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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 1/2023

Familienurlaub ohne Auto

Abenteuer Korsika

Von Heidelberg nach Korsika, drei Wochen, zwei Erwachsene, zwei Kinder. Und das alles ohne Flugzeug und Auto? Kein Problem, zeigt Familie Kleinschmitt.

Eine Familie mit Fahrrädern und Gepäck vor einer Fähre.
Foto: Christoph KleinschmittWarten zwischen Autos und Motorrädern: Familie Kleinschmitt, samt Rädern und Gepäck für drei Wochen Sommerurlaub, macht sich bereit für die Rückfahrt per Fähre von Korsika nach Nizza.

„Maman, da möchte ich auch mitfahren!“, ruft ein kleiner Junge, als er uns vorbeiradeln sieht. „In unserer Jugend hat es das nicht gegeben...“, hören wir ältere Herrschaften staunen, an deren Boule-Feld wir vorbeirollen, und „Schatz, so etwas sollten wir uns auch anschaffen!“, klingt es zu uns von einem jungen Paar herüber.

Wir sind als vierköpfige Familie mit zwei Kindern (5 und 7 Jahre alt) im Sommerurlaub auf Korsika unterwegs – mit unseren Rädern. Das leuchtend gelbe E-Lastenrad mit meinem Mann und unseren zwei lebhaften Kindern auf dem Gepäckträger fährt vorneweg, durch Städtchen, an Stränden entlang, bergauf und bergab. Meist fahre ich hinter ihnen mit meinem E-Bike  und bekomme so die Reaktionen von einigen Passanten mit. Viele verwunderte und begeisterte Blicke folgen dem Gefährt vor mir. So eine Familie auf Rädern wie unsere hat man auf der Insel anscheinend selten gesehen. Aber unser Urlaub zeigt: Korsika per Rad mit Kindern geht – und macht richtig viel Spaß.

Warum wir uns gerade für Korsika entschieden haben, das wegen seines bergigen Profils als eher anspruchsvolles Terrain für einen Radurlaub gilt? Zum einen wollten wir ans Meer, das unser Sohn noch nie gesehen hatte. Zum anderen lieben wir Frankreich und waren noch nie auf Korsika, von dessen Schönheit wir immer wieder gehört hatten. Auf der Internetseite wirsindanderswo.de (gehört zum fairkehr Verlag, Anm. d. Red.) hatten wir gesehen, dass es möglich ist, Fahrräder per Bahn und Fähre mit auf die Insel zu nehmen. Also warum nicht?

Eine Frau neben einem Fahrrad, auf dem gepäckträger zwei Kinder. Im hintergrund Hügel und Meer.
Foto: Christoph KleinschmittVon den Bergen die Aussicht übers Meer genießen: Das erleben die Korsika-Reisenden jeden Tag und können sich gar nicht sattsehen an der Landschaft.

Wir lieben das Fahrradfahren und wollten auch im Urlaub nicht auf die Freiheit, die Flexibilität und den Spaß des Fahrrads als Verkehrsmittel für die ganze Familie verzichten. Wegen der bergigen Natur Korsikas wäre es für die Kinder zu anstrengend gewesen, selbst längere Strecken mit dem Rad zu fahren. Also brauchten wir vor Ort ein E-Lastenrad, auf dem sie mitfahren konnten. Zum Glück hatten wir uns im Vorjahr ein sehr kompaktes Longtail-Rad zugelegt, das trotz der Sitzfläche für zwei Kinder nicht länger ist als ein normales Fahrrad und daher auch in der Bahn mitgenommen werden kann. Für den zweiten Erwachsenen hatten wir wegen der Berge auch ein E-Bike dabei. Beim Gepäck mussten wir uns natürlich etwas beschränken, aber letztlich waren zwei Koffer (mit dem Rad transportiert auf einem faltbaren Gepäckanhänger), zwei Fahrradtaschen und dazu die Kiste vorn am Lastenrad mehr als ausreichend für unsere dreiwöchige Reise.

Unsere Verkehrsmittelwahl hatte auch Einfluss auf die Wahl der Unterkunft. Da die korsische Eisenbahn keine Fahrräder transportiert, suchten wir uns vorab eine Ferienwohnung oberhalb der schönen Hafenstadt Bastia, die wir von der Fähre aus direkt per Rad erreichen konnten.

Ab in den Urlaub

Die Glaspyramide des Louvre, davor eine kleine Familie mit Fahrrädern.
Foto: Christoph KleinschmittDer Anschlusszug fährt erst in einigen Stunden – genug Zeit für eine Sightseeing-Radtour durch Paris, unter anderem mit Stopp an der Glaspyramide des Louvre.

An einem Sonntag im August fahren wir dann schon früh in Heidelberg los, um dem befürchteten Andrang zu Zeiten des 9-Euro-Tickets aus dem Weg zu gehen. Glücklicherweise sind die Nahverkehrszüge an diesem Morgen nicht besonders voll und so erreichen wir Kehl ohne Probleme. Von dort geht es per Rad über die Brücke nach Strasbourg. Nach einem gemütlichen Picknick in der Altstadt fahren wir nachmittags mit einem der seltenen TGV-Züge mit Fahrradabteil nach Paris (frühzeitige Reservierung notwendig!). Unsere Kinder freuen sich über die „grande vitesse“ bei 350 km/h, ich mich über den Ausblick auf die vorbeihuschenden Dörfchen. In Paris haben wir noch ausreichend Zeit für etwas Sightseeing per Fahrrad – die Kinder wollen unbedingt zum Eiffelturm –  und ein Abendessen am Seine-Ufer. Anschließend rollen wir zum Gare d’Austerlitz, wo unser Nachtzug nach Nizza bereits wartet. Wir machen es uns im Liegewagen gemütlich und erwachen am nächsten Morgen mit Blick aufs Mittelmeer. Wie wunderbar! Auch in Nizza bleibt genug Zeit für ein Frühstück mit „Pain au chocolat“ unter Palmen und einen kleinen Stadtbummel, bis am Nachmittag die Fähre nach Bastia auf Korsika ablegt.

Auf der fünfstündigen Überfahrt parken unsere Räder bei den Motorrädern, während wir in der gebuchten Kabine wunderbar entspannen, nach der Nachtzugfahrt duschen und aufs weite Meer blicken können. Abends gegen 20 Uhr legen wir in Bastia an und strampeln die letzten Kilometer bergauf bis zu unserer Ferienwohnung. Rund 36 Stunden waren wir unterwegs, haben schon viel gesehen, sind entspannt gereist und nicht verspätet. Urlaubsstimmung ab der ersten Minute.

Achtung, Schildkröte kreuzt!

Zwei Fahrräder im Zug neben hochgeklappten Sitzen
Foto: Christoph KleinschmittUm Lastenrad und E-Bike im Fahrradabteil des TGVs nach Paris unterzubringen, braucht es Fingerspitzengefühl.

Vor Ort erkunden wir mit den Rädern und zu Fuß die beeindruckende Landschaft Korsikas mit den immergrünen Macchia-Büschen, den steilen Bergen, den Tälern mit teils verlassenen Bergdörfern und kühlen Bächen und natürlich den zahlreichen Stränden. Unsere Ferienwohnung mit Olivenhain, Korkeichen und Schafen hinter dem Haus liegt am Stadtrand von Bastia, knapp 300 Höhenmeter oberhalb der flacheren Ostküste. Zur schrofferen Westküste des Cap Corse (bei Saint-Florent) sind es noch einmal ca. 300 Höhenmeter aufwärts bis zur Passhöhe und fast 600 Höhenmeter abwärts. Unsere Kinder lieben die rasanten Abfahrten auf den steilen Passstraßen.

Wir bewegen uns meistens im Umkreis von circa 25 Kilometern um unser Feriendomizil. Nur an einem Tag fahren wir mit der Inselbahn ins 70 Kilometer entfernte Städtchen Corte im Zentrum Korsikas, von wo wir in das malerische Tavignano-Tal wandern und dort in glasklaren, kühlen Gumpen baden. Unterwegs kreuzt als Überraschung eine wild lebende Schildkröte unseren Weg. Neben dem Baden im Meer ein absolutes Highlight für die Kinder. Leider nimmt die Bahn nach Auskunft des Zugpersonals tatsächlich keine Fahrräder mit, sonst ließe sich unsere Reichweite noch einmal deutlich vergrößern. A propos Reichweite: Nachdem unsere E-Bike-Akkus nach so viel Auf und Ab zweimal kurz vor Ende der Tour leer sind, nehmen wir später sicherheitshalber die Ladegeräte mit, mit denen wir ohne Probleme in der Eisdiele oder während des Badens im Strandlokal nachladen können.

Eine Frau steht mit zwei Fahrrädern vor einem Zug. Zwei Kinder sitzen auf dem gepäckträger eines Fahrrads.
Foto: Christoph KleinschmittNach der Anreise mit Fahrrad, Zug...
Ein kleiner Junge liegt auf einem Bett in einer Fährenkabine, durch das Fenster sieht man das Meer.
Foto: Christoph Kleinschmitt...und Fähre...

Mein Höhepunkt der Reise ist die wunderbare Natur Korsikas mit ihrem mediterranen Licht und den beeindruckenden Ausblicken aufs Meer. Die halb wild im Wald lebenden korsischen Hausschweine hautnah zu erleben, wird besonders den Kindern lange im Gedächtnis bleiben. Und auch die Herzlichkeit und Offenheit der Menschen vor Ort hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Wir werden mit unserem Lastenrad häufig angesprochen, man ist neugierig, wie wir denn hergekommen seien. Und das ganz ohne Auto? Insgesamt fahren die Einheimischen sehr viel mit dem Auto, und die Pkw-Dichte ist hier angeblich doppelt so hoch wie auf dem französischen Festland. Fahrräder sieht man vor allem als Sportgeräte in Form von Rennrädern und Mountainbikes.

Menschen an einem Strand in einer kleinen Bucht, im Hintergrund bewaldete Hügel.
Foto: Christoph Kleinschmitt...warten am Reiseziel goldene Sandstrände vor der beeindruckenden Bergkulisse Korsikas.

Leider gehen die zweieinhalb wunderbaren Wochen auf Korsika sehr schnell vorbei, die Rückreise steht an. Wir planen, auf gleichem Wege wieder heimzukommen. Doch am Morgen des Abfahrtstages erreicht uns eine kurze SMS: Fähre ab Bastia aus technischen Gründen annulliert, désolée, Entschuldigung. Man möge bitte auf die Fähre am Nachmittag von L’Ile Rousse nach Nizza ausweichen. Dafür wären 70 Kilometer und 1­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­ 000 Höhenmeter in nur drei Stunden zu bewältigen. Das schaffen wir nie mit den Rädern und unserem ganzen Gepäck. Aber zum Glück können wir kostenlos auf eine Fähre am Folgetag umbuchen, mit der wir noch früh genug in Nizza ankommen, um den reservierten Nachtzug nach Paris zu erreichen. Wir sind erleichtert und hängen noch eine Nacht dran. Die Kinder jauchzen, sie dürfen noch mal im Meer schwimmen.

Die Rückreise läuft dann ohne weitere Zwischenfälle – bis Kehl. Kaum sind wir wieder in Deutschland, erwartet uns am Bahnhof Kehl das nächste Hindernis: Die Züge Richtung Offenburg sind komplett überfüllt, keiner passt mehr rein. Da hilft nur radeln. Die 20 Kilometer nach Offenburg schaffen wir auch mit Gepäck. Müde, aber glücklich fallen wir abends in Heidelberg in unsere Betten. Urlaub auf Korsika mit Fahrrad, Bahn und Fähre, was für ein wunderbares Abenteuer.

Eszter Kleinschmitt
(Unter Mitarbeit von Christoph Kleinschmitt)


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