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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 1/2023

Bahn frei bis Stuttgart Hbf

Kappung der Gäubahn verhindern

Das Megaprojekt Stuttgart 21 bedroht die direkte Verbindung von Stuttgart zum Bodensee und in die Schweiz. Der VCD will die Kappung der Gäubahn verhindern.

Gero Treuner (links), Matthias Lieb (Mitte) und Marlis Heck vom VCD Baden-Württemberg stehen im Stuttgarter Hauptbahnhof und halten ein Transparent mit der Aufschrift "Die Gäubahn nicht unterbrechen" hoch.
Foto: VCD Baden-WürttembergVCD-Protest gegen die Unterbrechung: Gero Treuner (links), Matthias Lieb (Mitte) und Marlis Heck vom VCD Baden-Württemberg

Wenn in Stuttgart in zwei Jahren der neue unterirdische Hauptbahnhof in Betrieb geht, droht dem Fernverkehr auf der Gäubahnstrecke das Aus. Weil der oberirdische Kopfbahnhof bis dahin komplett abgerissen werden soll, haben die Gäubahnzüge ab 2025 keinen Anschluss mehr zum Hauptbahnhof, sondern sollen im Vorort Stuttgart-Vaihingen enden. Eine neue Verbindung muss erst gebaut werden. Die Unterbrechung würde sieben Jahre andauern – Zeitverzug ungewiss. Der VCD und etliche Verbände und Initiativen kämpfen für den Erhalt der durchgehenden Verbindung.

Gäubahn, das klingt nach einem Bähnlein, das durch abgelegene Land­striche entlang versprenkelter Bauern­höfe zuckelt. Tatsächlich ist die Gäubahn Bestandteil des Transeuropäischen Verkehrsnetzes TEN – einer internationalen Bahnstrecke zwischen Stuttgart über die Schweiz nach Italien. Intercitys fahren vom Haupt­bahnhof über Horb, Rott­weil und Singen an den Bodensee und ab Herbst 2023 stündlich nach Zürich.

1,4 Millionen Menschen leben in dieser wirtschaftsstarken Region Baden-Würt­tem­bergs, zwei Millionen, wenn man die Landeshauptstadt mit einrechnet. Geschäftsreisende, Pend­ler, Schülerin­nen und Studierende der Unis und Hochschulen in Konstanz und Stuttgart sorgen für hohe Auslastung. Es könnten noch mehr Züge sein, wäre die Strecke nicht seit dem Zweiten Weltkrieg eingleisig.

Die Reichsbahn hatte die Verbindung ab 1927 schon zweigleisig ausgebaut. Als die Franzosen 1946 ein Gleis als Reparationsleistung abbauten, beließ man es dabei. Die Verkehrspolitik hatte andere Ziele: Die ganze Republik verschrieb sich dem Autobahnbau.  „Das Schienennetz ließ man vor sich hindümpeln“, beklagt Matthias Lieb, Vorsitzender des VCD-Landesverbandes Baden-Württemberg, lediglich bei Horb mühe sich die Deutsche Bahn zurzeit mit dem Wiederaufbau des zweiten Gleises auf lächerlichen sechs Kilometern ab.

Das Beispiel ist kein lokales Problem, sondern durchaus exemplarisch für die Verkehrspolitik in Deutschland. Auch betrifft die Kappung der Gäubahn nicht nur die Menschen im Süden. Reisende, die aus dem Norden kommend den kürzesten Weg zum Bodensee oder nach Zürich fahren wollen, müssten zukünftig in Stuttgart Hbf aussteigen, mit der S-Bahn nach Vaihingen fahren, um von dort den Intercity in die Schweiz zu erwischen. Eine Zumutung.  

Wie konnte es so weit kommen?

Dass eine neue Strecke für die Fernzüge der Gäubahn ins Stuttgarter Zentrum nötig wäre, war den Verantwortlichen schon 1994 bei der Planung für Stuttgart 21 klar. Zeit genug hätte man also gehabt, sich in den fast 30 Jahren um Lösungen zu bemühen. Doch alle Ideen blieben in Planungsphasen hängen.   Die ursprüngliche, kostengünstige Lösung, den Fernverkehr über die S-Bahn-Gleise zum Flughafen und weiter in den Untergrundbahnhof einfahren zu lassen, scheiterte abwechselnd an Fragen zur Leistungsfähigkeit, zur Barrierefreiheit und zum Brandschutz. Nun soll ein milliardenteures Bauwerk die Lösung bringen: der Neubau des Pfaffensteigtunnels. Diese Verbindung mit einem elf Kilometer langen Tunnel über den Fernbahnhof am Flughafen könnte allerdings frühestens 2032 fertig werden. Deutsche Bahn, Stadt und Land stehen hinter dem teuren Tunnelbau, der Bund will die Finanzierung übernehmen. Für dieses Projekt läuft derzeit ein Planfeststellungsverfahren. Allerdings bekommen die Fahrgäste der Gäubahn allein beim Lesen dieses Wortes graue Haare. Sie wehren sich.

Ein Intercity fährt vom Stuttgarter Hauptbahnhof ab.
Foto: Deutsche Bahn AG/Jannik WalterNoch fahren moderne Intercitys über die Gäubahn-Strecke bis Stuttgart Hbf. Doch die oberirdischen Gleise sollen abgerissen werden – dann ist Schluss mit der direkten Verbindung.

„Wir fordern, die Gäubahn über 2025 hinaus zu erhalten“, sagt Matthias­­ Lieb vom VCD Baden-Württemberg. „Solange es keinen Ersatz gibt, muss die Gäubahn oberirdisch zum bisherigen Bahnhof fahren.“  Tausende Fahrgäste müssten sonst für viele Jahre auf S-Bahn, Busse und Stadtbahnen umsteigen.  

Derweil spricht sich die Stadt Stuttgart strickt gegen den Erhalt der oberirdischen Strecke zum Hauptbahnhof aus. Sie möchte die Filetgrundstücke im Zentrum endlich bebauen. „Stuttgart will baldmöglichst Wohnraum schaffen auf den bisherigen Gleisanlagen. Das ist von großer und größter Bedeutung für die vielen Wohnungssuchenden in Stuttgart und in der Stuttgarter Region“, sagte Frank Nopper, Oberbürgermeister  von Stuttgart, auf einer unter dem Namen „Faktencheck“ anberaumten Informationsveranstaltung zur Gäubahn Ende November letzten Jahres. Das ist gut nachvollziehbar und war der Stadt im  Rahmen des Baubeschlusses zum Tiefbahnhof auch zugesagt worden. Nur warum hat man dann alles so lange verzögert?

Endlose Verzögerungen

Auf dem Faktencheck-Termin beim Interessenverband Gäu-Neckar-Boden­see­Bahn, zu dem auch der VCD eingeladen war, formulierten die Verantwortlichen für den Bahnbetrieb wortreiches Bedauern über die bevorstehende jahrelange Unterbrechung der Gäubahn. Trotzdem stellten sich alle – vom Landesverkehrsministerium bis zur DB –  klar hinter die Kappung in Vaihingen. Verlängerte

S-Bahn-Verbindungen und engere Takte stellten sie als Trostpflaster in Aussicht, doch sei, so sagt es Thorsten Krenz, Konzernbevollmächtigter der DB, „der teilweise Weiterbetrieb des Kopfbahnhofs keine Option“.

Für den VCD, den Landesnaturschutzverband und den Fahrgastverband Pro Bahn ist die Kappung der Gäubahn Wortbruch gegenüber den Menschen im südlichen Baden-Württemberg. Ihnen war seinerzeit bei der landesweiten Volksabstimmung zum umstrittenen Bahnhof Stuttgart 21 eine Verbesserung der Anbindung zugesagt worden. „Jetzt bekommen sie genau das Gegenteil“, sagt Matthias Lieb, „und alles ohne Rechtsgrundlage.“ Inzwischen lägen drei juristische Gutachten vor, die eine Betriebspflicht für die DB auf der Gäubahnstrecke bis zum Hauptbahnhof sehen, führt der VCD-Landesvorsitzende aus. Darunter sei auch ein Gutachten, das Kommunen an der Strecke in Auftrag gegeben hätten. Sie liegen dem zuständigen Eisenbahnbundesamt gerade zur Prüfung vor.

Vielleicht können die Bürger*innen selbst die Kappung noch verhindern. „Wir wollen zum Hauptbahnhof“ ist eine Initiative von Fahrgästen, die das versucht. „Der selbstverständliche Wunsch, nicht jahrelang abgehängt zu werden, muss von einer breiten Öffentlichkeit dorthin getragen werden, wo Entscheidungen gefällt werden. In die Politik, in die Wirtschaft“, heißt es im Aufruf der Initiative, für die die Oberbürgermeister von Singen, Böblingen und Konstanz sowie die  beiden Rektorinnen der Uni und der Technischen Hoch­schule Konstanz verantwortlich zeichnen. Bürger*innen finden auf der Internetseite eine Liste mit Adressen von Kommunen, Institutionen und Politikern, die sie direkt per E-Mail anschreiben können. Also: Laptop aufklappen und loslegen, viel Zeit bleibt nicht.          

Uta Linnert 

fairkehr 1/2023