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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2022

Interview

„Die Zeit, die uns verbleibt, ist Goldstaub.“

Meteorologe und ZDF-Wetter-Moderator Özden Terli spricht im fairkehr-Interview darüber, wie die Medien über die Klimakrise berichten – und darüber, wie sie es tun sollten.

Özden Terli nutzt seine kurze Sendezeit nicht nur für den Wetterbericht, sondern auch, um Fakten über die Klimakrise zu präsentieren.

fairkehr: Früher wurde der Wetterbericht oft durch die Autofahrerbrille kommentiert: Vorsicht, es wird glatt auf den Straßen. Sie mischen sich politisch ein. Warum?

Özden Terli: Nicht im Wetterbericht, der ist nicht politisch. Aber die Folgen der Klimaveränderungen, die Extremwetter, haben politische Auswirkungen – aufgrund von massiven Versäumnissen beim Klimaschutz in der Vergangenheit. Die Menschen spüren die Veränderungen, erleben die Katastrophen. Entscheidend war das Jahr 2018, in dem es alle gemerkt haben: Diese enorme Dürre, die schon im Februar anfing und erst im November geendet hat – das war eines der Ereignisse, die sehr massiv waren. Da war allen klar, da stimmt irgendetwas nicht.  Die wiederholt anormale Lage des Jetstreams, die Lage der Hochs, die Brände von Skandinavien bis nach Sibirien, das war insgesamt betrachtet ex­trem.

Nutzen Sie deshalb die wenigen Minuten des Wetterberichts immer auch für Meldungen zur Klimakrise?

Ich habe im heute-journal eine Minute dreißig – und wenn es notwendig ist, ergänze ich etwa vierzig Sekunden auch mit einem Klimaanteil. Das gehört genau da rein, weil die Realität da draußen uns das vorgibt. In diesem Zusammenhang kommt gelegentlich die Frage: „Hat das etwas mit dem Klima zu tun?“

Was antworten Sie darauf?

Wir sind mitten in der Klimakrise und ALLES hat etwas damit zu tun. Die physikalische Realität zeigt die Klimaveränderung. Alle Parameter haben sich schon längst verändert: die Temperatur, der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre, die großräumige Zirkulation, die Lage und Stärke des Jetstreams, der Kohlensäuregehalt in den Ozeanen, die Erwärmung der Ozeane, die Eiskappen.

Ihre Kolleg*innen sprechen darüber weniger.

Die Warnungen vor den Wetterereignissen am nächsten Tag müssen ja sein, keine Frage. Aber gerade bei uns Meteo­rologen gehört die Klimatologie zur Ausbildung. Wie kann es sein, dass man dann nicht darüber spricht?

Die Klimakrise ist da. Wir sind mittendrin. Sie hat sich über Jahrzehnte aufgebaut und jetzt bekommen wir sie zu spüren, selbstverständlich beim ­Wetter. Deshalb müssen wir darüber reden. Es kommt allmählich in den Medien an, aber es geht zu langsam. Wir bräuchten einen Ruck, der alles verändert.

Würden Sie sagen, es ist Aufgabe der Medien, Wissen über den Klimawandel zu verbreiten? Ist das nicht die Aufgabe der Politik?

Die Medien sollen die Politik kontrollieren. Was ist denn bisher politisch passiert? Nichts. Die Konzentration der Gase in der Atmosphäre nimmt weiter zu, selbst in der Coronazeit hat sie weiter zugenommen. Solange die Kurve nicht abflacht oder wenigstens langsamer ansteigt, ist nichts passiert. Richtig? Also wirklich gar nichts. Wir Medien müssen Ursache und Wirkung benennen. Kohlendioxid ist die Ursache und die Erwärmung ist die Wirkung.

Journalist*innen haben im letzten Jahr ein Klimanetzwerk gegründet. Sie gehören zu den Erstunterzeichnern der kürzlich verfassten Charta. Dort fordern Sie, den Klimawandel medial als Querschnittsthema zu behandeln. Warum ist das notwendig?

Das ist genau der Punkt: Die Sport­redaktion muss genauso Bescheid wissen wie die Wirtschaftsredaktion. Die Veränderungen des Klimas betreffen unsere Existenzgrundlage. Es muss in allen Bereichen darüber gesprochen werden, nicht nur in den Nachrichtensendungen. Warum kommt das Thema nicht in Serien vor? Warum werden keine Liebesszenen auf abschmelzenden Gletschern gedreht, wann transportieren Serien der Bergrettung das Verschwinden des Permafrostes in den Alpen?

Sie müssen berichten: heißester Mai, nie gekannte Waldbrände, Jahrhundertfluten. Dringt man damit durch? Oder denken die Leute, die Ihnen zuhören oder bei Twitter Ihre Tweets lesen: „Um Himmels willen, da kommt schon wieder eine Horrormeldung.“

Für jemanden wie mich, der Fakten kommuniziert, ist es schwierig. Wie soll ich die Fakten anders kommunizieren? Das heißeste Jahr ist das heißeste Jahr. Es ist nicht meine Aufgabe, das zu verpacken. Das können Journalisten machen, die mehr Zeit haben, die einen längeren Beitrag produzieren oder eine Reportage. In meinen vierzig Sekunden kann ich nicht drum herumreden. Und warum sollte ich das tun? Wenn das vergangene Jahr das heißeste war, dann war es das.

Özden Terli und viele weitere Medien­schaffende sprechen in diesem Buch da­rüber, warum die Medien in der Klima-
Krise stecken und was sich ändern muss.
Medien in der Klima-Krise. Oekom-Verlag,
272 Seiten, 19,00 Euro.

Ist es zielführend, ständig im Klimakrisen-­­Modus zu kommunizieren? Schreckt man die Zuschauer*innen damit nicht ab?

Ich befürchte, die Krisenmeldungen werden eher noch weiter zunehmen. Die Fakten sind dramatisch. Was die Leute daraus machen, weiß ich nicht. Allein das Aufzählen der Daten reicht schon, die Dramatik zu transportieren. Wir müssen das nicht weiter dramatisieren, aber ich finde auch nicht, dass wir es einschränken müssen.

Wie steht es denn um das politische Klima? Was können wir dieser Ampelkoalition zutrau- en in Bezug aufs Klima?

Das Wichtigste ist die Energiewende. Das wäre ein Meilenstein, wenn wir die so massiv ausbauen könnten, wie es gefordert ist, damit die Reduktion der Emissionen bis 2030 gelingt. Wir brauchen auch die Wärmewende und eine Wende im Verkehrssektor, der fast nichts eingespart hat in den vergangenen Jahrzehnten. Es passiert nicht genug. Ich hoffe noch – wobei: hoffen reicht nicht –, also ich erwarte, dass noch einiges passiert. Wir haben jetzt einen Klimaminister, bei dem ich gespannt bin, wie viel Vernünftiges er auf die Reihe bekommt.

Wie viel Hoffnung setzen Sie in den Verkehrsminister?

Naja, bisher ist noch nicht viel passiert, was die Reduktion voranbringen würde. Beispiele wie der Tankrabatt zeigen, es wurde nicht verstanden, worum es hier geht. Unter Klimagesichtspunkten ist ein Rabatt auf fossile Energieträger kontraproduktiv. Und das Tempolimit zum Energiesparen kommt auch nicht. 

Könnten Sie unseren Leser*innen noch kurz erklären, ob wir durch CO2-Einsparung dessen Gehalt in der Atmosphäre verringern können? Wird es durch klimaschonendes Verhalten wieder kühler? 

Kühler bestimmt nicht mehr. Würden wir sofort aufhören, fossile Energie zu verbrennen, könnten wir die Temperatur stabilisieren; die Kohlendioxidkonzentration würde nach und nach runtergehen. Es laufen aber noch andere Prozesse auf dem Planeten: der Perma­frostboden taut auf, das Klimagas ­Meth­an wird freigesetzt. Die große Gefahr ist, dass der Planet auf unser Handeln reagiert und wir das nicht mehr unter Kontrolle halten können. Wir haben unseren Planeten seit der Industrialisierung so rasch aufgeheizt wie normalerweise in Tausenden von Jahren. Daran sieht man, mit was für einem massiven Vorschlaghammer wir auf das System draufhauen. Dafür fehlt komplett das Risikomanagement. Es gibt nirgendwo etwas zu sehen, was dem entgegenwirkt. Schauen Sie sich den letzten IPCC-Bericht an: Da tut sich ein riesiger Abgrund auf zwischen dem, was die Staaten zugesagt haben, und dem, was man machen müsste, um unter 1,5 Grad zu bleiben.

Also ist die US-Komödie mit Starbesetzung aus dem letzten Dezember „Don't Look Up“ Realität? Das hatten Sie einmal getwittert. 

Absolute Realität. Dieser Film ist einfach grandios, weil er genau das zeigt, was wir gleichzeitig erleben. Ich konnte den Film kaum anschauen – ich dachte die ganze Zeit: „Das ist doch genau das, was ich seit Jahren erlebe.“

Haben wir noch eine Chance? 

Warum sollten wir aufgeben? Wir haben die Verantwortung, unser ganzes Leben lang weiterzukämpfen. Die restliche Zeit bis 2030, die uns verbleibt, ist Goldstaub. Alles, was aus dieser Sanduhr verrinnt, ist pures Gold, sehr wertvoll. Wir müssen weiter kämpfen.

Interview: Uta Linnert, Katharina Baum

fairkehr 3/2022