Fahradfahren auf dem Land
Radverkehr rückläufig
Für die Menschen auf dem Land ist das Auto unter den Verkehrsmitteln erste Wahl. Dörfer und Kleinstädte brauchen mehr und sichere Radwege.
Die kleine Gemeinde Wettringen im nördlichen Münsterland belegt erneut den ersten Platz als fahrradfreundlichste Kommune im ländlichen Raum. Unter den Orten bis zu 20 000 Einwohnern hat im ADFC-Fahrradklimatest kein Dorf und keine Kleinstadt in Deutschland besser abgeschnitten. Wettringen erhielt überall beste Noten: Der Ort bietet demnach schnelle und komfortable Radwege in die Nachbarorte und bekam einen Sonderpreis, weil Kinder und Jugendliche hier sicher und selbstständig mit dem Fahrrad unterwegs sein können.
Landgemeinden, in denen die Bewohner*innen das Fahrrad als Verkehrsmittel nutzen, sind in Deutschland rar gesät. Dabei könnte das Radfahren auf dem Land Spaß machen: Die Wege innerhalb der Gemeinde sind kurz, es gibt viel Platz, viel Grün, gute Luft. Trotzdem steigen die Menschen gerade dort für die Mehrzahl ihrer Wege ins Auto. Nur etwa sieben Prozent der Fahrten absolvieren sie noch mit dem Fahrrad.
Das zeigt die Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD), die die Bundesregierung regelmäßig in Auftrag gibt. Die MID zeigt auch: Während in Metropolen der Fahrradanteil an den Wegen zwischen 2002 und 2017 von neun Prozent auf 15 Prozent deutlich zugenommen hat, zeigen die ländlichen Gebiete eine rückläufige Entwicklung: Das Rad bleibt immer öfter im Schuppen. Besonders traurig ist der Trend bei Kindern und Jugendlichen: Fuhren 2002 noch 23 Prozent der 10- bis 19-Jährigen in Dörfern und Kleinstädten mit dem Fahrrad zur Schule oder nachmittags ins Schwimmbad, waren es 2017 nur noch 15 Prozent – die anderen landeten im Elterntaxi.
Die aktuellen Erhebungen für die Alltagsmobiliät 2023 sind gerade gestartet. Robert Vollmer, der für das Sozialforschungsinstitut Infas die MiD leitet, erwartet für den Radverkehr auf dem Land kaum Veränderungen: „Wir sehen in anderen Studien, dass die durchschnittliche Länge der geradelten Wege steigt, ganz grob von drei auf vier Kilometer. Was wenig aussieht, aber beachtlich ist. Es fahren also in etwa die gleichen Leute längere Strecken, über alle Zwecke hinweg. Die Nicht-Radler sind noch nicht geknackt“, sagt Vollmer.
Was hat Wettringen also besser gemacht? Warum fahren die Menschen hier mehr Fahrrad und bewerten ihren Ort so gut? Der Kreis Steinfurt, zu dem die Gemeinde gehört, hatte einen dezidierten Plan, der mehr Menschen aufs Rad bringen sollte. In dem Radverkehrskonzept haben die Planer die ganze Region in den Blick genommen und ein Netz aus breiten Wegen für den schnellen und sicheren Alltagsradverkehr angelegt, das die kleinen Orte untereinander und mit der Kreisstadt verbindet. Und dieses Angebot bekommt dann entsprechend Zuspruch – auch bei radelnden Kindern.
Mehr Rückenwind könnte das Fahrrad auf dem Land durch E-Bikes bekommen. Lange Strecken fahren sich komfortabler – auch wenn die Topografie nicht so flach ist wie im Münsterland. Jede Region – egal wie bergig sie ist – könnte fahrradfreundlicher werden, sie muss es nur wollen. Da ließe sich anknüpfen: Gäbe es Radschnellwege, die das Land mit den Arbeitsstätten in der Stadt verbinden, könnten die Landbewohner*innen sich täglich und nicht nur sonntags auf den Sattel ihrer E-Bikes schwingen – am Radbesitz mangelt es nämlich nicht.
Uta Linnert