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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2022

Interview

„Wir brauchen einen finan­ziellen Systemwechsel“

Mit dem Abschied von fossilen Brennstoffen in der Mobilität muss auch die Finanzierung des Verkehrs auf neue Beine gestellt werden. Der Ökonom Matthias Runkel erklärt, wie es gehen kann.

fairkehr: Herr Runkel, Sie sagen, die Mobilitätswende erfordert eine neue Finanzierung des Gesamtsystems Verkehr. Warum?

Matthias Runkel: Mit der Elektrifizierung geht der Energieverbrauch im Verkehrssektor geplant zurück. Vor allem von Diesel und Benzin. Dadurch sinken die Einnahmen aus der Energiesteuer dramatisch. Das ist mit circa 40 Milliarden Euro jährlich im Verkehrssektor aber die größte Einnahmequelle, und über die Stromsteuer kann man das nicht kompensieren. Vor allem ab 2030 werden die Einnahmen massiv sinken.

Über welche Steuern muss der Verkehr dann finanziert werden?

Grundsätzlich gibt es keine Zweckbindung der Steuereinnahmen, aber faktisch rechnet man so. Der Straßenverkehr deckt jedoch nur etwa 50 Prozent seiner Kosten, wenn man die externen Kosten einrechnet, die durch Klimabelastung, Unfälle, Lärm und Luftverschmutzung entstehen. Den Rest bezahlt die Allgemeinheit, auch diejenigen, die kein Auto haben. Nachhaltiger wäre ein geschlossener Finanzierungskreislauf, bei dem Mobilität durch Mobilität finanziert wird.

Was heißt das konkret?
Zum Beispiel fließt unsere Lkw-Maut zurück in das System Straße. In der Schweiz finanzieren die Gelder aus der Maut aber auch die Bahn mit und tragen so zur Verlagerung auf die Schiene bei.

Sie schreiben, die Finanzierung des Verkehrs stecke noch im fossilen Zeitalter. Was meinen Sie damit?

Die Energiesteuer ist auf Diesel und Benzin ausgerichtet, die Kfz-Steuer auf den Verbrenner. Jetzt müssen wir aus diesem System raus und in ein elektrisches System kommen. Der Staat muss deshalb die Steuern und Subventionen neu ausrichten.

Sie prognostizieren, dass die staatlichen Einnahmen fallen. Aber um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir große Investitionen in die Verkehrswende. Das geht nicht zusammen, oder?

Das ist der Punkt. Wir brauchen Geld für einen stärkeren Nahverkehr, die Sanierung der Bahn, die Digitalisierung der Mobilität und den Ausbau der Infrastruktur für Rad- und Fußverkehr. Deshalb müssen wir neue Finanzierungsinstrumente entwickeln, die gleichzeitig die Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität begünstigen. Nicht nur die Infrastrukturausgaben müssen steigen, wir brauchen auch Mittel für die Ausbildung und Anwerbung von Fachkräften, die überall fehlen.

Sie schlagen ein neues Finanzierungssystem vor, das mehr Anreize für klimafreundliche Mobilität setzt. Wie sieht dieses aus?

Der zentrale Umbruch ab 2030 ist in unserem Vorschlag ein Umstieg auf eine Pkw-Maut. Diese würde die fehlenden Einnahmen aus der Energiesteuer kompensieren. Wir würden von einem steuerfinanzierten System auf ein nutzerfinanziertes System umsteigen. Mit einer Maut hat man eine große Palette an fiskalischen Möglichkeiten. Man kann die Infrastrukturfinanzierung darüber regeln, man kann Luft-, Lärm- und Klimaschäden gezielt einpreisen. Man könnte auch viel zielgenauer entlasten: Zum Beispiel könnte die Maut auf dem Land billiger sein, wenn kein ausreichender öffentlicher Nahverkehr vorhanden ist.

Viele europäische Nachbarländer haben zumindest eine Fernstraßenmaut. Trotzdem haben sie ähnliche Schwierigkeiten, die Emissionen im Verkehrssektor zu drosseln. Ist eine Maut das richtige Instrument?

Die Ausgestaltung ist entscheidend. Wir brauchen keine Vignettenlösung, sondern eine intelligente, digital gesteuerte Pkw-Maut. Zum Beispiel könnte das Autofahren zu Stoßzeiten, wenn viele Staus entstehen, teurer sein als zu anderen Zeiten. Durch eine solche Lenkung spart man als Gesellschaft Kosten, die durch lange Staus entstehen.

Wird Mobilität durch eine Pkw-Maut insgesamt teurer?

Im Gegenteil. Wir wollen zu einem effizienteren und günstigeren System kommen. Wir haben im Moment deutlich mehr Verkehr, als gesellschaftlich notwendig wäre. Eine Pkw-Maut hilft, ihn auf ein optimales Maß zu reduzieren. Da der Autoverkehr die externen Kosten nicht deckt, die er verursacht, ist eine höhere steuerliche Belastung gerechtfertigt. Dieses Geld können wir in ein System investieren, das mehr Mobilität bietet, aber weniger Verkehr produziert.

Können wir die Verkehrswende nicht über den CO2-Preis finanzieren?

Das ist ein Instrument, aber die Einnahmen reichen nicht. Vor allem sinken  sie langfristig, weil der Verkehr ja weniger CO2-intensiv werden soll. Nachhaltig kann man das System also nicht über die CO2-Steuer finanzieren.

Portraitfoto von einem blonden Mann im blauen Anzug
Matthias Runkel ist Ökonom und Wissenschaftlicher Referent für Verkehrspolitik beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in Berlin.

Sie haben errechnet, dass die Subventionen im Verkehrsbereich sozial ungerecht sind. Inwiefern?

Viele der umweltschädlichen Subventionen sind sozial unausgewogen. Das führt dazu, dass 50 Prozent der Gelder an das obere Einkommensviertel gehen. Die niedrigere Besteuerung von Diesel kommt zum Beispiel hauptsächlich einkommensstarken Haushalten zugute, weil Autos mit Dieselmotoren wie Geländewagen, SUVs und große Hybride meistens größer und teurer sind. Bei der Entfernungspauschale ist es ähnlich: Einkommensstarke Haushalte besitzen im Schnitt mehr Autos und profitieren entsprechend mehr. Noch deutlicher ist es beim Steuervorteil für Dienstwagen, denn in der unteren Einkommenshälfte bekommt kaum jemand ein Firmenauto zur privaten Nutzung gestellt.

Gibt es Abgabenmodelle in anderen Ländern, die nachhaltiger sind?

In den Niederlanden zahlt man für ein klimaschädliches Auto bis zu 40 000 Euro Zulassungssteuer. Ich konnte diese Zahl erst gar nicht glauben und musste sie mehrmals gegenchecken. Auch in Dänemark beträgt die Steuer bei großen Autos 150 Prozent des Kaufpreises.

Sind diese Modelle erfolgreich?

Da die Zulassungssteuer in den Niederlanden an den CO2-Ausstoß gekoppelt ist, hat die Flotte der neu zugelassenen Autos 30 Prozent weniger Emissionen als in Deutschland. Über die Zulassungssteuer ist das Preisschild für die Emissionen sofort sichtbar. Das wirkt.

Ein Ausnahmefall?

Nein. In Portugal gibt es eine ähnliche Steuer. In Frankreich gibt es ein Bonus-Malus-System, bei dem man auch bis zu 40 000 Euro zahlt. Selbst Großbritannien ist bei der Besteuerung des Autos progressiver.

Halten Sie eine höhere Zulassungssteuer in Deutschland für politisch machbar?

Wir haben einen Vorschlag, bei dem die Zulassungssteuer bei einem durchschnittlichen Pkw bei 2 500 Euro liegen würde. Das klingt viel. Aber erstens muss es auf die gesamte Lebensdauer des Autos gerechnet werden, und zweitens gibt man einen Teil der Steuer weiter, wenn man das Auto auf dem Gebrauchtmarkt verkauft. Beim Tempolimit kennt mittlerweile jeder den deutschen Sonderweg. Bei der Zulassungssteuer ist er weniger bekannt. Im Autoland Deutschland ist die Debatte schwierig, aber wir werden sie führen müssen.

Interview: Tim Albrecht

fairkehr 4/2022