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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

OpenBikeSensor

Mit Daten zu Radwegen

Mit dem „OpenBikeSensor“ können Fahrradaktivist*innen selbst Messdaten zu gefährlichen Überholvorgängen sammeln und als sachliche Argumente für ihre Ziele nutzen.

Am Vorbau eines Fahrrades ist ein kleiner Kasten - der Abstandsmesser OpenBikeSensor - installiert. Am Lenker ist ein Schalter befestigt, mit dem das Gerät ausgelöst werden kann.
Foto: Fabian KernUm mit dem OpenBikeSensor, hier im VCD-Design, den Abstand zu einem vorbeifahrenden Fahrzeug zu messen, muss man den roten Knopf am Lenker drücken.

Auf einer engen Straße in Stuttgart-Kaltental rauscht ein weißer Citroën mit 55 Zentimeter Abstand an einem Radfahrer vorbei. Der Spiegel des Pkw kommt dem Lenker seines Rades bedrohlich nahe. Diese Szene ist in einem YouTube-Video dokumentiert. Den Abstand hat der Radler mit dem Messgerät OpenBikeSensor erfasst.

„Gefährliche Überholvorgänge, bei denen Autofahrer den von der Straßenverkehrsordnung vorgeschriebenen Abstand von 1,5 Metern zu Radfahrenden nicht einhalten, sind in Deutschland Alltag. So wie Verkehrsplaner die Straßen gestalten, verleiten sie geradezu zum engen Überholen. Auch die Polizei greift nicht ein, solange die Autofahrer keine Unfälle verursachen“, sagt Thjis Lucas. Der Stuttgarter wirkt in der Initiative mit, die den OpenBikeSensor baut und weiterentwickelt. „Wir wollen die Situation auf den Straßen mit Daten belegen, um die emotionale Debatte um die Sicherheit von Radfahrenden zu versachlichen und die Kommunalverwaltungen zum Handeln zu bewegen“, erklärt er.

Der OpenBikeSensor ist ein rechteckiges Plastik-Kästchen, das am Oberrohr des Fahrradrahmens, am Vorbau oder an der Sattelstange montiert wird. Es sendet Schallwellen aus, die von bis zu 2,5 Meter entfernten Objekten zum Gerät reflektiert werden. Anhand der Zeit, die die Schallwellen unterwegs sind, kann es den Abstand zu vorbeifahrenden Fahrzeugen berechnen. Auch die GPS-Koordinaten der Überholvorgänge zeichnet der OpenBikeSensor auf. Wenn man die Daten auf einer Karte darstellt, wird deutlich, wo sich gefährliche Überholvorgänge häufen und welche Straßen Radler*innen nutzen oder meiden.

Die Idee zum Gerät stammt von der Berliner Tageszeitung „Tagesspiegel“. Für eine Online-Dokumentation stattete die Redaktion im Jahr 2018 100 Rad­fahrer­­*innen aus der Hauptstadt mit sogenannten Radmessern aus, einer einfacheren Vorgängervariante des OpenBikeSensors. Von 17 000 erfassten Überholvorgängen waren bei über der Hälfte die Abstände zu gering.

Selbst basteln und löten

Zu kaufen gibt es den OpenBikeSensor nicht. Wer ein eigenes Gerät haben möchte, um Daten zu sammeln, muss selbst zu Lötkolben, Kneifzange und Inbusschlüssel greifen. Auf der Website des Projektes finden Interessierte eine Liste mit Bauteilen und eine Anleitung. Auch eine Software steht zum Download bereit. „Am besten bastelt es sich in der Gruppe. Man kann eine gemeinsame Sammelbestellung für die Teile aufgeben, erfahrene Bastler können Anfängern Tipps geben und man kann sich gegenseitig mit Werkzeug aushelfen“, empfiehlt Benjamin Bös, Technikexperte der OpenBikeSensor-Initiative. Wer eine gesellige Bastelsession organisieren möchte oder beim Bauen Hilfe benötigt, wendet sich am besten über den Instant-Messanging-Dienst „Slack“ an die Community, an der sich rund 900 Personen aus ganz Deutschland beteiligen.

Circa 150 bis 200 OpenBike­Sensoren sind derzeit auf deutschen Straßen unterwegs, die vor allem von ADFC-Gruppen und Radentscheiden genutzt werden. Aber auch der VCD Süd­baden baut derzeit zehn Geräte. „Wir hoffen, dass in Zukunft noch mehr ADFC- und VCD-Gruppen Sensoren bauen und an Mitglieder und andere Interessierte verleihen, damit diese Daten sammeln können“, so Thjis Lucas. Er ist zuversichtlich: „Mit einer besseren Datenlage können Fahrradaktivisten ihre Forderungen nach sicherer Infrastruktur gegenüber Politik und Verwaltungen konstruktiv durchsetzen und motivierte Stadtverwaltungen in ihrer Arbeit unterstützen.“

Benjamin Kühne 

fairkehr 4/2021