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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Service 2/2023

Feinmobilität

Kleiner wäre feiner

Der VCD unterstützt das Forschungsprojekt Feinmobilität: Die Verkehrsplanung soll zum menschlichen Maß zurückkehren.

Ein großes geparktes Auto blockiert einen Gehweg in einer Wohnstraße.
Uta LinnertBeispiel Bonn Südstadt: Große Autos machen sich auf Gehwegen breit und beanspruchen deutlich zu viel Platz.

Kein Platz mehr vorn und hinten. Wer in die Straßen deutscher Städte schaut, sieht, wie alles mit parkenden Autos vollgestopft ist. Seit Jahren werden in Deutschland zugelassene Autos breiter, länger und höher. Doch der öffentliche Raum ist begrenzt, die Flächen wachsen nicht mit. Allein im letzten Jahr waren 30 Prozent aller Neuzulassungen massige SUVs. Wohin damit? Viele neue Autos sind zu groß für die bisherigen Abmessungen von Pkw-Stellplätzen. Sie machen sich rücksichtslos auf Fuß- und Radwegen breit. Ein durchschnittliches Auto benötigt zum Parken mittlerweile mehr als 12 Qua­dratmeter – und steht dabei 23 Stunden am Tag herum.

Es ist an der Zeit, aufzuräumen. Das Forschungsprojekt Feinmobilität der Universität Kassel will für neue Bewegung und mehr Platz sorgen und das Umdenken hin zu kleineren Fahrzeugen anstoßen. „Wir wollen dabei helfen, die Aufrüstungsspirale bei den Fahrzeugen zu durchbrechen“, sagt Projektleiter Carsten Sommer. Der Professor mit dem Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme leitet das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderte Forschungsprojekt. Es soll die große Vielfalt der neuen Bewegungsmittel zeigen – und dass es für die täglichen Wege in der Stadt nicht das große Auto sein muss.

Dafür haben die Stadt- und Verkehrsplaner*innen mehr als einhundert Verkehrsmittel vermessen und in Konfektionsgrößen zwischen XXS, XS, S, M, XL und XXL eingeteilt. Angefangen haben sie bei Skateboards und Tretrollern, dann kommen Fahrräder, Lastenräder, Kabinenroller und Minicars bis schließlich unter XXL die extragroßen Geländewagen einsortiert sind. „Daraus lässt sich ablesen, wie viel Raum die Fahrzeuge einnehmen. Feinmobilität ist Mobilität zu Fuß und mit Bewegungsmitteln im Spektrum zwischen Schuh und Auto. Bewegungsmittel sind Fahrzeuge und Mobilitätshilfen – also alles, was den Menschen über die eigenen Füße hinaus hilft, sich, andere Menschen und Transportgüter fortzubewegen“, erklärt Projektleiter Sommer die Einteilung.

15 Zentimeter mehr

Anfang des Jahres hatte eine neue Leitlinie zum Parken für Aufregung gesorgt: Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) mit Sitz in Köln hat festgelegt, dass Parkplätze in Deutschland ab sofort 15 Zentimeter breiter und zehn Zentimeter länger gebaut werden sollen.

Die FGSV ist zuständig für das Regelwerk der Stellplätze.  Der gemeinnützige Verein, dessen Mitglieder Ingenieure, Professorinnen, Straßenbauer und Vertreterinnen und Vertreter kommunaler Verbände sind, legt beispielsweise die Größe des sogenanntes Bemessungsfahrzeugs für den Bau von Parkplätzen fest. Diese Größe hat die FGSV jetzt an die Realität angepasst. Das neue Bemessungsfahrzeug der FGSV ist 4,88 Meter lang und 1,89 Meter breit – ohne Außenspiegel. Mit Spiegeln ist es 2,13 Meter breit. Damit ist es größer als der VW Golf, der ebenfalls in die Breite ging: von der ersten Baureihe im Jahr 1974 bis zum aktuellen Modell um 17 Zentimeter. Heute ist ein Golf 1,78 Meter breit, inklusive der Außenspiegel sind es sogar 2,05 Meter. In der Länge ist er um einen halben Meter gewachsen. Kein Wunder also, dass Straßen und Plätze vor lauter Blech aus allen Nähten platzen.

Petra Schäfer hat das neue Regelwerk mitverfasst, das üblicherweise als objektiver Stand der Technik anerkannt wird. Die Professorin für Verkehrsplanung an der Frankfurt University of Applied Sciences leitet bei der FGSV den Arbeitsausschuss Ruhender Verkehr. Schäfer ist gerade viel mit der Verteidigung der neuen Parkplatzrichtlinie beschäftigt, die auf Kritik stößt. „Unsere Empfehlung gilt für den Bau neuer Parkhäuser und Tiefgaragen, und für Parkplätze, die fürs Senkrechtparken angelegt werden, also quer zur Fahrbahn. Hier brauchen wir eine Breite von 2,65 Metern, das sind

15 Zentimeter mehr als vorher. Am Straßenrand bleibt es bei den alten Maßen von zwei Metern“, sagt sie, wohl wissend, dass dann nicht alle Autos dort hinpassen. Die Kritik am ewigen Wachstum der Autos teilt Verkehrswissenschaftlerin Schäfer: „Wir wollen, dass die Autos kleiner werden“, sagt sie, „weil wir den Platz für andere Verkehrsmittel brauchen.“ 

Ein sehr großer Geländewagen parkt vor einem sehr kleinen Auto auf einem Grünstreifen.
Uta LinnertWieviel Tonnen Maßlosigkeit beansprucht ein Mensch für seine Wege?

Feinmobilität zeigt den Ausweg

Der VCD wehrt sich generell gegen die autozentrierte Aufteilung des öffentlichen Raums. „Wir müssen handeln, statt uns von der Automobilindustrie die Größe der Parkplätze in Städten und Gemeinden diktieren zu lassen“, sagt VCD-Bundesvorsitzende Kerstin Haarmann. Sie findet es ärgerlich, dass die FGSV in diesen Zeiten mit einer neuen Richtlinie für größere Parkplätze in die Öffentlichkeit geht. Problematisch sei, dass das Bundesverkehrsministerium deren Empfehlungen und Richtlinien in der Regel per Erlass einführt und damit faktisch Vorgaben für Planung und Bau macht.„Neben der Fläche, die die großen Autos beanspruchen, ist auch deren Höhe ein Problem, die vielen Menschen – insbesondere Kindern –  die Sicht auf Straße und Kreuzungen komplett versperrt“, beklagt Haarmann.

Hier kommt wieder die Feinmobilität ins Spiel. Eine Arbeitsgruppe im VCD arbeitet zusammen mit der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL) e.V. und dem Freiburger Kreativstudio The Urban Idea im Kasseler Uniprojekt mit. „Wir brauchen dringend Abrüstung im Verkehr, weg von den massigen hin zu den feineren Fahrzeugen“, begründet Haarmann das VCD-­Engagement.

Für viele Autofahrten gibt es Alternativen – das ist die zentrale These des Forschungsprojekts Feinmobilität. Nicht nur der ÖPNV, sondern auch andere Fortbewegungsmittel sollen genutzt werden. Für den Einsatz in der Stadt schlägt Carsten Sommer vor, Fortbewegungsmittel und kleine Elektrofahrzeuge der Größe XXS bis S bevorzugt zu behandeln.

Die Menschen sollen angeregt werden, kleinere Fahrzeuge für ihre täglichen Wege zu nutzen: Kommunen, Vermieter, Arbeitgeber oder der innerstädtische Handel könnten in Zukunft Stellplätze nach Größe anbieten und XL- oder XXL-Fahrzeuge womöglich gar nicht erst zulassen – oder zumindest mit einem klugen Einfahrts- und Parkraummanagement die Preise anpassen. „Mehr feinere Fahrzeuge bringen mehr Kundinnen und Kunden direkt vor die Ladentür als wenige große Autos. Deshalb könnte der Handel die Fläche unmittelbar vor dem Geschäft vorrangig für XS- und S-Fahrzeuge freihalten“, schlägt Kerstin Haarmann vor. Gäbe es im Wohngebiet oder in Tiefgaragen mehr S- als große XXL-Parkplätze, überlegten sich die Menschen vielleicht, welches Fahrzeug sie kauften oder nutzten.

Instrument für Kommunen

Auch der Deutsche Städtetag könnte Gefallen an der Feinmobilität finden.  Dessen Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy hat den Trend zu großen Autos oft kritisiert und höhere Parkgebühren für SUV und andere große Wagen ins Spiel gebracht: „Der Trend bei den Autos kennt offenbar nur eine Richtung: immer größer, immer schwerer. Das passt nicht in eine Zeit, in der wir über Energie- und Flächensparen, Klima- und Ressourcenschutz diskutieren.“ Für mehr Lebensqualität in den Städten brauche es weniger und nicht noch mehr größere Autos. Deshalb sei es „naheliegend, den großen Fahrzeugen auch die tatsächlichen Kosten für Parken und Fahren zuzuordnen“.

Die standardisierte Einordnung aller Fortbewegungsmittel in XXS bis XXL könnten Stadtplanerinnen und Bauingenieure als Bezugsgrößen heranziehen. „Wir müssen die Querschnitte der Straßen neu denken, und zwar von außen nach innen“, sagt VCD-Bundesvorsitzende Kerstin Haarmann. Erst muss der Fußverkehr seinen Platz bekommen, dann der Radverkehr und der ÖPNV. Wenn neben der Fahrbahn für die immer größeren Fahrzeuge kein Platz zum Parken mehr bleibt, dann dürften für diese keine Parkplätze mehr ausgewiesen werden. Schließlich müssen auch Rettungswagen oder die Müllabfuhr durchfahren können. „Es wäre sozialer und flächengerechter, mehr Stellflächen für feine als wenige für grobe Fahrzeuge auszuweisen“, sagt Haarmann.

Grafik mit Fotos verschieden großer Fahrzeuge
Projekt Feinmobilität 2022Das Projekt Feinmobilität teilt Fahrzeuge in Konfektionsgrößen ein.

Autoindustrie schafft Fakten

In der Praxis ist es längst so, dass viele vor Jahren gebaute Quartiersgaragen keine XXL-Geländewagen mehr aufnehmen können, weil der Platz zum Wenden und Abstellen dieser Fahrzeuge nicht ausreicht. In den Wohngebieten passen die massigen Autos nicht mehr in die Hausgaragen und parken deshalb in der Einfahrt, ragen auf öffentliche Gehwege oder stehen direkt am Fahrbahnrand. Hier müssten die Kommunen gegensteuern, fordert der VCD. Denn jeder Zentimeter mehr auf dem Radweg oder Bürgersteig macht das Leben für die Menschen zu Fuß und auf dem Rad sicherer und verändert ihre Wege entscheidend.

Die Stadt Tübingen ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Sie hat den Preis fürs Anwohnerparken angehoben – auf 120 Euro pro Jahr. Für große Autos kostet er 180 Euro pro Jahr. Erst im letzten Jahr hatte die Bundesregierung  den Weg dafür frei gemacht. Zuvor begrenzte das Bundesrecht die Gebühren auf 30,70 Euro pro Jahr, was den teuren städtischen Bodenpreisen in keiner Weise gerecht wurde. Freiburg im Breisgau geht noch einen Schritt weiter: Dort werden die Gebühren in Abhängigkeit der Fahrzeuglänge bemessen – bis 4,20 Meter betragen die Kosten 240 Euro, darüber bis 4,70 Meter 360 Euro. Autos, die noch größer sind, zahlen 480 Euro jährlich. Zum Vergleich: In Stockholm werden bis zu 1 309 Euro pro Jahr für Bewohnerparkausweise verlangt.  

Straßen neu aufteilen

Im Grunde sind sich viele Verkehrswissenschaftler und Planerinnen einig: Die Städte können den überbordenden Autoverkehr nicht mehr aufnehmen, er muss weniger werden. Abgesehen von der Parkproblematik muss der Verkehrssektor die Klimaziele einhalten, die das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung vorgibt. Auch die FGSV hat den Weg Richtung Klimaschutz eingeschlagen. „Wurden bislang alle Verkehrsarten gleichberechtigt betrachtet, wird der Fuß- und Radverkehr künftig in den Entwurfsregelwerken für Stadtstraßen bevorzugt“, verspricht der Verein.  

Jürgen Gerlach leitet die Kommission Nachhaltigkeit der FGSV. Der Professor für Straßenverkehrsplanung und -technik an der Bergischen Universität Wuppertal hat mit einer Arbeitsgruppe die verbindliche Empfehlung „E Klima 2022“ herausgegeben. Ihr zufolge „müssen Radwege, Radfahrstreifen und Schutzstreifen für den Radverkehr breiter als bisher geplant und umgesetzt werden. Radwege sollen dann auch mindestens zwei Meter breit sein statt 1,60 Meter.“ Fußwege sollten eine nutzbare Breite von 1,80 Metern haben, erklärt Gerlach. Auch für Parkplätze an Straßen werde es neue Empfehlungen geben. Es gelte der Grundsatz, so wenig Flächen wie möglich dafür einzuplanen. Parkplätze sollten zukünftig auch außerhalb von Wohngebieten angelegt werden können, sagt der Verkehrsplaner gegenüber der fairkehr. Es sei nicht einzusehen, warum Nutzerinnen und Nutzern von öffentlichen Verkehrsmitteln ein Fußweg von 400 Metern zur Haltestelle zugemutet werde, die Autofahrerinnen und Autofahrer aber wie selbstverständlich davon ausgingen, ihren Wagen direkt vor der Haustür abzustellen.

Für den VCD sind konsequentes Parkraummanagement und der Aufbau von bequemen und ausreichend dimensionierten Nahmobilitätsnetzen der entscheidende Weg zu mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung von Flächen zwischen Menschen und Verkehrsmitteln. Dazu soll die Initiative Feinmobilität beitragen.

Bei einer gerechten Aufteilung des Straßenraums werden eine ganze Reihe Parkplätze wegfallen. Deshalb ist es konsequent, Parkflächen in Wohnquartieren zu bewirtschaften. Eine Einteilung der Fahrzeuge nach Größenklassen, wie das Projekt Feinmobilität es vorschlägt, kann dabei helfen. In Zeiten, in denen immer mehr Menschen aufs Rad umsteigen oder zu Fuß unterwegs sind, müssen die Städte und mit ihnen die Bürgerinnen und Bürger entscheiden können – und einen Konsens finden – wer wie viel Platz bekommt. Denn es reicht ein Spaziergang durch die Wohnviertel einer beliebigen deutschen Stadt: Beim Parken sind die Grenzen des Zumutbaren längst überschritten.

Uta Linnert

fairkehr 2/2023