fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Editorial 4/2022

Klimawandel

Der sonnigste Sommer

Das Schöne an lauen Sommerabenden war doch, dass wir mit Freundinnen oder Nachbarn ausgiebig über unsere Pläne plauderten: Wohin wollen wir verreisen? Berge oder Meer? Was macht der Job? Sind wir zufrieden, suchen wir neue Herausforderungen oder gehen wir in Rente? Und überhaupt: Was macht die Liebe? Sind die Kinder glücklich? Wenn nicht gerade eine Krankheit den Lebensabschnitt überschattete, redeten wir so, als stünde uns die Welt offen. Als hätten wir alle Optionen.

Unsere alte Unbekümmertheit fühlt sich falsch an. Wir haben den sonnigsten Sommer aller Zeiten erlebt und sind trotzdem ausgelaugt. Wir hocken da und starren auf all die Krisen: Klima und Radikalisierung des Wetters. Alles vertrocknet oder verbrennt. Oder wird überflutet, wie jetzt in Pakistan. Corona ist noch nicht besiegt, der Krieg tobt, Gasknappheit wächst und mit ihr die Armut in unserer Gesellschaft. Die Gesprächsthemen haben sich geändert.

In Europa dachten wir lange, dass wir noch Zeit hätten, uns vorzubereiten. Wir hatten die Hoffnung, das Schlimm­ste durch eine anpackende Klimaschutz- und Energiepolitik verhindern zu können. Doch das stellt sich als Trugschluss heraus. Gerade im Verkehrssektor passiert: Nichts. Der Klima-Expertenrat der Bundesregierung hat dem Verkehrsministerium ein vernichtendes Urteil ausgestellt: Das Klimaschutzprogramm sei „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“. Die FDP verweigert das Umsteuern: Nein zum Tempolimit, Nein zum Aus für Verbrenner, Nein zur Reform der Dienstwagenbesteuerung. Alle Privelegien fürs Auto sollen bleiben.

Jetzt sind wir gefordert. Wir müssen Ideen und einen Plan für eine langfristige Transformation unseres Wirtschaftens und Zusammenlebens entwickeln, wenn wir den Planeten für unsere eigenen Kinder und Enkel nicht unbewohnbar machen wollen. Das sagen nicht mehr die Ökos, sondern, leider schlimmer, Physikerinnen und Ökonomen.

Bei alldem tut es gut, auf eine Geschichte zu schauen, deren Anfang ich ihnen im März an dieser Stelle aufgeschrieben habe. Eine junge Mutter hatte mit ihrer Tochter in unserem Haus Zuflucht gefunden. Sie hatte der Ukraine den Rücken gekehrt; der Krieg war der Anlass, die korrupten Verhältnisse der Grund, warum sie nicht wieder dorthin zurück will, sagt sie. In Deutschland möchte sie einmal Rettungssanitäterin werden, weil sie zupacken kann. Zu Beginn unseres Zusammenlebens habe ich Brücken gebaut: einen Kindergartenplatz besorgt, den Integrationskurs vermittelt, tausend Formulare ausgefüllt. Meine Mitbewohnerin ist jetzt nicht mehr erschöpft vom Schock der Flucht sondern vom Streichen der Wände ihrer ersten eigenen Wohnung. Ich hatte dabei auch Glück. Sie träumt nicht von einem Auto, sondern strahlt übers ganze Gesicht, dass sie mein Gästefahrrad behalten darf. Sie liebt das Rad, es mache sie frei, sagt sie. So kann ich zuschauen, wie sie in ihr neues Leben davonradelt, das Kind im Anhänger.

Lassen Sie sich in dieser Ausgabe mit Zahlen füttern und überlegen Sie mit uns, wie man mit den vielen Euro-Milliarden, die die Bundesregierung hin- und herschiebt, unsere Welt und die Wege darauf in eine bessere Zukunft lenken könnte. Und bleiben Sie zuversichtlich, Sie werden gebraucht.

Uta Linnert

fairkehr 4/2022