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Uta Linnert
apeyron/istockphoto.com

Reise 3/2023

Kreuzfahrt klimafreundlich?

Per Schiff nach Norden

Mit neuen Antrieben soll die Schiffspassage entlang der norwegischen Küste umweltverträglicher werden.

Bunte Häuser stehen direkt am Wasser, dahinter Berge und grauer Himmel. Im Vordergrund fliegt eine Möwe.
Uta LinnertIm historischen Viertel Bryggen in Bergen sind die Handelshäuser der Hanse erhalten.

Als die Havila Castor  planmäßig um 22:35 Uhr im Fährhafen von Molde festmacht, sind noch einige Passagiere an Deck. Sie beugen sich über die Reling: Nicht viel los am Kai der kleinen norwegischen Kommune. Unten steht eine einzelne Frau ohne Gepäck, nur mit Handy in der Hand. Über die Gangway kommt ihr eine junge Frau entgegen. Die beiden treffen sich auf dem Steg, umarmen sich, lachen, quatschen, umarmen sich aufs Neue. So geht das eine Weile: Beide freuen sich ganz offensichtlich über das Wiedersehen. Neben dran werden große Kartons verladen, einige raus, andere rein. Zum Abschied umarmen sich die Frauen ein letztes Mal, die Passagierin steigt wieder ein, die Frau am Kai verschwindet im Dunkeln. Pünktlich, um 23:05 Uhr, legt das Fährschiff wieder ab.

Wir sind unterwegs auf der Postschiffroute entlang der Küste Norwegens. Hier fährt die Reederei Havila seit letztem Jahr unter der Marke Kystrouten in Konkurrenz zu dem bisher alleinigen Anbieter Hurtigrouten auf der gleichnamigen Strecke. Die beiden neuen, mit Flüssiggas und Strom angetriebenen Schiffe  sollen die Küstenschifffahrt nachhaltiger machen – mit weniger Schad­stoffausstoß und einem nachhaltigen Bewirtschaftungskonzept. Zwei fahren bereits auf der Linie Bergen – Kirkenes, zwei weitere sollen in diesem Jahr in Betrieb gehen. Die norwegische Regierung hatte die Konzessionen für die Linie neu ausgeschrieben und deutlich weniger Emissionen zur Bedingung gemacht. Ab 2026 ist im bekannten Geirangerfjord im UNESCO-Weltnaturerbe Westnorwegische Fjorde nur noch emissionsfreier Schiffsverkehr zugelassen. Die viel befahrenen Fjorde sind durch Dieselabgase stark belastet – das soll sich ändern.

Ein großes Schiff liegt im Hafen, man blickt auf den Bug.
Uta LinnertZeit für einen Landgang

Alte Hansestadt Bergen

Pünktlich auf die Minute hatte die Castor am Vortag um 20:30 Uhr in Bergen abgelegt. Bergen war einst die größte Stadt des Landes, Handelsstadt der Hanse mit weltweiten Verbindungen. Man handelte mit Fisch und Tran, kaufte Salz und Getreide. Das historische Viertel Bryggen an der Ostseite des Hafenbeckens ist Zeuge dieser Zeit: Wo früher die Hanseaten ihre Waren umschlugen, sitzen heute Einheimische und Besucher*innen in Cafés, schauen sich Galerien an und schlendern durch enge Gassen. Die bunten Holzhäuser sind das bekannteste Fotomotiv der Stadt, wenn nicht ganz Norwegens. Von hier fährt eine Standseilbahn hinauf auf den Hausberg Fløyen. Obwohl Bergen die regenreichste Kommune Europas ist – bei unserem Besuch reißen die Wolken auf und geben den Blick auf eine sonnige Stadt am Wasser frei. Gut zu wissen für Freund*innen gelingender Reiseschnappschüsse: Um 14:45 Uhr läuft die Havila Castor fotogen im Hafen ein.

Drei kleine golden-braune Törtchen stehen auf einem weißen Teller
Havila VoyagesKunstwerke auf dem Teller statt Buffet

Schiffsantrieb: Strom und Gas

Aus der Innenstadt erreichen Passagiere den Anleger bequem zu Fuß. Schon von Weitem können sie das 124 Meter lange und 12 Meter breite, ozeanblaue Schiff mit goldener Aufschrift und strahlend weißem Aufbau am Kai liegen sehen. Hier bunkert die Castor vor der Abfahrt LNG und Landstrom. Weil die Motoren mit Erdgas statt mit Schiffsdiesel laufen, verspricht die Reederei eine CO2-Ersparnis von 25 Prozent und eine Reduzierung des Stickstoffoxid-Ausstoßes um 80 Prozent. Die Schiffe sind so konzipiert, dass sie auf Wasserstoff umgerüstet werden könnten, sollte diese Energiequelle jemals ausreichend zur Verfügung stehen. Weil alle darauf spekulieren und es in naher Zukunft nicht danach aussieht, fahren die Havila-Schiffe weiter überwiegend mit Erdgas. Doch ein Novum sind die bisher größten verbauten Batteriepakete an Bord. In Bergen laden sie Strom aus Wasserkraft, mit dem das Schiff im Verlauf der Reise bis zu vier Stunden emissionsfrei durch die engen Fjorde manövrieren kann. Die elegante Erscheinung des Schiffes hat ebenfalls einen tieferen Sinn: Der schlanke Rumpf sorgt dafür, dass die Castor besonders energieeffizient durchs Wasser gleitet. Ein weiterer Schritt zur Energieeinsparung: Die überschüssige Wärme der Antriebe nutzt das Schiff für die Heizung oder das Duschwasser in den Kabinen.

Die Castor hat Platz für 640 Passagiere – es gibt einfache Schlafkabinen ohne Tageslicht innenliegend und geräumige Außenkabinen auf mehreren Decks mit großen Panoramafenstern für den Blick vom Bett aufs Meer. Ein Kontingent an Kabinen und Schlafsesseln muss die Reederei für den lokalen Fährverkehr freihalten. Denn die Schiffe sind eben auch Nahverkehrsmittel im Staatsdienst – für den Weg der Norweger*innen zur Arbeit, für Besuche und für den Warentransport. Seit 1893 verbinden Linienschiffe 34 Häfen entlang der zerklüfteten norwegischen Küste bis zur russischen Grenze. Die Schiffe der „schnellen Route“, wie der Begriff Hurtigrouten übersetzt heißt, nehmen alles mit, was reinpasst: Baumaschinen, Kühlschränke und Post. 

Norwegen als grüne Silhouette auf hellem untergrund. Entlang der Küstenlinie sind Städte markiert
Havila VoyagesNach festem Fahrplan fahren Schiffe entlang der norwegischen Küste und passieren dabei 34 Häfen.

Essen aus Norwegens Natur

Beim Auslaufen in Bergen ist es dunkel und draußen sind die Lichter der Stadt vorbeigezogen. In den Kabinen empfängt die Passagiere nordisches Design: ruhige Farben, helles Holz und warmes Licht. Keine überflüssige Deko stört den Blick, keine Wegwerfprodukte stehen herum, keine Musik dudelt. Stattdessen finden die Gäste eine Checkliste, die sie motivieren will, das bordeigene Eco-Voyager-Programm zu unterstützen.

Einen Teil davon lernen wir beim Abendessen an Bord kennen. „Sie reisen in der Natur, der Dresscode ist daher leger und Sie müssen sich für das Abendessen nicht anders anziehen“, heißt es im Prospekt. Aufatmen beim Blick in den Koffer, in dem die dicke Winterjacke mit Mütze und Handschuhen schon den meisten Platz eingenommen hatte. Auch wenn sich nicht alle daran halten – Clubjacken und Glitzerkleider sieht man im Restaurant keine. Auch andere Klischees, die wir aus Filmen und Serien im Kopf hatten, können wir über Bord werfen. Es gibt keine Buffets und kein Kapitänsdinner. Jeder Gast bestellt für sich, und die entspannte Crew bringt dann köstliche kleine Kunstwerke serviert auf Einzeltellern aus der Küche an den Tisch.

Fisch und Meeresfrüchte aus nordischen Gewässern und dem Polarmeer stehen auf der Speisekarte, aber auch Fleisch von Tieren der norwegischen Inseln und vegetarische Gerichte mit Pilzen, Früchten und Beeren. Einer der Chefköche erklärt das Prinzip: „Wir stellen uns dem Food Waste entgegen.“ Die Küche justiere ständig nach, wie viel Gramm auf jeden Teller komme. Das Ziel: Pro Gast und Tag möchte man auf den Havila-Schiffen maximal 75 Gramm Lebensmittel wegwerfen müssen. „Auch deshalb verzichten wir auf die üblichen Brotkörbe auf den Tischen“, erklärt der 42-jährige Koch, der aus Schweden stammt und vorher 16 Jahre an Land gekocht hat. Wer Brot möchte, bestellt Brot. Und wer noch Appetit hat, bestellt ein weiteres Gericht dazu. Oder genehmigt sich ein Dessert mehr als sonst. Das gehört zur Vollpension.

Am nächsten Morgen zeigt der Blick auf die Landkarte: In der Nacht hat unser Schiff zwei Häfen angelaufen, doch die meisten Passagiere haben das verschlafen. Während des Frühstücks steuert die Castor noch kurz die kleine Gemeinde von Torvik an. Einzelne Häuser, Wiesen und Weiden ziehen an den Panoramafenstern vorbei. Nach zehn Minuten geht die Fahrt schon weiter. Auf der Backbordseite kommt die bewohnte Vogelinsel Runde in den Blick. Als steiles Gebirge erhebt sich Runde aus dem Meer. Ihre exponierte Lage weit draußen im Atlantik macht sie zu einer idealen Basis für viele Seevögel. Die Vogelfreunde an Deck haben die Ferngläser vor den Augen; wir gleiten an einem verschlafenen Hafen, Fischerbooten und den typisch rostroten Hafenschuppen vorbei.

Blick von oben auf eine Stadt, die sich um einen Fjord rankt.
Uta LinnertStartpunkt der Postschiffroute entlang der norwegischen Fjordküste: der Hafen von Bergen

Ausflüge in die Fjorde

Dass die Küstenroute auch eine Kreuzfahrt ist, zeigt der Blick ins Ausflugsprogramm. Fast täglich gibt es einen längeren Stopp, für den die Passagiere ihr Programm auswählen können. Beim nächsten Stopp in Ålesund hält das Schiff je nach Jahreszeit acht bis neun Stunden. Hier gibt es viel zu tun: Spaziergänge durch die Jugendstilstadt stehen zur Auswahl, Kajak-Touren, Fjordwanderungen, Seilbahnfahrten. Während der Sommermonate wird von hier aus der Geirangerfjord angesteuert. Weiter nördlich in den Häfen können die Passagiere die arktische Küste erwandern, Husky-Touren oder Schlittenfahrten mit Rentieren unternehmen. Am Nordkap stehen Begegnungen mit den Samen im Programm oder der Besuch einer arktischen Sauna mit anschließendem Bad im Eis.

Nach dem Landgang dürfen wir auf die Brücke. Eivind Lande ist erster Steuermann auf der Castor und erfahrener Seemann in den norwegischen Schären. Das Schiff und die Antriebstechnik sind auch für ihn neu. „Meistens fahren wir mit den Gasmotoren“, erklärt er. Von einer wirklich emissionsfreien Seereise ist man noch weit entfernt. Vom Schweröl seien sie weg, aber die Möglichkeit, ausreichend Landstrom zu tanken, sei noch nicht überall ausgebaut, sagt der Steuermann. „Es kommt mehr, und wir brauchen es dringend“, sagt er knapp. Als wir wieder an Deck sind, hat Eivind Lande auf die Stromaggregate umgeschaltet: Das große Schiff gleitet jetzt absolut lautlos durchs Wasser.

An unserem letzten Reisetag halten wir Kurs auf Trondheim: draußen raue Landschaft aber kaum Wind und ruhiges Wasser. Hinter den Panoramascheiben sitzen die Passagiere in breiten Sesseln, träumen, trinken Kaffee oder unterhalten sich leise. Oft sind es Paare, Töchter und Söhne mit ihren Eltern. Weil wir außerhalb der Saison fahren, ist überall Platz, um die Reise auch allein zu genießen. Vielen Menschen gilt diese Passage als eine der schönsten Seereisen der Welt. Einige machen nur ein Teilstück, fahren etwa bis Bodö am Polarkreis und von dort mit dem Zug zurück – oder weiter mit dem Fahrrad. Andere, die Zeit haben und deren Reisekasse es erlaubt, schiffen sich für die ganze Strecke ein, fahren die zwölf Tage von Bergen nach Kirkenes hin und zurück und lassen die Breitengrade an sich vorüberziehen. Wir steigen in Trondheim aus. Kurz war die Fahrt, wir hatten gerade begonnen, uns einzuleben. Die dicke Jacke haben wir nicht gebraucht, die See war ruhig, die Luft mild. 13 Grad mit Sonnenschein sind zu jeder Jahreszeit ein Glück an dieser wilden Küste. Polarlichter haben wir keine gesehen, obwohl wir den Polarlichtalarm am Telefon eingeschaltet hatten. Der Kapitän hätte uns geweckt, wenn sie am Himmel erschienen wären. Dafür müssen wir wieder nach Norwegen kommen und weiter in den Norden reisen.

Uta Linnert

Kystrouten

Jede Passage zu jedem Hafen ist separat buchbar. Die Passage von Bergen nach Kirkenes, sieben Tage/sechs Nächte, kostet in der Außenkabine im August ca. 2 200 Euro pro Person mit Vollpension, im November ab 1 700 Euro. Innenkabinen sind um einiges günstiger.

havilavoyages.com/de

Reisen mit Klimaschutzfaktor

Wer aus der Küstenroute eine klima­freundliche Norwegenreise machen möchte, kann mit Bahn und Fährschiff anreisen. Ab Kiel fährt die Color Line nach Oslo, von dort die Bergensbanen nach Bergen. Die Zugstrecke ist eine der höchstgelegenen Hauptbahnen Europas und gilt als eine der landschaftlich schönsten Bahnstrecken in Nordeuropa.

Weitere Informationen zur Planung: www.wirsindanderswo.de/anreise/bahnanreise-auf-der-mittelstrecke