Service 4/2023
Selbstversuch
Dreiräder für Erwachsene
Für Menschen, die sich auf zwei Rädern nicht sicher fühlen, gibt es immer mehr Alternativen auf dem Markt. Aber fährt man mit dem dritten wirklich besser?
Wer einmal schwimmen gelernt hat, vergisst schnell, wie bodenlos es sich anfühlt, als Nichtschwimmer ins Wasser zu steigen. Ähnlich ist es mit dem Fahrradfahren. Aber während es zur Zahl der Nichtschwimmer in Deutschland verlässliche Angaben gibt, fehlen solche Statistiken fürs Velo. Rechnet man die Ergebnisse der Studie „Fahrradmonitor 2021“ auf die Gesamtbevölkerung hoch, fühlen sich immerhin 2,65 Millionen Menschen zwischen 14 und 69 „wegen fehlender Erfahrung“ auf dem Rad unsicher. Gar nicht so wenige!
Irina (42) ist eine davon. Für fairkehr hat sie sich bereit erklärt, ein Dreirad-Pedelec zu testen. Wir wollen herausfinden, ob es für sie eine Alltagsalternative ist. Denn als Irina vor ein paar Monaten Freunde in den Niederlanden besuchte, fielen ihr dort die vielen Dreiräder auf, gefahren vor allem von Musliminnen. Frauen mit Kopftuch auf dem Rad? In Deutschland ein seltenes Bild.
„Wir verkaufen die Räder vor allem an ältere Menschen, die Angst vor Stürzen haben“, sagt Thomas Busch, Inhaber des E-Rad-Zentrums „e-motion“ in Bonn. Der tiefe Schwerpunkt des Sesselrades erlaube es ihnen, weiter aktiv Rad zu fahren. Aber er hält die Dreiräder auch für Radanfänger*innen geeignet. Pro Jahr verkauft er etwa 60 Dreiräder der Marken Pfautec und Van Raam.
Irinas erster Eindruck ist positiv: Der Einstieg ist leicht, der Sitz bequem, das Fahrgefühl stabil: „Ich fühle mich viel sicherer als auf dem normalen Rad“, sagt sie nach den ersten Testmetern. Auffallend ist der enge Kurvenradius. Das Dreirad überrascht mit Wendigkeit. Der Korb zwischen den Hinterrädern bietet Platz für Handtasche und Einkäufe. Die vier Unterstützungsstufen des Bosch-Motors und die 7-Gang-Schaltung bieten einige Power und sind leicht zu bedienen.
Eine Frage des Milieus
Wer angstfrei Rad fährt und wer nicht, hängt auch mit dem sozialen Milieu zusammen. Laut Fahrradmonitor fühlen sich 70 Prozent der „Liberal-Intellektuellen“ und 72 Prozent der „Performer“ auf dem Rad sicher; aber unter „Traditionellen“ (50) und „Prekären“ (48) fühlt sich jeder und jede zweite unsicher.
Irinas Lebensgeschichte passt nicht so recht in diese soziologischen Kategorien. Die Akademikerin hat einen Lehrstuhl für englische Literatur inne. Aber als in einer kanadischen Großstadt aufgewachsenes Einwandererkind ist sie in einer Umgebung groß geworden, in der Radfahren nicht selbstverständlich war. Während viele ihrer Kolleg*innen mit dem Drahtesel zur Uni kommen, läuft sie oder nimmt den Bus. Ob die Student*innen komisch schauen, wenn die Professorin mit dem Dreirad aufkreuzt?
Und dorthin fahren wir jetzt: zur Uni. Irina stürzt sich in den Verkehr, der in Bonn keine ideale Infrastruktur bietet. Heißt: Mal fährt sie auf dem Radstreifen, mal muss sie auf den Bürgersteig ausweichen. Es geht zwischen Pollern hindurch und über das ein oder andere Schlagloch. An manchen Stellen sind Radweg oder Bürgersteig schräg statt plan.
In diesem urbanen Fahrradalltag kommt das Dreirad an seine Grenzen. „Gerade auf schiefen Ebenen hat es sich plötzlich so angefühlt, als könnte das Rad kippen“, berichtet Irina. Besonders, wenn man mit mehr als Schritttempo unterwegs ist. Bordsteine hoch und runter kommt man ganz gut, aber das Vorderrad über einen hohen Bordstein heben ist nicht drin. Als Irina in einer Unterführung absteigen muss, ist es für sie zu schwer zum Aufwärtsschieben.
Und der Schamfaktor? Natürlich gehört etwas Mut dazu, sich als gesunder junger Mensch auf ein Dreirad zu setzen. Aber Irina erntet bei ihrer Testfahrt keine komischen Blicke. Das mag daran liegen, dass auch auf deutschen Straßen inzwischen immer mehr unterschiedliche Radmodelle unterwegs sind.
Fazit: Das E-Dreirad punktet mit Fahrspaß und Bequemlichkeit. Für den Alltagseinsatz in der Großstadt ist es aber auf durchgängige und barrierefreie Radnetze angewiesen.
Tim Albrecht
Das Testrad hat uns die e-motion e-Bike Welt in Bonn zur Verfügung gestellt. Das Modell Pfautec „Scoobo“ ist ab 6.199 Euro erhältlich.
Informationen des VCD zum sicheren E-Rad-Fahren sowie zu E-Dreirädern finden Sie auf e-radfahren.vcd.org