Vision und Sonntagsfrage

Chefredakteur Michael Adler Michael Adler

Es hätte schlimmer kommen können. Die Bild-Zeitung putschte ihre Leser in Aufruhrstimmung. ADAC, CDU und Speditionslobby forderten einträchtig das Recht auf billigen Stau in hochmotorisierten Autos. Soviel Druck der Straße war selten in Deutschland.

Sondersendungen auf allen Kanälen verstärkten den Jammer des deutschen Autofahrers. Aussetzen und Abschaffen der Ökosteuer wurde gefordert, Entlastungen für sozial Schwache, für Pendler, für Spediteure und Firmen.

Die Kampagne zeigte Wirkung. Die Umfragewerte der rot-grünen Bundesregierung sanken. Spätestens hier wächst der Handlungsdruck für demoskopisch orientierte Politiker. Ein Zückerchen für die aufgepeitschte Autofahrerseele musste her. Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Eichel suchten und fanden die Kilometerpauschale. Zehn Pfennige mehr pro Kilometer kühlten die Wut von so manchem Barrikadenkämpfer ab. Das Ganze wurde als Entfernungspauschale auch noch mit einem grünen Anstrich versehen. Der Koalitionspartner und die Umweltverbände - beglückt durch die Erfüllung einer Uraltforderung - waren so auch noch befriedet. Wie gesagt, es hätte schlimmer kommen können.

Es wird schlimmer kommen. Die nächste Runde im Kampf spontaner Volkszorn contra wackelige Öko-Steuer steht zum Jahreswechsel an.

Die Kfz-Steuer für alte Stinker wird spürbar angehoben, die nächste Stufe der Öko-Steuer wird zünden. Welches Zückerchen folgt dann?

Wenn die Regierung nicht den Kurs wechselt, wird sie eine getriebene bleiben. Was fehlt, ist die schlüssige verkehrspolitische Vision, die nicht bei jedem preislichen Zucken des Opec-Kartells ins Wanken gerät.

Das Volk ist längst so weit. Fragt man die Deutschen differenziert nach ökologischen Zusammenhängen, erhält man auch vernünftige Antworten. Allein nach den Ergebnissen der "Sonntagsfrage" der professionellen Volksbeschauer darf sich Politik nicht orientieren.

Unsere Titelgeschichte zeigt anhand einer Reihe von Beispielen, dass mehr Bürgerbeteiligung zwischen zwei Wahlterminen durchaus zur Versachlichung der Diskussion beitragen kann. Platter Populismus à la Bild und ADAC verfängt beim Volk nur punktuell - eben bei der Sonntagsfrage.

Was mir fehlt, ist der argumentative Kampf für eine ökologische Politik. Die Notwendigkeit des Klimaschutzes versteht das Volk, die Unsinnigkeit der Lkw-Lawine auf allen Straßen leuchtet dem Volk ein, die Struktur des Benzin- und Heizölpreises ist für die Mehrheit des Volkes nachvollziehbar. Die Politik muss erklären, was sie will: Sparsame Autos? Besseren Schienen- und Busverkehr? Konsequente Radfahrer- und Fußgängerförderung? Eine "Vision Zero", eine Verkehrssicherheitspolitik, die analog zu Schweden null Verkehrstote und -verletzte zum Ziel hat?

Hätte die Regierung ein solches verkehrspolitisches Gesamtkonzept, sie müsste sich nicht mehr auf Stammtischniveau treiben lassen.

Michael Adler

 
 
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