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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Service 2/2022

Service 4/2022

Pendeln

Da geht mehr!

S-Pedelecs könnten eine echte Bereicherung für die Mobilitätswende sein. Doch die Straßenverkehrsordnung legt dem Steine in den Weg.

Eine Frau fährt auf einem S-Pedelec auf einem Weg unter Bäumen.
Auf dem S-Pedelec wird der Arbeitsweg zum Vergnügen – solange man auf verkehrsarmen Straßen unterwegs sein kann.

„Da ist der Radweg!“ Es dauert keine zehn Minuten, bis ich bei meinem Selbstversuch „Pendeln mit dem S-Pedelec“ von einem Autofahrer auf den Radweg verwiesen werde. „Das ist ein S-Pedelec“, kläre ich ihn in aller Kürze auf, „ich habe ein Nummernschild. Damit darf ich gar nicht auf dem Radweg fahren.“ Verwunderte Blicke sind seine Antwort und das Geständnis: „Das wusste ich nicht.“

Die weit verbreitete Unwissenheit über S-Pedelecs ist vielleicht deren größtes Markthemmnis. Denn im Gegensatz zu einigen Nachbarländern sieht man diese Radgattung auf deutschen Straßen selten. Die zweite große Hürde auf dem Weg zu mehr Präsenz sind die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Denn ja, tatsächlich: S-Pedelecs dürfen nicht auf Radwegen fahren, und das macht sie für viele unattraktiv. So können sie das Potenzial, das sie als nachhaltiges Verkehrsmittel eigentlich haben, nicht ansatzweise ausspielen.

Was ist ein S-Pedelec?

Fangen wir von vorn an: Ein S-Pedelec ist ein Fahrrad, das die Tretbewegung bis maximal 45 km/h elektrisch unterstützt. Das „S“ steht daher für Speed (Geschwindigkeit). Herkömmliche E-Bikes, die korrekterweise Pedelecs heißen, dürfen nur bis zu 25 km/h unterstützen. Optisch unterscheiden sich S‑Pedelecs kaum von ihren langsameren Geschwistern, rechtlich allerdings ganz erheblich. Denn S-Pedelecs sind laut Fahrzeug-Zulassungsverordnung ein Kleinkraftrad und damit ein Kraftfahrzeug (Kfz). Das bedeutet, dass sie der Versicherungs- und Helmpflicht unterliegen, dass ein Führerschein der Klasse AM nötig ist, dass sie ein Nummernschild brauchen und dass sie eben nicht auf Radwegen fahren dürfen.

Die 30 Kilometer von meiner Wohnung in Köln zum fairkehr-Büro in Bonn fahre ich also – so, wie es der Gesetzgeber vorsieht – auf der Fahrbahn der Autos. Dem der Landstraße parallel folgenden Radweg werfe ich sehnsüchtige Blicke zu. Tatsächlich wäre ich lieber dort als hier. Denn regelmäßig hupen mich Autos und Lkw an und überholen mich im dichten Berufsverkehr mit einem Seitenabstand, der das Wort „Abstand“ nicht verdient hat. Ja, es ist wirklich die Regel, nicht die Ausnahme. Das führt nicht nur zu unangenehmen und nervenaufreibenden, sondern vor allem zu gefährlichen Situationen.

Ich treffe daher nach wenigen Fahrten mit dem S-Pedelec, bei denen ich mich strikt an die Straßenverkehrsordnung (StVO) gehalten habe, die Entscheidung, mich über manche Regel hinwegzusetzen. Mein Leben ist mir mehr wert als Regeltreue im Straßenverkehr. Ich nutze die wenig befahrenen Radwege an der Landstraße und die Wirtschaftswege  über die Felder zwischen Köln und Bonn. Auch auf Letzteren ist das S-Pedelec – wie das Auto – offiziell verboten.

Auf der grünen Welle surfen

Normalerweise lege ich meinen Arbeitsweg mit dem Rennrad zurück. In der Vergangenheit sind mir dabei immer wieder S-Pedelec-Fahrer*innen aufgefallen – weil sie mich regelmäßig überholen. Meistens auf Wegen, die sie eigentlich nicht nutzen dürfen. Ich spreche einige an und frage sie nach ihren Erfahrungen. Ein Einziger erzählt mir, dass er schon einmal 15 Euro zahlen musste, weil er einen Radweg genutzt hat. Alle anderen haben Verwarnungen durch die Polizei erlebt, aber keine Strafen. Die meisten Gesetzeshüter*innen zeigten Verständnis dafür, dass die Rechtslage in Deutschland suboptimal ist, wird mir berichtet.

Mit diesem Hintergrundwissen kann ich das S-Pedelec-Fahren in vollen Zügen genießen! An der Ampel drücke ich aufs Knöpfchen für die Anfahrhilfe, und das nicht gerade leichte Rad kommt mühelos in Schwung. Es beschleunigt sanft, aber schnell und fast unmerklich, doch bald zeigt der Tacho 35 km/h an. Ein bisschen in die Pedale getreten, und ich erreiche die Maximalgeschwindigkeit von 45 km/h. Innerorts surfe ich harmonisch mit dem Autoverkehr auf der grünen Welle. Außerorts spiele ich den Geschwindigkeitsvorteil gegenüber dem Bio-Bike vollumfänglich aus. Keine Stunde, nachdem ich zuhause losgefahren bin, erreiche ich das Büro. Dusche? Heute nicht nötig.

Eine der S-Pedelec-Nutzerinnen, die weitaus mehr Erfahrung gesammelt hat als ich, ist Anja Herz. Die 52-Jährige war in der Vergangenheit als Radkurierin in Würzburg und München unterwegs. Vor gut fünf Jahren hat sie sich ein S-Pedelec gekauft, um ihre Alltagswege im Speckgürtel von München schnell und anstrengungslos zurückzulegen. Schnell hat sie erkannt, dass sich politisch etwas ändern muss, um das Pedelec attraktiv zu machen. Sie schloss sich dem VCD an und setzt sich seitdem für die Belange der S-Pedelec-Fahrer*innen ein.

Amüsiert erzählt sie von einer ihrer ersten Begegnungen mit der Polizei. Sie war nicht, wie man vielleicht denken könnte, unerlaubterweise auf einem Radweg unterwegs. Nein, sie fuhr mit ihrem S-Pedelec so, wie es die Rechtslage vorsieht: auf der Straße. Genau genommen auf einer Bundesstraße mit straßenbegleitendem Radweg. Was sie denn hier auf der Fahrbahn mache, hat die bayerische Polizei sie gefragt. Nach einer kleinen Diskussion über das, was erlaubt ist und was nicht, und einer Rückversicherung der Beamten bei ihrer Dienststelle, sagten die Polizisten sinngemäß so etwas wie: „Nein, wir dürfen es Ihnen nicht empfehlen, aber womöglich wäre der Radweg sicherer für Sie.“

Unausgeschöpftes Potenzial

Auch wenn die Unwissenheit über S-Pedelecs immer noch groß ist – heute würde so etwas kaum noch jemandem passieren. Das liegt auch daran, dass der politische Diskurs rund um das S-Pedelec zugenommen hat. Denn eines ist klar: Die Radgattung hat ein immenses Potenzial für die Verkehrswende. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass die Stimmen immer lauter werden, die eine Änderung der StVO fordern. „S‑Pedelecs können ihr Potenzial nur voll entfalten, wenn auch die vorhandene Fahrradinfrastruktur genutzt werden darf“, sagt etwa Markus Riese vom Pedelec-Hersteller Riese & Müller, „gerade Radschnellwege und Fahrradstraßen sind dafür konzipiert, um mit dem Fahrrad über längere Distanzen schnell von A nach B zu kommen, und damit prädestiniert für S‑Pedelecs in der alltäglichen Anwendung.“

Wie es anders gehen kann, zeigt die Schweiz: Dort sind die Radwege für S‑Pedelecs freigegeben. In der Folge ist jedes vierte verkaufte E-Bike ein S-Pedelec. In Deutschland ist es zirka jedes hunderte. Auch Anja Knaus vom schweizerischen E‑Bike-Hersteller Flyer kritisiert deshalb die deutsche Rechtslage: „Solange Themen wie die Radwegenutzung nicht gelöst sind, wird sich das S‑Pedelec nicht durchsetzen können.“

Weil es nicht abzustreiten ist, dass 45 km/h schnelle Fahrräder auf Radwegen und erst recht auf gemischten Fuß- und Radwegen auch Gefahren mit sich bringen, fordert die VCD-Aktive Anja Herz ein eige­nes Verkehrszeichen für schnelle E-Bikes: Mit dem Schild „S-Pedelecs frei“ könnten Wege ausgewiesen werden, auf denen S-Pedelecs zwar nachrangig, aber eben erlaubt sind – analog zum Zeichen „Radfahrer frei“ auf Fußwegen und in Fußgängerzonen. Wie man einem Porschefahrer zutraue, in einer 30er-Zone maximal 30 km/h zu fahren, so könne man doch einem S-Pedelec-Fahrer auch zutrauen, mit angepasster Geschwindigkeit auf Radwegen unterwegs zu sein, argumentiert Herz. Bei den Politiker*innen in ihrem Heimatort Fürstenfeldbruck stößt sie damit allerdings auf taube Ohren.

Vorbild ohne Strahlkraft

Einen Vorstoß, wie es gehen kann, hat Tübingen unternommen: Obwohl das Zeichen „S-Pedelecs frei“ in der StVO nicht existiert, hat die zuständige oberste Landesbehörde – in diesem Fall das baden-württembergische Verkehrsministerium – per Erlass die Verwendung des Zeichens erlaubt. So haben S-Pedelecs unter anderem in einem Fahrradtunnel in der Tübinger Innenstadt freie Fahrt. Medienwirksam hat Oberbürgermeister Boris Palmer das Schild am Tunneleingang angeschraubt. Das war 2019. Die Stadt Tübingen hat seitdem ein ganzes Netz von Rad- und Fußwegen für S-Pedelecs freigegeben. Das Miteinander der Verkehrsteilnehmer*innen funktioniere einwandfrei, berichtet Projektleiter Daniel Hammer. Von Nachahmern kann er aber auch drei Jahre später leider nicht berichten. Dabei wären zumindest in Baden-Württemberg die Voraussetzungen schon mal geschaffen.

Bundesweit passiert dagegen nichts. Und so bleibt mir beim Pendeln mit dem S-Pedelec vorerst nur, mich weiterhin entweder über Verkehrsregeln hinwegzusetzen oder das zu tun, was der eingangs erwähnte Autofahrer mir empfohlen hat: „Sie müssen sich breiter machen, damit Sie als Verkehrsteilnehmerin ernstgenommen werden.“       

Katharina Garus

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Nicht zu übersehen

Gesehen zu werden, ist auf den schnellen S-Pedelecs besonders wichtig. Wir haben drei weithin sichtbare Wetterjacken getestet.

Der Blouson „Freund der Nacht“ vom Hersteller siimii ist das, was ein Blouson erwarten lässt: modisch. Er macht definitiv auch neben dem Rad eine gute Figur. Dass er aus vollflächig reflektierendem Material besteht, kann man auf den ersten Blick weder sehen noch spüren. Aber der Praxistest hat gezeigt: Im Dunkeln reflektiert die Jacke tatsächlich. Gepunktet hat der Blouson bei uns vor allem beim Alltagsradfahren, denn egal ob ins Kino oder ins Restaurant, damit kann man sich wirklich sehen lassen. Das geht allerdings ein bisschen auf Kosten der Funktionalität. Beim Pendeln haben wir zum Beispiel am Hals einen höher geschnittenen Kragen vermisst.    

Preis ca. 179 Euro

Die „Bike Zip-off Jacket San Remo 2 WS Light“ von Löffler ist eine sehr sportliche Radjacke, die alles hat, was man braucht – und nicht mehr. Dadurch ist sie besonders leicht, was vor allem sportliche Radler*innen zu schätzen wissen. Löffler hat mehr Wert auf Atmungsaktivität gelegt als die anderen beiden Hersteller. Das ist auch deswegen möglich, weil die Jacke nicht vollflächig reflektierend ist. Sie verfügt lediglich über kleine Reflektorelemente auf der Brust, am Rücken und an den Ärmeln – für unseren Geschmack ein bisschen sparsam. Dafür ist die Jacke hinten schön lang geschnitten und die abnehmbaren Ärmel machen sie zur Weste und damit zu einem echten Ganzjahresbegleiter.

Preis ca. 240 Euro

Für richtig kalte und dunkle Tage gemacht ist die Softshelljacke von shine4u. Sie ist als Damen- und als Männermodell erhältlich. Zwei Taschen außen, zwei Taschen innen und eine abnehmbare Kapuze machen die Jacke besonders praktisch. Außerdem ist sie schön lang geschnitten – sowohl am Rumpf als auch an den Armen – was man gerade bei kalten Temperaturen und hohen Geschwindigkeiten auf dem Rad zu schätzen weiß. Lediglich, dass das Material der Jacke arg knistert, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Anders als die Akustik es vermuten lässt, ist die Jacke aber schön anschmiegsam. Außerdem erwähnenswert: Die Jacke wird von professionellen, geflüchteten Schneiderinnen in Frankfurt genäht.

Preis ca. 369 Euro

Pro & Kontra Pendeln mit dem S-Pedelec

Pro

  • Bringt einen mühelos und schnell über weite Strecken
  • Erweitert den autofreien Radius um ein Vielfaches
  • Auch im Winter wird einem nicht kalt, weil man sich warm anziehen kann, ohne zu schwitzen
  • Entspanntes Fahren, sowohl beim Anfahren als auch bergauf

Kontra

  • Sicherheitsrisiko durch Straßen-Nutzungspflicht, deshalb auch nervenaufreibende Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmenden
  • Laufende Kosten (Strom, Kfz-Haftpflichtversicherung)
  • DB-Mitnahme nicht erlaubt
  • Kindersitze nur erlaubt, wenn es die Typengenehmigung des S-Pedelecs zulässt; keine Kinderanhänger
  • Hohes Gewicht des Fahrrads