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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Editorial 1/2022

EU-Taxonomie

Nuklearer Nonsens

Die EU-Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten labelt Atomkraft als grünes Investment. Dabei ist Kernkraft gefährlich, teuer und es gibt keine Atommüll-Endlager.

Benjamin Kühne, Redakteur

Als ich ein kleiner Junge war, durfte ich für einige Zeit nicht im Sandkasten spielen, und man sollte keine Speisepilze essen, die im Wald und auf Wiesen wuchsen. Eines der ersten Bücher, das ich in der Schule gelesen habe, war „Die Wolke“ von Gudrun Pausewang. Ich bin ein Kind der 1980er und zur Zeit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl aufgewachsen, die eine ganze Region an der ukrainisch-belarussischen Grenze verstrahlt und unzählige Menschen getötet oder krank gemacht hat.

36 Jahre nach Tschernobyl und 11 Jahre nach Fukushima hat die Europäische Kommission am 2. Februar den ergänzenden delegierten Rechtsakt zur Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten erlassen. Darin empfiehlt sie Atomkraft und Gas als grüne Investments für den Zeitraum bis 2045.

Man kann den Standpunkt vertreten, dass Atomenergie 36 Jahre nach Tschernobyl sicherer geworden ist, dass die EU nicht die untergehende UdSSR ist und dass beim Betrieb von Atomkraftwerken keine direkten CO2-Emissionen entstehen. Aber das macht Atomkraft weder grün noch beherrschbar.

Die Probleme der Technologie können im 2019 veröffentlichten UranAtlas nachgelesen werden: In den Orten, an denen Bergleute Uran abbauen, ist das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöht und die Geburtenraten sind niedriger als anderswo. Auf dem Planeten ist nur ein Endlager im finnischen Onkalo im Bau, das nicht einmal so viel Atommüll fassen kann, wie weltweit in einem Jahr anfällt. Uran ist ein endlicher Rohstoff und die ergiebigsten Vorkommen sind fast erschöpft. Die Erschließung neuer Vorkommen wird deutlich aufwendiger. Atomkraftwerke nur bei Bedarf einzuschalten, wenn Wind und Sonne zu wenig Energie liefern, ist nicht möglich.

Wirtschaftlich ist die Atomindustrie ohne staatliche Subventionen nicht überlebensfähig. Außerdem wird die Atomkraft künftige Generationen Milliarden für die Atommüllentsorgung und den Rückbau von Reaktoren kosten, deren Lebensdauer zu Ende geht.

Zwar werden neue Atomkraftwerke nicht in Deutschland stehen, weil der EU-Rechtsakt keinen Einfluss auf den 2011 beschlossenen Atomausstieg hat. Aber Gefahr geht auch von Atomkraftwerken in den Nachbarländern aus. Die Bundesregierung lehnt den EU-Beschluss zu Recht ab: „Wir haben wiederholt deutlich gemacht, dass wir die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie für falsch halten. Atom­energie ist risikobehaftet und teuer; auch neue Reaktorkonzepte wie Mini-Reaktoren bringen ähnliche Probleme mit sich und können nicht als nachhaltig eingestuft werden. Das Ganze konterkariert das gute Konzept der Taxonomie und läuft ihren Zielen zuwider“, kommentierte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck.

Aber der Gedanke, dass die EU-Kommission, wie im Übrigen auch Frankreichs Präsident Macron, Atomkraft grünwaschen will, bleibt für mich verstörend. Dass der Europäische Rat oder das Europäische Parlament diesen nuklearen Nonsens stoppt, ist unwahrscheinlich. Und um zur Mobilität zu kommen: Jeder Euro, den Anleger*innen jetzt in Atom- und in Gaskraftwerke stecken, fehlt beim Ausbau der erneuerbaren Energien und damit auch für eine Verkehrswende in Europa, die von wirklich grünem Strom angetrieben wird.

Viel Spaß beim fairkehr-Lesen wünscht

Benjamin Kühne 

fairkehr 1/2022

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