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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Familie 4/2021

Kinder- und Jugendparlamente

Wir können Politik

In Kinder- und Jugendparlamenten in ganz Deutschland treffen sich junge Menschen, um sich an der Lokalpolitik zu beteiligen. Wie funktioniert das?

Vierjugendliche sitzen an einem Schreibtisch und diskutieren über politische Themen.
Foto: Katharina BaumDas Jugendparlament Itzehoe trifft sich alle zwei Wochen, um aktuelle Themen und Projekte zu besprechen.

Es ist ein kalter, windiger Augustnachmittag in Itzehoe, Schleswig-Holstein. Eine kleine Gruppe Jugendlicher hat sich in einem klassenzimmerartigen Raum im Haus der Jugend versammelt. „Ich glaube, es kommt niemand mehr. Lasst uns anfangen“, sagt Anna Goerlach. Damit hat die erste Sitzung nach den Sommerferien des Jugendparlaments Itzehoe begonnen.

In Kinder- und Jugendparlamenten haben junge Menschen in Deutschland die Möglichkeit, sich in die lokale Politik einzubringen. Eine Studie des Deutschen Kinderhilfswerks (DKHW) zählte 2020 insgesamt 520 Kinder- und Jugendparlamente in ganz Deutschland. Wie diese Parlamente organisiert sind und welche Einflussmöglichkeiten die Mitglieder haben, unterscheidet sich von Kommune zu Kommune.

„Es ist gesetzlich festgeschrieben, dass Kinder und Jugendliche an bestimmten Entscheidungen beteiligt werden müssen, auch für Kinder- und Jugendparlamente gibt es teilweise gesetzliche Vorschriften. Wie genau diese aussehen, ist aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich“, erklärt Finn Sörje, Projektleiter der Akademie für Kinder- und Jugendparlamente beim Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V.

In Itzehoe können die Mitglieder des Jugendparlaments an Ratsversammlungen und Ausschuss-Sitzungen teilnehmen. „Wir können Anträge stellen und haben ein Rederecht, aber abstimmen dürfen wir nicht“, erzählt Anna Goerlach. Die Siebzehnjährige ist seit Anfang 2020 die Vorsitzende des Jugendparlaments. „Ich organisiere gerne. Und ich will wissen, was in Itzehoe passiert, und finde es wichtig, dass auch Kinder mit einbezogen werden und ihre Ideen einbringen können.“ Ihr persönliches Anliegen, und das der meisten ihrer Mitparlamentarier*innen: bessere Busverbindungen und mehr Leben in der Innenstadt.

Das Itzehoer Jugendparlament wird alle zwei Jahre gewählt. Alle Einwohner*innen zwischen 10 und 18 Jahren sind wahlberechtigt und können sich auch zur Wahl aufstellen lassen. „Die meisten Kinder- und Jugendparlamente kommen durch Wahlen zustande, damit sind sie im besten Fall repräsentativ für die junge Bevölkerung einer Kommune. In der Praxis ist das allerdings oft nicht der Fall“, so Sörje. „Wir legen in unserer Arbeit deshalb auch Wert darauf, die Jugendlichen zu erreichen, die sich noch nicht in den Parlamenten engagieren.“

Problem Sichtbarkeit

Die Jungparlamentarier in Itzehoe geben sich Mühe, möglichst viele Jugendliche in ihre Arbeit mit einzubeziehen. „Wir veranstalten regelmäßig Umfragen über Instagram, aber meistens bekommen wir nur sehr wenige Antworten, und oft kommen viele davon auch noch von älteren Erwachsenen, deren Meinung gar nicht gefragt war“, erzählt Goerlach. „Es ist schwer, die nötige Sichtbarkeit zu erreichen. Die Corona-Pandemie hat uns da auch nicht gerade geholfen, denn alle unsere Aktionen mussten online stattfinden.“

Dass die Sichtbarkeit des Jugendparlaments in Itzehoe nur gering ist, hat sich auch an den letzten Wahlen gezeigt. „Eigentlich haben wir 15 Plätze im Parlament. Bei der letzten Wahl haben sich aber nur 14 Personen überhaupt aufstellen lassen, sodass einfach alle gewählt wurden“, so Goerlach. Zur Sitzung heute sind fünf Mitglieder erschienen. Damit ist das Parlament beschlussfähig – das ist nicht immer so. „Wir haben alle ziemlich schnell gemerkt, dass wir eigentlich nichts bewegen können. Wir haben zwar einen Finanzetat, und wenn wir uns mit Fragen an die Parteien wenden, bekommen wir Antworten. Letztendlich interessiert unsere Meinung aber immer nur dann, wenn Jugendliche direkt betroffen sind, zum Beispiel beim Bau des neuen Skateparks letztes Jahr. Mit richtiger Kommunalpolitik haben wir nichts zu tun. Das frustriert, und darum kommen auch viele nicht.“

Finn Sörje von der Akademie für Kinder- und Jugendparlamente kennt das Problem: „Leider werden die Parlamente oft nur bei ‚jugendlichen‘ Themen miteinbezogen. Dabei sind für Jugendliche viel mehr Themen wichtig als nur die neue Parkgestaltung. Sie interessieren sich für Zukunftsthemen und wollen und können aktiv mitgestalten. Wenn ihre Stimmen nicht richtig gehört werden, ist die Frustration in den Parlamenten hoch. Das ist schade, denn es gibt viele gute Beispiele, die zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit viel Motivation bei der Sache sind, wenn sie ernst genommen werden.“

In Itzehoe endet die Parlamentssitzung mit einem kleinen Schreck: Die CDU will einen Antrag stellen, um das Haus der Jugend in ein Mehrgenerationenhaus umzuwandeln. Über Umwege hat die Nachricht das Jugendparlament erreicht. „Davon haben sie bei meinem Treffen mit ihnen letzte Woche natürlich nichts gesagt“, regt sich Anna Goerlach auf. „Aber wenn sie den Antrag in der nächsten Ratssitzung stellen, dann werden wir auch dort sein.“ Die Mitglieder des Itzehoer Jugendparlaments sind sich einig: Die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen dürfen nicht überhört werden.

Katharina Baum 

Akademie für Kinder- und ­Jugendparlamente

Die Akademie für Kinder- und Jugendparlamente ist seit März 2021 Teil der Initiative „Starke Kinder- und Jugendparlamente“, die eine Maßnahme der Jugendstrategie der Bundesregierung ist. Auch das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) ist Teil der Initiative. Finn Sörje, Projektleiter der Akademie: „Das DKHW kümmert sich um Beratung und Informationen rund um das Thema, während wir in der Akademie für Qualifizierungen der Kinder- und Jugendparlamente zuständig sind. Dazu richten wir gerade Standorte in allen Bundesländern ein, die dann lokal angepasste Angebote machen. Das können zum Beispiel Workshops oder Wochenendseminare zu unterschiedlichen Themen sein. Wir wollen den Kindern und Jugendlichen dabei helfen, ihre Rechte zu verstehen und diese dann einzufordern. Unsere Angebote richten sich explizit auch an Erwachsene, die mit Kinder- und Jugend­parlamenten arbeiten.“

Die Akademie im Internet: adb.de/projekte/akademie-fuer-kinder-und-jugendparlamente
Die Initiative „Starke Kinder- und Jugendparlamente“ beim DKHW, mit Informationen zu Gesetzen und Ansprechpartner*innen in den Bundesländern: kinderrechte.de/beteiligung/starke-kinder-und-jugendparlamente

fairkehr 4/2021