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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Freie Gehwege

Knackpunkt Parken – Städte schaffen Platz

Der Platz in den Städten ist knapp. Immer mehr parkende Autos machen sich auf den Gehwegen breit. Erste Städte steuern dagegen.

Eine Straße mit Kopfsteinpflaster, an der links und rechts dicht an dicht Autos parken. Daneben sind auf beiden Seiten Reihenhäuser zu sehen.
So sieht es in fast allen städtischen Straßen aus: beidseitig zugeparkte Gehwege – kein Durchkommen für Menschen zu Fuß.

Ein Nachmittag im Bremer Stadtteil „Alte Neustadt“ links der Weser. Ins Gespräch vertieft laufen zwei Frauen in der Moselstraße zügig über das glatte Kopfsteinpflaster. Das Gehen auf der Fahrbahn ist hier wie in einigen der angrenzenden Straßen schon fast üblich. Oft haben die Passant*innen auch keine andere Wahl. Für Menschen ist auf dem Gehweg kein Platz. Stoßstange an Stoßstange stehen dort die Autos mit zwei Rädern. Aufgesetzt Parken nennen das Verkehrsexpert*innen. Das ist zwar verboten, ebenso wie das Parken im Kreuzungsbereich, aber beides hat sich in Bremen etabliert – wie in vielen anderen europäischen Städten. Lange Zeit haben Verkehrsplaner*innen dabei zugesehen, wie immer mehr und immer breitere Autos die Wohnquartiere zustellen und den Bewohner*innen den Platz zum Gehen stehlen. Aber das funktioniert nicht länger. In Bremen haben Anwohner aus drei Stadtteilen gegen das Zuparken ihrer Gehwege geklagt und vom Verwaltungsgericht Recht bekommen. Das Urteil ist deutlich: Die Verkehrsbehörde muss dafür sorgen, dass Fußwege frei bleiben.

„Wir werden das Urteil in den drei betroffenen Straßen möglichst bald umsetzen“, sagt Michael Glotz-Richter, Referent für nachhaltige Mobilität in der Hansestadt. In Berufung gehen wird die Verkehrsbehörde trotzdem. „Wir wollen eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, weil es eine große rechtliche Tragweite hat“, sagt der Verkehrsexperte. Für ihn ist es entscheidend, dass die Menschen sicher auf den Fußwegen vor ihrer Haustür unterwegs sein können. Bremen ist neben Zürich und Rotterdam eine der Städte, die seit Jahren das Parken in den Zentren ordnen und die Zahl der abgestellten Autos reduzieren.

Dafür greifen die Planer*innen in Bremen zu einem einfachen Mittel: Sie setzen die Verkehrsregeln konsequent um und verhindern etwa das Parken im Kreuzungsbereich. Außerdem ordnen sie den Parkverkehr neu und reduzieren die Zahl der Autostellplätze in den Wohnstraßen. 2019 hat die Verwaltung damit angefangen. Damals haben Glotz-Richter und sein Team zwölf Straßen in dem Viertel „Alte Neustadt“ in ein Fahrradmodellquartier verwandelt.

Es ist das erste seiner Art bundesweit. Mit der Umgestaltung wurden die Kräfteverhältnisse vor Ort umgedreht. Seitdem haben Fußgänger*innen und Radfahrer*innen hier Vorfahrt. Die Voraussetzung dafür war: den Parkverkehr neu zu ordnen und die Gehwege konsequent von Falschparkern mit zwei und vier Rädern freizuräumen. „Wir hatten eine Übernutzung durch Pkw“, sagt Glotz-Richter. Die Autoschlangen parkten rechts und links am Bordsteinrand. Oft ragten die Fahrzeughauben weit in die Kreuzung hinein. Das war gefährlich für Kinder und Erwachsene. Sie konnten die Kreuzungen vor dem Queren nicht überblicken. Aber auch Müllabfuhr und Rettungsdienste schlugen immer wieder Alarm. Bei Einsätzen blieben Notarzt und Löschfahrzeuge immer wieder an zugeparkten Kreuzungen stecken. Damit sollte nach dem Umbau Schluss sein.

Autos werden immer größer

Die notwendigen Baumaßnahmen waren überschaubar. Die Fußwege wurden an den Kreuzungen verbreitert und mit Fahrradbügel versehen, um Falschparker fernzuhalten. Ein Problem in den Wohnstraßen ist laut Glotz-Richter auch das Wachstum der Autos. Pkw sind in den letzten Jahrzehnten immer länger und breiter geworden. „Wo früher zehn Autos hintereinander parken konnten, haben heute vielleicht noch sieben oder acht Wagen Platz“, sagt er. Das Breitenwachstum von etwa 20 Zentimetern entscheide darüber, ob beidseitiges Parken überhaupt noch möglich sei oder ob einseitiges Parken angeordnet werden müsse, sagt er. Baulich ist das Parkverbot leicht umsetzbar. Auf der Fahrbahn werden Fahrradbügel parallel zum Fahrbahnrand installiert. Damit verhindern die Bremer Planer*innen inzwischen das Falschparken im Längsverkehr, aber auch in Kurven.

Die Neuordnung der Mobilität im Fahrradmodellquartier war für Bremen erst der Auftakt. Im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts „Sunrise“ haben Glotz-Richter und sein Team in den vergangenen vier Jahren mit den Vertreter*innen des Stadtteilbeirats und den Anwohner*innen der „Östlichen Vorstadt“ ein nachhaltiges Mobilitätskonzept für ihr Wohngebiet entwickelt.

Einige der bewährten Elemente aus dem Fahrradquartier haben sie hier übernommen. Außerdem wurde in sechs der 20 Straßen des Viertels Anwohner*innenparken eingeführt. 30 Euro kostet das Ticket jetzt pro Jahr. Im europäischen Vergleich ist das ein Spottpreis. In Amsterdam zahlen die Menschen jährlich 535 Euro und in Stockholm sogar 827. Entscheidend ist jedoch, dass in Bremen zeitgleich 120 Parkplätze entfernt wurden.

Die Entscheidung fiel nach einer Zählung der Parkplätze im Quartier. 1 436 gab es zuvor in dem Wohngebiet. „Aber es waren nur 1315 Wagen bei der Kfz-Zulassungsstelle angemeldet“, sagt Glotz-Richter. Den übrigen Raum belegten Pendler*innen, Autofahrer*innen, die zum Bummel in die Innenstadt wollten, oder Besucher*innen des nahegelegenen Krankenhauses. Theoretisch können sie immer noch hier parken. Allerdings nur für zwei Stunden und kostenpflichtig. Das ist unattraktiv und so gewollt. Die Bremer Verkehrsplaner*innen wollen den Menschen im Quartier den Lebensraum vor ihrer Haustür zurückgeben.

Einfahrt in eine Wohnstraße, links auf dem Bürgersteig geht eine Kindergartengruppe, rechts parken Autos.
So soll es sein: Autos parken am Fahrbahnrand statt aufgesetzt auf dem Bürgersteig. Dann können die Bürger*innen auf dem Gehweg laufen, auch mal Hand in Hand.

Damit folgt die Hansestadt einem internationalen Trend. Viele Städte weltweit haben damit begonnen, ihre autozentrierten Zentren pro Fahrrad und Fußverkehr umzubauen. Eine von ihnen ist Rotterdam. Die niederländische Hafenstadt will ihre Innenstadt in den kommenden Jahren in eine City Lounge verwandeln. Der dafür notwendige Platz soll dem Autoverkehr abgezweigt werden – auch dem ruhenden Verkehr.

Mit ihrem „Parkeerplan 2016–2018“ haben die Planer*innen eine ausgeklügelte Parkraumstrategie entwickelt, die Autofahrer*innen das Parken in öffentlichen Garagen schmackhaft machen soll. Ihr Lockmittel ist ein preiswerter Tarif. 2018 hat die Rotterdamer Verwaltung die Preise fürs Parken neu sortiert. Der Stundenpreis für das Abstellen von Fahrzeugen auf der Straße wurde von 3,33 Euro auf 4,08 Euro angehoben und im Parkhaus von 2,70 auf zwei Euro gesenkt. Parallel dazu hat die Stadt damit begonnen, Parkplätze aus der Innenstadt zu entfernen. Bislang sind es 1 800, insgesamt sollen 3 000 wegfallen. Um Gästen die Fahrt nach Rotterdam trotzdem leicht zu machen, bietet die Stadt kostenlose Parkplätze auf einem Park+Ride-Gelände (P+R) im Stadtzentrum an, sowie an verschiedenen P+R-Standorten am Stadtrand.

Weniger Autos auch in Zürich

In Zürich hat der Rückbau von Parkplätzen schon früher begonnen. Dort hat die Politik 1996 im sogenannten „historischen Parkplatzkompromiss“ beschlossen, die Zahl der Parkplätze in der Innenstadt auf den Stand von 1990 zu deckeln. „Seitdem wird für jeden Parkplatz, der unterirdisch gebaut wird, oberirdisch einer entfernt“, sagt Martina Hertel, Verkehrsforscherin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Das zeigt Wirkung. Mittlerweile nutzen nur noch 25 Prozent der Züricher*innen ihren Privatwagen, wenn sie sich in der Stadt bewegen. Das sind 15 Prozent weniger als noch im Jahr 2000.

In Deutschland ist der Aufschrei beim Wegfall von Parkplätzen oft groß. In den Niederlanden minimiert der intensive Austausch mit den Bürger*innen vor Ort die Konflikte. Noch vor Planungsbeginn werden sie bei Bauvorhaben zu ihren Wünschen und ihrer Meinung befragt. Zur Halbzeit der Planung diskutieren sie mit den Expert*innen die Entwürfe. Vor Baubeginn werden die Pläne in der Regel mit Pop-up-Elementen auf ihre Alltagstauglichkeit getestet. Die Erfahrungen und Einschätzungen der Nutzer*innen nach der Testphase fließen in die Umsetzung ein. Dieses umfangreiche Beteiligungsverfahren führt zu einer größeren Akzeptanz der Bauvorhaben in der Bevölkerung.

In Bremen wurden im Rahmen des Sunrise-Projekts ebenfalls umfangreiche Beteiligungsverfahren durchgeführt. Immer wieder hat das Sunrise-Team vor Ort mit den Anwohner*innen gesprochen – auf Festen, an Infoständen im Quartier, bei Stadtrundgängen oder auch online. Sie haben ihr Konzept erklärt, Ideen eingeholt und sowohl Kritik wie Vorschläge abgefragt.

Seit dem Umbau gibt es viel Lob für die Maßnahme, aber auch Gegenwehr. Eine Bürgerinitiative hat sich gegründet, die gegen die Neuordnung vorgehen will. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. Manche Bürger*innen fühlen sich nicht gut informiert, einige Einzelhändler fürchten um ihre Kundschaft und andere fühlen sich überwacht, weil nach der Umbauphase das Ordnungsamt die Kontrollen vor Ort verstärkte und Falschparker konsequent abschleppte.

„Parken ist ein hochemotionales Thema“, sagt Glotz-Richter. Er kann verstehen, dass die Menschen weiterhin vor ihrer Haustür parken möchten. „Aber nicht auf Kosten der Allgemeinheit“, sagt er. Für den Verkehrsexperten ist das Freiräumen der Gehwege und das Einhalten der Parkregeln nur ein erster Schritt. „Im Rahmen der Parkraumanalyse haben wir im Sunrise-Quartier festgestellt, dass 26 Prozent der Autos von Dienstagmorgen bis Freitagnachmittag ungenutzt herumstanden“, sagt er. Das Potenzial für mehr Carsharing oder dem Parken auf Quartiersstellplätzen sei demnach groß.

Mit dem Sunrise-Projekt hat die Hansestadt eine Blaupause entwickelt, mit der europäische Städte ihre Wohnquartiere so organisieren können, dass die Fußwege nutzbar sind und die Park­regeln eingehalten werden. Auf den ersten Blick wirken die Maßnahmen unspektakulär. Sie entfalten ihre Wirkung auch nur, wenn sie flächendeckend ausgerollt werden. In Bremen sollen laut Glotz-Richter zukünftig in drei bis vier Quartieren pro Jahr das Parken geordnet werden. Parkplätze entfallen dort nicht, schließlich war das Abstellen der Autos dort verboten. Das Urteil des Verwaltungsgerichts gibt ihnen für die Umsetzung zusätzlichen Rückenwind.

Andrea Reidl

„Parkpickerl“ fürs Klima

Das Bild zeigt eine Straße in Wien. Links fährt eine rote Straßenbahn unter einem grünen Baum, rechts neben der Straße steht ein größeres, helles Gebäude.
Kein freies Parken mehr in Wien, dafür kommt die Tram alle paar Minuten.

Kostenloses Parken ist in Wien nicht mehr möglich. Aus Klimaschutzgründen hat Österreichs Hauptstadt ab 1. März 2022 das Anwohnerparken auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet. Damit müssen alle anderen Autos von Montag bis Freitag zwischen 9 und 22 Uhr auf kostenpflichtige Kurzparkzonen, Parkhäuser oder auf Park&Ride-Parkplätze am Stadtrand ausweichen. Die Maßnahme der Zwei-Millionen-Metropole trifft auch Tourist*innen oder Besucher*innen. „Wer unter der Woche mit dem Auto kommt, dem bleibt nur das Parkhaus“, sagt ein Sprecher des Verkehrsressorts der Stadt. Ziel sei die Halbierung des Autopendler-Verkehrs in die Stadt bis 2030. Nach Schätzungen kommen täglich um die 200 000 Pendlerinnen und Pendler mit dem Auto in die Stadt.

Vor mehr als 20 Jahren hat Wien das sogenannte Parkpickerl eingeführt, das für eine Gebühr von mindestens 120 Euro im Jahr nur Anwohner*innen längeres Parken erlaubt. Es wurde auf immer mehr Stadtteile ausgedehnt. Nun folgten die letzten fünf der insgesamt 23 Wiener Bezirke.

Es sei der Regierung aus Sozialdemokraten und Liberalen gelungen, auch die restlichen Stadtteile von der Sinnhaftigkeit der Maßnahme zu überzeugen, heißt es aus dem Rathaus. „Pkw, die im Schnitt 23 Stunden pro Tag gar nicht bewegt werden, dauerhaft im öffentlichen Raum abzustellen, ist eine der ineffizientesten und stadtunverträglichsten Formen, den ruhenden Verkehr zu organisieren“, sagt der Verkehrswissenschaftler der Universität Wien, Harald Frey.

Die Stadt Wien verfügt über ein dichtes Netz an Bussen und Bahnen, die Haltestellen werden oft in nur wenigen Minuten Abstand angefahren. Das Jahresticket für den gesamten Nahverkehr kostet 365 Euro. Die Einnahmen aus der Park­raum-Bewirtschaftung, in Zukunft etwa 170 Millionen Euro im Jahr, sollen direkt in den weiteren Ausbau des ÖPNV fließen.

Grundsätzlich ist laut StVO das Parken auf dem Gehweg verboten. Städte dürfen das aufgesetzte Parken auf dem Gehweg mit dem Verkehrszeichen 315 erlauben. Allerdings nur, wenn der verbleibende Platz auf dem Fußweg es zulässt. Das heißt ausdrücklich, dass Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer*innen sich mit genügend Abstand begegnen und aneinander vorbeikommen können.


Das Verkehrszeichen 315: ein stilisiertes, weißes Auto parkt aufgesetzt auf einem gehsteig, der Hintergrund ist blau. Oben steht ein P für Parken parkt