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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 5/2021

Klima­neutral­ität 2250

fairkehr-Kolumnist Martin Unfried fordert, Dienstreisen auf der Mittelstrecke nur noch mit dem Nachtzug zu absolvieren.

Frau arbeitet im Zug am Laptop.
Fotos: Nightjet - © ÖBB/Harald EisenbergerUnterwegs noch schnell eine Präsentation vorbereiten? Ist auf einer Dienstreise mit dem Zug kein Problem.

Der Historiker Timothy Garton Ash ist ein überzeugter Europäer und Brite. Ja, das gibt es! Er hat 2017 den Karlspreis zu Aachen bekommen, wie vor ihm Bill Clinton und der Papst. Der Papst hat Klimaschutz übrigens zur wichtigsten Säule seines Pontifikats erklärt und der Intellektuelle Garton Ash tat es ihm nach. Zur Klimakonferenz in Glasgow schrieb er im Guardian ein flammendes Plädoyer: „Why we need a new golden age of European rail“. Er forderte ein neues Zeitalter des Bahnverkehrs und sprach sich gegen Kurzstreckenflüge aus!

Es ist doch schön zu sehen, welche innovativen Ideen Karls­preisträger im Jahr 2021 so haben. Aber Spaß beiseite. Der Text war sehr sympathisch: Selbstkritisch beschrieb er, wer denn eigentlich innereuropäisch so häufig flöge. Das seien eben nicht so sehr die Mallorca-Reisenden mit ihrem Jahresurlaub. Sondern vor Corona waren das vor allem er und seine privilegierten Kolleg*innen aus Wissenschaft und Geschäftswelt. Die waren nämlich mehrmals im Monat über den europäischen Wolken unterwegs. Sein Projekt „Europe’s Stories“ hat Landkarten erstellt, die zeigen, wohin man in zwölf Stunden mit dem Zug so kommt. Von Berlin nach London beispielsweise. Oder nach Mailand. Von Brüssel nach Barcelona oder von München nach Warschau. Wirklich gute Infos.

Was fehlt sind allerdings deutliche Handlungsanweisungen für die Zielgruppe. Auf diese hatten wir an der Universität Maastricht vor kurzem in einer Klima-Arbeitsgruppe gesetzt: Verbindungen aufgelistet, die man von Maastricht aus in acht Stunden erreichen kann. Wir wollten nämlich die Universitätsleitung dazu bringen, eine generelle 8-Stunden-Regel einzuführen. Keine Dienstflüge, wenn die Reise mit der Bahn in acht Stunden zu machen ist. Wir hatten sogar ein Kompensationssystem erdacht: Bei Flugreisen sollte ein bestimmter Betrag in einen Fonds eingezahlt werden, der Bahnreisen sponsert, wenn diese teurer als Flüge sind. Um es kurz zu machen: Wir sind hochgradig frustriert. Die Übung war vor allem ein wertvoller Hinweis darauf, warum wir an der Universität vor 2250 wohl nicht klimaneutral sein werden. Einige Kolleg*innen brachten interessante Argumente gegen Klimaschutz vor. Wir sollten lieber erst in der Kantine die vegetarischen Menüs stärken! Oder: Sie könnten die Mehrkosten für die CO2-Kompensation nicht aus Projektgeldern finanzieren! Oder: Ihr wissenschaftliches Standing sei stark gefährdet, wenn sie seltener zu Konferenzen reisen könnten! Oder: Man könne es Frauen nicht zumuten, nachts auf einem Bahnsteig zu stehen! Am Ende beschloss die Leitung, sowohl 8-Stunden-Regel als auch Kompensation nur freiwillig einzuführen – für alle gutmeinenden und klimaliebhabenden Freiwilligen. Also nichts für echte Wissenschaftler*innen.

Glasgow erreicht man von Berlin aus in 15 Stunden 24 Minuten. Was mich zur Kolumne eines taz-Kollegen bringt, der von der Klimakonferenz berichtete. Er beklagte sich, dass er zur Veranstaltung fliegen musste, weil es so schwierig sei, online oder direkt bei der Deutschen Bahn ein internationales Bahnticket zu buchen. Und überhaupt sei das Fliegen so viel günstiger. Ich empfehle eine gemeinsame Dienstreiseregelung bei taz und fairkehr. Wenn die Reise in weniger als 15 Stunden 25 Minuten mit der Bahn zu machen ist, dann scheidet das Flugzeug rigoros als Transportmittel aus! Wenn doch wegen längerer Distanzen oder gefährlicher Bahnsteigen geflogen werden muss, dann gilt für die Tonne CO2 eine Kompensationszahlung von 800 Euro, im Voraus zu zahlen in die interne CO2-Reisekasse. Ein Flug nach Glasgow würde deshalb rund 600 Euro teurer. Mit dem Geld könnten dann wiederum Erste-Klasse-Bahntickets für die Einzelkabine im Schlafwagen finanziert werden, mit Champagner, Fußmassage und Bodyguard am Bahnsteig.

Martin Unfried 

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fairkehr 5/2021

Auf dem Cover der fairkehr 5/2021 ist ein Mann in einem roten Overall zu sehen, der ein Lastenfahrrad voller Geschenke fährt.