Editorial 3/2023
Klimakrise
Raus aus der Komfortzone
Die Welt Brennt und wir liegen seelenruhig in der Sonne. Wir hören morgens die Nachrichten über Wassermangel in Südeuropa, mittags die Meldung über wütende Waldbrände in Kanada, abends über Rekordtemperaturen im Nordatlantik. Aber der Großteil von uns bleibt seelenruhig, plant seinen Urlaub, geht zum Sport und schaut abends den Tatort. Ich wohne in einem bürgerlichen Viertel mit vielen Menschen, die studieren oder ihr Studium bereits abgeschlossen, danach promoviert haben und heute Professorentitel führen. Es geht uns gut, die Autos werden immer größer und jetzt werden noch schnell H2-ready-Gasheizungen im Keller eingebaut.
Wie ist es möglich, dass wir den Kollaps der Zivilisation in diesem Jahrhundert riskieren, dass Eltern und Großeltern ihre Kinder und Enkelkinder in eine Klimahölle schicken, die uns von allen – also wirklich von allen – Klimaforscher*innen vorhergesagt wird? Wir lieben unsere Kinder. Aber wir gehen der Klimaleugner-Propagandamaschine auf den Leim und glauben immer noch, es würde schon nicht so schlimm werden, wir hätten noch Zeit.
Die Öl- und Gasbranche hat ganze Arbeit geleistet. Über Jahrzehnte hat sie den Zusammenhang zwischen ihren Geschäftsmodellen und der Klimakrise mit bezahlter Propaganda geleugnet und Studien unter Verschluss gehalten. Doch damit kommt sie nicht mehr durch. Die Klimakrise ist nicht mehr zu übersehen. Es gibt das Abkommen von Paris, Umweltverbände machen politisch Druck und junge Leute greifen zu verzweifelten Maßnahmen. Also hat sich die fossile Lobby auf Verharmlosen und Verzögern verlegt. Sie sät Zweifel und macht Angst. Ihr mächtiger Arm reicht bis hinein in den Bundestag.
Während wir brav Müll trennen, Klamotten recyceln, Licht ausknipsen und Fahrrad fahren, wird in der Bundesregierung blockiert und verzögert. Die FDP will uns weismachen, wir könnten demnächst mit E-Fuels fahren und mit Wasserstoff heizen. Tempolimits nennt Wissing Freiheitseinschränkung. In Bayern wollen Söder und sein Spezi Aiwanger die Welt mit Schnitzelessen retten. In der Bild-Zeitung laufen unsägliche Heizhammerkampagnen, und im Fernsehen kommt der Klimawandel erschreckend wenig vor: 2021 und 2022 bekam das Klima nur zwischen einem und 2,4 Prozent Sendezeit im Programm von ARD und ZDF.
Der Feueralarm der Klimawissenschaft ist eindeutig: Wir haben weniger als zehn Jahre Zeit, um die Emissionen drastisch zu reduzieren. Geht es so schleppend weiter, werden gefährliche Kipppunkte überschritten sein, bevor unsere Kinder oder Enkelkinder die Schule verlassen. Und was sagt Klimaminister Habeck dazu, der gerade seine Wärmewende verschieben musste? „Wir reißen die Klimaziele, wenn wir nicht besser werden.“
Und jetzt kommen wir ins Spiel: Für den Klimaschutz braucht es gesellschaftliche Mehrheiten – und Druck von der Straße. Gehen Sie raus, verlassen Sie die Komfortzone und überlassen Sie den fossilen Lautsprechern nicht den Raum. Schaffen Sie Bewusstsein für Veränderung, werden Sie aktiv für die Verkehrswende, sie ist Teil der Lösung. Mülltrennen rettet uns nicht, wir müssen an großen Rädern drehen. Denn die Physik lässt sich nicht vom Wegschauen beeindrucken.
Uta Linnert