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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 1/2023

Der VCD zieht Bilanz

Ein Jahr Ampelkoalition

Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung enthielt einige gute Ansätze für die Verkehrswende, aber auch Lücken. Was hat sich seither in der Praxis getan?

Stolz präsentierten Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne) den Koalitionsvertrag im Dezember 2021 der Öffentlichkeit.

Klimaschutz auf den Weg bringen

Der Verkehrssektor ist für ein Fünftel der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Das Sofortprogramm des Verkehrsministeriums hilft dagegen kaum. So sollten die vorgeschlagenen Maßnahmen lediglich 14 Megatonnen Treibhausgase einsparen, womit noch sage und schreibe 261 Megatonnen übrig sind, die bis 2030 an anderer Stelle eingespart werden müssten. Nun dringt die FDP sogar darauf, mit der Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes die jährlichen Sektorziele abzuschaffen, um sich so aus der Verantwortung für den Verkehrsbereich zu stehlen. Dies wäre ein klarer Rechtsbruch.

Klimaschädliche Subventionen abbauen

Die Koalition hat angekündigt, umwelt- und klimaschädliche Subventionen abzubauen. Da auf den Verkehr mit rund 30 Milliarden Euro jährlich fast die Hälfte aller umweltschädlichen Subven­tionen entfallen, ergäbe sich gerade hier ein immenses Potenzial. Aller­dings hat sich diesbezüglich bisher noch nichts getan.  

Überfällig ist vor allem die Reform der Dienstwagenbesteuerung, in ökologischer wie in sozialer Hinsicht. Als Dienstwagen genutzte Plug-in-Hybride zahlen auch weiterhin lediglich den halben Steuersatz, obwohl das Ende der Förderung bei der Kaufprämie ab 2023 beschlossen wurde. Gleichzeitig wurde die jährliche Erhöhung des CO2-Preises für kommendes Jahr ausgesetzt und die Pendlerpauschale erhöht statt ökologisch reformiert. Zusätzlich wurde im Sommer ein Tankrabatt eingeführt. Diese Maßnahmen senken weder den Kraftstoffverbrauch noch entlasten sie diejenigen, die besonders unter den steigenden Energiepreisen leiden.

Antriebswende beschleunigen

Die Ampelkoalition setzt auf Elektromobilität und hat als  Ziel mindestens 15 Millionen rein elektrische Pkw bis 2030 ausgegeben. Wichtigster Schritt auf diesem Weg ist das nun in Brüssel beschlossene Verbrenner-Aus ab 2035. Allerdings wollte die FDP eine Ausnahme für Verbrenner durchsetzen, die mit E-Fuels betrieben werden. Das soll nun zumindest geprüft werden. E-Fuels sind vor allem für Flugzeuge und Schiffe eine klimaschonende Alternative, bei Pkw ist die direkte Elektrifizierung bereits Standard und wesentlich energieeffizienter.

Die Koalition hat außerdem entschieden, die Kaufprämien für Elektroautos sukzessive zu verringern. Das ist zwar langfristig folgerichtig, doch ohne eine ökologische Reform der Kfz-Steuer und den Abbau des Dieselsteuerprivilegs wird so eine Umstellung auf Elektromobilität konterkariert.

Gute Ansätze enthält dafür der im Oktober 2022 beschlossene Masterplan Ladeinfrastrukturen II, um deren Ausbau zu beschleunigen. Auch bei der Lkw-Maut geht es vorwärts. Unter anderem hat sich die Ampelkoalition auf eine Reform geeinigt, die ab 2024 eine Erweiterung der Maut auf Lkw ab 3,5 Tonnen sowie eine CO2-Komponente vorsieht. Ebenfalls verständigt hat sich die Ampel auf die lange bestehende Forderung, die Einnahmen aus der Maut nun nicht mehr ausschließlich in den Straßenbau zu investieren, sondern verkehrsträgerübergreifend einzusetzen.

ÖPNV stärken

Mit dem 9-Euro-Ticket ist der Ampel eine kleine Revolution im ÖPNV gelungen. Mit dem Deutschlandticket wurde nun ein dauerhaftes Nachfolgeangebot beschlossen. Bei allem Lob für das Ticket ist aber klar: Neben günstigen Tickets und einfachen Tarifstrukturen braucht es ein deutlich besseres Angebot – und dafür mehr Geld.  Hier fehlt es bisher an einem klaren Bekenntnis der Ampel, den notwendigen Ausbau mitzufinanzieren. Zwar wurde eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel beschlossen, trotzdem ist angesichts der steigenden Energie- und Personalkosten zu befürchten, dass bestehende Verbindungen gekürzt werden. Dabei bräuchte es dringend ein klares Signal für den Angebotsausbau durch eine langfristig verlässliche und gute Finanzierung. 

Bahnnetz ausbauen, Deutschlandtakt voranbringen

Im Koalitionsvertrag versprechen die regierenden Parteien, „erheblich mehr [Geld] in die Schiene als in die Straße“ zu investieren. Der verabschiedete Haushalt für 2023 spricht allerdings eine andere Sprache: Während die Mittel für die Straße auf 11,5 Milliarden Euro leicht angehoben wurden, verharren Investitionen in die Schiene bei 9,5 Milliarden Euro. Das reicht nicht aus, um die von der Bundesregierung ausgegebenen Ziele zu erreichen, also den Personenverkehr auf der Schiene bis 2030 zu verdoppeln und den Anteil des Güterverkehrs von derzeit 18 auf 25 Prozent zu steigern.

Der VCD begrüßt die zusätzlichen Mittel für die Digitalisierung der Schiene, die Absenkung der Trassenpreise für den Personenfernverkehr sowie die Fortführung der Absenkung für den Schienengüterverkehr. Die versprochenen Anreize für Gleisanschlüsse sind durch die Kürzung der Mittel in diesem Bereich allerdings eher gefährdet als gesetzt.  

Positiv war die Gründung der Beschleunigungskommission Schiene, in­ der neben der Bahnbranche und Ex­pert*in­­nen auch der VCD vertreten war. Zahlreiche Vorschläge wurden für die Bundesregierung erarbeitet: kleine und mittlere Maßnahmen, die das Schienennetz kurzfristig leistungsfähiger und resilienter machen. Jetzt  muss die Regierung diese Vorschläge als Grundlage für ihr verkehrspolitisches Handeln nutzen, um die selbst gesteckten Ziele möglichst rasch zu erreichen.

Straßenverkehrsrecht reformieren

Eine Reform des Straßenverkehrsrechts ist überfällig: Viele Maßnahmen, die die Verkehrswende vor Ort beschleunigen, scheitern am aktuellen Verkehrsrecht. Auch darum schließen sich immer mehr Kommunen der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ an, die vom Bund fordert, die rechtlichen Voraussetzungen für mehr kommunalen Handlungsspielraum zu schaffen. Doch das Bundesverkehrsministerium hat für entsprechende Gesetzesänderungen bisher nichts getan. 

Der VCD fordert, dass die künftige Infrastrukturplanung des Bundes sich an gesellschaftlichen Zielen orientieren und alle Verkehrsträger integriert betrachten muss. Hierzu hat der VCD einen Vorschlag für ein Bundesmobilitätsgesetz veröffentlicht, das als Blaupause dienen kann.

Rad- und Fußverkehr ausbauen

Die Verkehrsministerkonferenz hat im Mai dieses Jahres gefordert, bis 2030 mindestens 1 Milliarde Euro jährlich in den Radverkehr zu investieren, um dichte, sichere und komfortable Fahrradwegenetze in der Stadt und auf dem Land zu verwirklichen. Dennoch sind im kürzlich verabschiedeten Bundeshaushalt für 2023 nur 561 Millionen Euro vorgesehen. Das ist zu wenig, um Deutschland zum Fahrradland zu machen.  

Der Fußverkehr wiederum, der in der Regel verkehrspolitisch kaum Beachtung findet, hat bei den aktuellen Haushaltsverhandlungen endlich einen eigenen Haushaltstitel bekommen. Damit wird der Fußverkehr erstmals direkt vom Bund gefördert, und zwar mit einer Million Euro, die in Modellprojekte investiert werden soll. Wann die geplante nationale Fußverkehrsstrategie entwickelt wird, ist weiterhin unklar.

Rad- und Fußverkehr ausbauen

Die Verkehrsministerkonferenz hat im Mai dieses Jahres gefordert, bis 2030 mindestens 1 Milliarde Euro jährlich in den Radverkehr zu investieren, um dichte, sichere und komfortable Fahrradwegenetze in der Stadt und auf dem Land zu verwirklichen. Dennoch sind im kürzlich verabschiedeten Bundeshaushalt für 2023 nur 561 Millionen Euro vorgesehen. Das ist zu wenig, um Deutschland zum Fahrradland zu machen.  

Der Fußverkehr wiederum, der in der Regel verkehrspolitisch kaum Beachtung findet, hat bei den aktuellen Haushaltsverhandlungen endlich einen eigenen Haushaltstitel bekommen. Damit wird der Fußverkehr erstmals direkt vom Bund gefördert, und zwar mit einer Million Euro, die in Modellprojekte investiert werden soll. Wann die geplante nationale Fußverkehrsstrategie entwickelt wird, ist weiterhin unklar.

Gesantbilanz

Den angekündigten „Aufbruch in der Mobilitätspolitik“ lässt die Bundesregierung in ihrem ersten Amtsjahr vermissen. Beim Klimaschutz verweigert Verkehrsminister Wissing schlichtweg die Arbeit, und es bleibt offen, wie er die im Klimaschutzgesetz vorgegebenen Ziele erreichen will. Weder geht er die zahlreichen Privilegien für den Autoverkehr an, noch setzt er eine nachhaltige Verkehrsfinanzierung um. Themen wie ein Tempolimit oder die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs sind tabu. Zwar steht mit dem Deutschlandticket unerwartet ein wichtiger Schritt für die Verbesserung des ÖPNV bevor, doch die vielen Versäumnisse und verschleppten Aufgaben in der Verkehrspolitik wiegt das nicht auf. Auf die Verkehrswende warten wir weiter – und sie wird mit jedem Jahr ohne klare Entscheidungen schwieriger und teurer. Die kommenden drei Jahre muss die Ampelregierung jetzt nutzen.

Michael Müller-Görnert, Verkehrspolitischer Sprecher des VCD 

fairkehr 1/2023