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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 4/2022

Frei...heit, Frei...hahahaha...heit!

Wenn schon Tempolimit, dann richtig, meint Kolumnist Martin Unfried.

 

Ein Tempo-100-Schild an der Autobahn.
Wenn schon Tempolimit dann auch richtig: fairkehr-Autor Martin Unfried plädiert für Tempo 100 – bringt mehr fürs Klima, und die Niederländer kommen schließlich auch damit klar.

Ich 130 km/h? Ich bin entschieden gegen ein Tempolimit von 130 km/h auf der Deutschen Autobahn und damit wohl eindeutig in einer Minderheitenposition. Ich liebe nämlich im Sinne Müller-Westernhagens die Frei...hahahaha...heit als Ausdruck meiner mobilen Liberalität. Doch jetzt der Schock:  mehrere Umfragen haben gezeigt, dass eine rasende Mehrheit mittlerweile für Tempolimit 130 km/h ist! Zeitlich befristet zwar, denn gefragt wird aktuell nach einem Tempolimit als Reaktion auf den Krieg und die Sanktionen. Aber immerhin: eine Mehrheit will 130 fahren!

Nicht mit mir. Ich bin natürlich auch strikt gegen ein allgemeines Tempolimit von 120 km/h, wie es der VCD fordert. Der meint, ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern würde den Spritverbrauch, die Klimaerhitzung und die Abhängigkeit von russischem Öl deutlich verringern. Gut gemeint ist auch daneben, kann ich da nur sagen. Das erinnert mich an einen Auto-Aufkleber, den ich als Genosse von der taz-Genossenschaft zugeschickt bekam: „120 km/h - weil ich es kann“.

Also bei aller Liebe zum VCD und zur taz-Genossenschaft: ich lasse mir von Euch doch nicht meine Freiheit nehmen! Ich fahre seit Jahren in Deutschland kaum schneller als 105 km/h – Berg runter auch mal 107 km/h. Bekanntlich bin ich der Vorsitzende des „Internationalen Maastrichter Clubs der langsam fahrenden Männer“. Und natürlich würde ich auch in Deutschland gerne langsamer fahren – so wie es in den Niederlanden, wo ich arbeite und lebe, zivilisatorischer Standard ist – nämlich 100 km/h! Aber das geht ja leider nicht! Auf üble Weise wird in Autodeutschland meine Frei...hahahaha...heit eingeschränkt. Cruise ich mal mit Tempo 100 gemütlich über die A 61 werde ich streckenweise von Bussen und Lastwagen überholt, die lebensgefährlich vor mir einscheren. Überhole ich dagegen selbst mal klimaschonend mit 102 km/h einen Schiffstransporter, höre ich von hinten bereits das Brüllen des Audi-Turboladers, der mit Tempo 202 km/h auf mich zu rast!  Es ist mir egal, ob da ein Luxemburger oder sonst wer drin sitzt: Freiheit  ist immer nur die Freiheit des anders Lenkenden! Und deshalb muss ich allen  Freunden von 120 km/h und 130 km/h den Bremsweg verkürzen.

Selbst auf den freien Strecken ohne Tempolimit liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit aller Pkw auf deutschen Autobahnen bei 122 km/h. Kein Wunder dass die Einspareffekte bei Tempo 120 oder 130 moderat sind. Dagegen zur Erinnerung: Wir befinden uns in der größten Klimakrise der Menschheitsgeschichte und in der schlimmsten Energiepreis-Krise seit den 70er Jahren. Da kommen wir mit etwas Auto-Tuning und Kostmetik nicht weiter. Der Kraftstoffverbrauch eines Verbrennungsmotors sinkt nämlich erst um 30 Prozent, wenn ein Benziner mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h  fährt statt mit Tempo 130. Das sage nicht ich, sondern Professor Bert van Wee von der Universität Delft. Und wie gesagt, wir haben in den Niederlanden ein bisschen Erfahrung mit Tempo 100. Also ist der Verbrauch nicht 6,5 Liter, sondern 5 Liter auf 100 Kilometer.

Fährt jemand im Jahr 20 000 Kilometer mit seiner fossilen Steinzeitkarre, macht das eine pekuniäre Einsparung von 600 Euro. Das ist finanziell viel effektiver als Diesel- und Benzinrabatt! Und das cash, direkt auf die Kralle. Money for nothing und chicks for free! Das Geld fehlte dann den Dealern und nicht dem Christian. Das wäre eine Schuldenbremse, die gleichzeitig Schulden und Bremsen schont! Und das Beste: Das ist eine Schuldenbremse, die auch die Bremsen wirklich schont!.

Übrigens: Eine Krise  – lateinisch Crisis – ist ein Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung. Diese bietet sowohl die Chance zur Lösung der Konflikte als auch die Möglichkeit zu deren Verschärfung. Crisis? What crisis? Um es pathetisch mit Westernhagen zu sagen: Freiheit, ist das Einzige, was zählt.           

Martin Unfried

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fairkehr 4/2022