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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 5/2022

Interview mit Verkehrsstaatssekretärin Susanne Henckel

„Arbeit auf Hochtouren“

Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Güterverkehr nachhaltiger werden. Staatssekretärin Susanne Henckel erklärt im fairkehr-Interview, die Pläne der Bundesregierung.

Susanne Henckel ist Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium.
Foto: BMDVSusanne Henckel hat ein Faible für die Schiene. Die frühere Geschäftsführerin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg ist seit April 2022 Staatssekretärin im Bundes­ministerium für Digitales und Verkehr.

fairkehr: Beim Klimaschutz ist der Verkehr der größte Versager. Gerade beim Güterverkehr liegt viel im Argen. Wir brauchen weniger Lastwagen auf Autobahnen und Straßen, das sieht jeder, der unterwegs ist. Hat die Bundesregierung einen Plan, um gegenzusteuern?

Susanne Henckel: Klimaschutz ist eine sehr umfassende, aber leider auch sehr langfristige Gestaltungsaufgabe. Derzeit entfällt ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen des Verkehrssektors auf den Straßengüterverkehr. Hier haben wir sehr hohen Handlungsbedarf. Wir benötigen erstens Lkw, die klimaneutral unterwegs sind. Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung sieht vor, dass 2030 im schweren Güterverkehr etwa ein Drittel der Fahrleistung elektrisch oder auf Basis strombasierter Kraftstoffe erbracht werden soll. Zweitens haben wir beim Straßengüterverkehr aus unserer Sicht noch beachtliche Verlagerungspotenziale – sowohl auf die Schiene als auch auf die Wasserstraße, gerade bei den längeren Strecken.

Wie wollen Sie das bewerkstelligen?

Wir fördern Umschlaganlagen für den sogenannten kombinierten Verkehr. Sie ermöglichen, dass Lkw besonders für kurze Strecken genutzt werden, als Zubringer zu Häfen oder Bahnhöfen zum Beispiel, oder für die letzte Meile der Güterverteilung.

Gehen Sie davon aus, dass der Güterverkehr weiter zunimmt? Viele Lkw sind immer noch leer unterwegs. Könnte man das nicht verhindern?

Der Güterverkehr mit seinen geringen Kosten ist Bestandteil unserer vernetzten Welt. Ich denke aber, wie viel Güterverkehr in Zukunft unterwegs ist, haben wir alle in der Hand, als Verbraucherinnen und Verbraucher.

Derzeit arbeitet das BMDV an einer Langfrist-Verkehrsprognose für 2040. Dabei werden wir unter anderem auch Aspekte des Umwelt- und Klimaschutzes noch stärker berücksichtigen. Um einen prognostizierten Anstieg des Güterverkehrs klimafreundlich zu bewältigen, setzen wir unbedingt auf die Schiene. Wir haben mit dem Deutschlandtakt ein sehr gutes Instrument zum Infrastrukturausbau entwickelt. Wir haben dabei die Fahrpläne geprüft, damit der Güterverkehr zukünftig festgelegte Trassen in diesem Fahrplangefüge bekommt und Güterzüge zügiger, pünktlicher und zuverlässiger unterwegs sein können. Die Umsetzung des Deutschlandtakts treiben wir konsequent voran. Bereits bei rund einem Drittel der zusätzlichen Deutschlandtakt-Maßnahmen wurden die Planungen aufgenommen.

Für wie realistisch halten Sie es, dass mehr Güterverkehr zeitnah auf dem überlasteten Schienennetz unterkommt?

Ich halte es für sehr realistisch, dass wir durch die Investitionen in die Schiene mit dem beschriebenen Konzept des fahrplanbasierten Infrastrukturausbaus vorankommen. Wir stehen bei der Schiene vor Herkulesaufgaben, was das Thema Bestandssicherung, Ausbau, aber auch Schaffung kurzfristiger, kleiner Maßnahmen angeht. Wir sind derzeit auf allen Ebenen unterwegs, gemeinsam mit der Deutschen Bahn. Wir müssen Qualität garantieren und zusätzliche Kapazitäten herstellen, damit das Konzept funktioniert. Natürlich müssen wir zusehen, dass der Güterverkehr jetzt durch diese Zeit kommt, in der es nicht einfach ist. Deshalb fördern wir den Einzelwagenverkehr und unterstützen private Gleisanschlüsse. Im Koalitionsvertrag haben wir zudem vereinbart, dass bei neuen Gewerbe- und Industriegebieten eine Schienenanbindung schon bei der Planung verbindlich geprüft werden soll. Und wir setzen auf Digitalisierung. Sie ist der Schlüssel für mehr Fortschritt auf der Schiene und bei Schienenfahrzeugen. Eine der wichtigsten Innovationen ist hier die Digitale Automatische Kupplung (DAK).

Wie viel Geld soll denn in den nächsten Jahren in die Schiene fließen?

Nie zuvor hatten wir mehr Aus- und Neubauvorhaben in der Planung und Umsetzung. Die derzeit in der Realisierung befindlichen 77 Vorhaben haben ein Gesamtvolumen von rund 35 Milliarden Euro. Hinzu kommen über

einhundert Vorhaben mit einem Volumen von rund 70 Milliarden, die sich derzeit in der Planung befinden. Wir drücken bei der Umsetzung aufs Tempo, wo es nur geht. Wir haben dazu eine Beschleunigungskommission Schiene einberufen, die Ende des Jahres ihre Handlungsempfehlungen vorlegen wird. Das alles wird sich sukzessiv in den nächsten Jahren in kapazitiven Erweiterungen im Netz niederschlagen.

Welche Schwerpunkte zur Förderung des Schienengüterverkehrs setzen Sie?

Zuerst einmal ist da die Absenkung der Trassenpreise bis 30. Juni 2023. Eine Fortführung der Förderung ist bis Ende 2024 geplant. Außerdem wollen wir mit dem Bundesprogramm „Zukunft Schienengüterverkehr“ die Erprobungen und Markteinführungen innovativer Zukunftstechnologien im Schienengüterverkehr unterstützen und Anreize für einen nachhaltigen Innovationsschub setzen. Die „Digitale Automatische Kupplung“ ist nur eines davon. Außerdem hat das Bundesverkehrsministerium mit dem Ausbauprojekt für lange Güterzüge begonnen. Zukünftig soll ein durchgängiges Netz für Züge von 740 Metern Länge entstehen. Über die hierfür benötigten Mittel muss das Parlament entscheiden.

Lassen Sie uns über fragwürdige Anreize sprechen. Es gab Tankrabatte für Diesel, gleichzeitig stiegen die Strompreise. Trassenpreise gelten auf allen Schienen, die Maut nur auf Autobahnen und Bundesstraßen. Wie will die Bundesregierung für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen?

Die Differenzierung der Mautsätze nach dem Schadstoffausstoß bietet den Transportunternehmen einen Anreiz, emissionsarme Fahrzeuge effizient einzusetzen und unterstützt die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene und Wasserstraße.Außerdem sieht das Bundesfernstraßenmautgesetz eine zeitlich gestaffelte Mautbegünstigung für Elektrofahrzeuge vor, um den Markthochlauf dieser Fahrzeuge zu unterstützen und damit auch den Verkehrsträger Straße selbst klimafreundlicher zu machen. Elektrisch betriebene Fahrzeuge werden zunächst unbefristet von der Lkw-Maut befreit. Dazu gehören reine Batterieelektrofahrzeuge, von außen aufladbare Hybridelektrofahrzeuge und Brennstoffzellenfahrzeuge. Derzeit schaffen wir zudem die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung einer CO2-Differenzierung sowie die Einbeziehung des gewerblichen Güterkraftverkehrs ab 3,5 Tonnen. Was die Stromsteuer angeht, so gilt für Schienenfahrzeuge ein ermäßigter Steuersatz von 1,142 Cent/kW, das ist eine Absenkung von rund 56 Prozent gegenüber dem Regelsteuersatzes von 2,05 Cent. Das heißt, der Stromsteueranteil am Gesamtpreis für Bahnstrom von ca. 20 bis 40 Cent/kWh ist sehr gering. Im Rahmen des Entlastungspaketes der Bundesregierung zur Abfederung der hohen Energiepreise wurde bereits zum 01. Juli 2022 die EEG-Umlage abgeschafft, die Bestandteil des Strompreises war. Damit hat sich die Abgabenbelastung für den Bahnstrom weiter verringert. Das war eine langjährige Forderung der Branche.

Ich setze mich darüber hinaus dafür ein, über die Entlastungspakete der Bundesregierung eine auskömmliche Finanzierung der Trassenpreisförderung sicherzustellen, und ich bin zuversichtlich, dass auch das Parlament als Haushaltsgesetzgeber uns dabei unterstützen wird.

Wie stark ist denn im Bundesverkehrsministerium die Lobby für die Schiene?

Ich empfinde die Lobby für die Schiene in unserem Haus als sehr stark. Allerdings geht es nicht um eine Lobby. Es geht um Lösungen für das hoch komplexe System Schiene. Wir brauchen ein stabiles Netz, denn wie alle wissen, sind die Menschen sehr empfindlich, was Verspätungen und schlechte Qualität angeht. Zurzeit stehen die Schaffung von mehr Kapazität und Resilienz im Fokus. Ich bin sehr froh, dass wir alle im Haus, von den engagierten Mitarbeiter*innen bis zum Minister, gemeinsam mit der Deutschen Bahn, auf Hochtouren daran arbeiten, dass das komplexe System Schiene besser wird.

Interview: Uta Linnert, Tim Albrecht 

fairkehr 5/2022