg. Er hat u.a. den Zugtyp InterRegio konzipiert und die Einführung durch Marketing begleitet.
 
fairkehr: Herr Bodack, was ist das Konzept, die Idee des Interregio?

Bodack: Das Konzept des Interregio (IR) wurde aufgrund intensiver Marktanalysen entwickelt. Es zielt auf das Potenzial der Fernreisen über mittlere Distanzen und auf Kunden, die preissensibel sind und Direktverbindungen erwarten. Da sie etwa drei Viertel der Kunden im Fernverkehr ausmachen, stellen sie ein gutes Potenzial für ein Angebot dar.

fairkehr: Bei seiner Einführung 1988 verzeichnete der Interregio binnen eines Jahres 30 Prozent Zuwachs an Fahrgästen. Spricht man mit Fahrgästen und Bahnern vor Ort, wird immer wieder die gelungene Ausstattung erwähnt, in der die Leute gern reisen. Die Bahn textete: "...ein menschlicher Zug...". Was ist das Geheimnis dieser hohen Kundenakzeptanz?

Bodack: Ausstattung der Züge, der Service, Fahrplan, Routen und Zeitlagen der Züge wurden von qualifizierten Experten optimal auf die Marktanforderungen hin entwickelt. Die Kunden fanden ihre Bedürfnisse erfüllt, ein Marketing-Mix aus Kommunikation, Preisgestaltung (mit Fahrpreisen unterhalb derer des Intercity Express (ICE) und des Intercity (IC) und Service ließen die prognostizierten Zuwächse erreichen. Dies gilt allerdings nur für die ersten Linien. Im Zuge der Bahnreform wurden die Organisationseinheiten, die das Marketing entwickelten, aufgelöst und die Marketingaktivitäten nach und nach eingestellt.

fairkehr: Der Interregio ist von der Deutschen Bahn in den letzten Jahren nicht gerade gefördert worden: Strecken gekürzt oder gestrichen, kaum Marketing, etc. Jetzt spricht die Deutsche Bahn von 300 Millionen DM Verlust jährlich beim Interregio...

Bodack: ...dazu kam ein schleichender Qualitätsverfall: Unpünktlichkeiten, die Beseitigung von Anschlüssen, schlechte Pflege der Fahrzeuge, Züge ohne Bistrocafe oder Zugbildung aus alten D-Zug-Wagen verschlechterten das Image und vergraulten die Kunden. Trotzdem gab es auch in den letzten Jahren noch bescheidene Zuwachsraten.

fairkehr: Was müsste geschehen, um den Interregio kostendeckend zu betreiben?

Bodack: Zur Kostendeckung wären auf den derzeit schwachen Linien eine konsequente Wiederherstellung der ursprünglichen Qualitäten notwendig:
· exakter Taktfahrplan mit guten Anschlüssen
· Züge komplett aus IR-Fahrzeugen mit Bistro-Cafe und allen anderen Einrichtungen.
Weiterhin müsste eine Marketingstrategie mit intensiver Kommunikation zu den potenziellen Kunden geschaffen werden. Allianzen mit Museen, Events, Sportveranstaltungen, Städten müssten geschlossen werden und zu Paketangeboten entwickelt werden. Der dritte Schritt müsste eine konsequente Planung für einen wirtschaftlichen Fahrzeug- und Personaleinsatz sein. Gegebenenfalls müsste für schwache Linien ein Triebwagenkonzept realisiert werden, mit dem die Kosten reduzierbar wären.

fairkehr: Die Deutsche Bahn will den Interregio auflösen und durch Regional- (RE) und Intercity- (IC)/Intercity Express- (ICE) Verkehr ersetzen. Was bewirkt dies für den Bahnkunden?

Bodack: ICE-Verbindungen, die IR-Linien ersetzen, müssten entsprechend häufigere Halte haben, die Fahrzeiten werden entsprechend länger. Da ICE-Züge wesentlich teurer sind als IR-Züge werden in der Regel höhere Fahrpreise verlangt werden. Beides entspricht nicht den Bedürfnissen des Kunden. Regional-Express-Züge haben Fahrzeuge mit wesentlich geringerem Sitzkomfort und sind für Fernreisen daher nicht geeignet. Außerdem sind die RE-Linien in der Regel wesentlich kürzer, so dass häufigeres Umsteigen erforderlich wird.

fairkehr: Sind die Führungsstrukturen in der Deutschen Bahn durchlässig und wahrnehmungsoffen genug, um neue, unkonventionelle Ideen aufzunehmen und kundenorientierte neue Angebote bei Preis, Fahrplan, Strecken und Wagenmaterial hervorzubringen? Wie können neue Kunden durch deren Einbeziehung gewonnen werden?

Bodack: Nach der Bahnreform wurde eine Führungskultur mit starker Spitze und hierarchischer Ausrichtung geschaffen. Dies führte dazu, dass qualifizierte Führungskräfte das Unternehmen verließen oder Wirkungsmöglichkeiten einbüßten. Vor allem verschwand die Gesprächskultur, die Diskussion um Alternativen, die Möglichkeiten, Innovationen und Engagement zu entwickeln. Darin liegen die tieferen Ursachen für den Verfall der Qualität, die noch zu Beginn der Bahnreform relativ gut war. In Bezug auf die Probleme bei vielen IR-Linien würde ich dem Vorstand der Deutschen Bahn AG vorschlagen:
· Gründen Sie für jede IR-Linie oder für ein Linienbündel verantwortliche Teams aus Experten des Marketing und der Technik möglichst vor Ort.
· Geben Sie diesen einen klaren aber weitgesteckten Handlungsspielraum.
· Delegieren Sie Verantwortlichkeiten so weit als möglich auf diese Verantwortlichen.
Würden durch eine solche Unternehmenskultur engagierte Bahnfachleute die Chance erhalten, kreativ und eigenmotiviert zu handeln - ich würde mich selbst in eine solche Arbeit einbringen - könnten meines Erachtens bei jeder IR-Linie Zuwachsraten von über 10 Prozent pro Jahr erreicht werden! Ich hoffe die Deutsche Bahn AG erkennt diesen Markt und ihre bisher noch nicht wahrgenommenen Chancen. Versäumt sie dies, so werden mittelfristig andere Bahnunternehmen diese Märkte erschließen. Die Öffentlichkeit, die Bundesregierung und die Länder würden dies unterstützen - gegebenenfalls durch die staatliche Kontrolle über das Netz und die Stationen.

Interview: Rainer Schulz.

 
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