fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 1/2023

Bahnreisen

Im Nachtzug durch Europa

Abends in Paris in den Nachtzug steigen, morgens in Nizza aufwachen: So hat Familie Kleinschmitt einen Teil ihres Weges nach Korsika zurückgelegt. Was geht sonst noch auf dem europäischen Nachtzugmarkt?

Ein Zug fährt zwischen Feldern durch eine hügelige Landschaft.
Foto: SBB CFF FFSDie dunkelblauen Nightjets der Österreichischen Bundesbahnen ÖBB – hier im Einsatz in der Schweiz – begegnen westeuropäischen Nachtzugreisenden am häufigsten.

Es hätte so schön sein können: 2019 schwirrten viele große Ankündigungen privater Nachtzuganbieter durch die Medien, die neue Nachtzugverbindungen in Europa verkündeten. Doch dann kam die Pandemie, und passiert ist: nicht viel. Als einziger neuer Anbieter hat der Alpen-Sylt-Express 2020 seine Fahrt von Sylt nach Salzburg aufgenommen – und sie im Sommer 2022 wieder eingestellt. „Für private Anbieter ist es schwierig, eine rentable Nachtzugverbindung auf die Beine zu stellen“, meint Karsten Liebster, der seit über 15 Jahren als Bahnexperte für das Magazin Anderswo die europäischen Bahnverbindungen im Blick hat. Das liege nicht zuletzt an den hohen Trassenpreisen, die Züge für jeden gefahrenen Kilometer an den Schienennetzbetreiber – in Deutschland die Deutsche Bahn – bezahlen müssen.

Dabei liegen Reisen mit dem Nachtzug nicht erst seit der Coronapandemie im Trend. Als klimafreundliche Möglichkeit, auch weite Strecken zurückzulegen, nimmt das Interesse an praktischen, internationalen Bahnverbindungen zu. Doch der Markt entwickelt sich nur langsam.

Das französische Bahnunternehmen SNCF hatte zunächst, ähnlich wie die Deutsche Bahn, alle Nachtzugverbindungen eingestellt, und es sich dann – anders als die Deutsche Bahn – besser überlegt. Seit dem Frühjahr 2021 fahren wieder Nachtzüge zwischen Paris und Nizza, dank einer Kooperation mit den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) kam im Dezember 2021 eine Verbindung zwischen Paris und Wien über München hinzu.

Vorbild Österreich

Die ÖBB, die mit ihren Nightjets im westeuropäischen Raum das größte Nachtzugnetz bedienen, bauen ihr Angebot kontinuierlich aus. „Es gibt einige erfreuliche Entwicklungen, so wurde zum Beispiel die Strecke München–Mailand bis nach Genua verlängert. Diesen Sommer gibt es außerdem eine Verbindung von München nach Ancona. Wenn man in Reiseketten denkt, ist das ein sehr gutes Angebot, denn Genua und Ancona sind wichtige Fährhäfen, von denen die Reisenden weiter nach Sardinien, Korsika, Kroatien oder Griechenland reisen können“, erklärt Liebster, der auch im VCD-Landesverband Bayern aktiv ist.

Die ÖBB bedienen auch Nachtzugverbindungen zwischen Deutschland und der Schweiz, zum Beispiel ab Hamburg, Berlin oder Köln nach Zürich. „Insgesamt merkt man aber, dass viele Nachtzüge von den Abfahrtszeiten her eher nicht auf ein deutsches Publikum ausgerichtet sind. Das liegt auch an der Haltung der Deutschen Bahn“, meint Karsten Liebster. So gebe es eine neue Nachtzugverbindung der Tschechischen Bahnen (ČD) von Prag über Leipzig nach Zürich, die zwar weite Strecken innerhalb Deutschlands fahre, von den Abfahrtszeiten aber für Reisende ab Deutschland eher uninteressant sei.

Züge nach Nord und Ost

Eine Zugbegleiterin trägt zwei Tabletts mit Frühstück durch einen engen Zug-Gang.
Foto: picture alliance / SZ Photo | Stephan RumpfNach der Fahrt durchs nächtliche Europa gibt es vor der Ankunft am Zielbahnhof noch ein stil­echtes Frühstück. Für Reisende im Schlaf- oder Liegewagen ist es meist im Ticketpreis inkludiert.

Verbindungen nach Osteuropa gibt es vergleichsweise viele, hier wurde das Nachtzugangebot in den vergangenen Jahren nicht so stark zurückgebaut wie in Deutschland. Euronight-Verbindungen, die von verschiedenen Länderbahnen bedient werden, bestehen unter anderem zwischen Stuttgart und Zagreb  bzw. Rijeka (Kroatien) und Berlin bzw. Stuttgart und Budapest (Ungarn). Die ÖBB-Nightjets fahren ab Berlin über Breslau (Polen) nach Wien. Anschlüsse, zum Beispiel ab Wien oder Budapest, reichen bis nach Slowenien, in die Slowakei, nach Rumänien oder Polen.

Ab Berlin startet in diesem Mai ein Nachtzug in Richtung Brüssel, über Amsterdam und Rotterdam, betrieben vom privaten Anbieter European Sleeper. Der Zug soll dreimal pro Woche je Richtung zwischen den beiden Hauptstädten verkehren. „Geplant war diese Verbindung schon lange. Gut, dass sie nun endlich startet“, so Liebster. Dass neue Angebote wie der European Sleeper oft mit Verspätung starten, liegt unter anderem daran, dass es schwierig ist, geeignete Züge zusammenzustellen. Gebrauchte Waggons sind kaum zu bekommen, und neue Waggons bauen zu lassen dauert aufgrund der weltweiten Lieferengpässe länger als gewöhnlich und ist gerade für kleinere Anbieter auch kaum bezahlbar.

Auch in Richtung Norden hat sich das Nachtzugnetz entwickelt. Seit Sommer 2021 fährt ein Nachtzug des Anbieters Snälltåget zwischen Berlin und Stockholm über Hamburg und Kopenhagen. Dieser Zug verkehrt aktuell vor allem zwischen März und November. Eine zweite Verbindung ab Hamburg nach Stockholm, betrieben von der schwedischen Eisenbahn, fährt seit September 2022 regelmäßig und soll ab Ende März ebenfalls bis Berlin verlängert werden. Dieses Angebot besteht hauptsächlich dank der schwedischen Regierung, die sich entschieden hat, den Nachtzugverkehr mit 40 Millionen Euro zu subventionieren. Auf eine ähnliche Investitionsbereitschaft werden wir in Deutschland wohl leider vergeblich warten.

Katharina Baum

Weitere Informationen

Wo genau die Nachtzüge der ÖBB entlangfahren,  erfahren Reisende unter nightjet.com.

Auch die Schweizer Bundesbahnen und die Tschechischen Bahnen haben gut Streckenkarten im Netz.

Das im fairkehr-Verlag erscheinende Reisemagazin Anderswo hat zu allen europäischen Reisezielen Karten erstellt, auf denen alle Bahn- und Fährverbindungen eingetragen sind. Diese können auf der Website des Magazins abgerufen werden.

Spezialisierte Bahnagenturen helfen bei der Reiseplanung:
Bahnagentur Gleisnost
Kopfbahnhof

fairkehr 1/2023