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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Turku will klimaneutral werden

Es kommt auf jede Alltagsentscheidung an

Energie, Ernährung, Verkehr, Konsum: Die finnische Stadt Turku will auf allen Ebenen klima­neu­tral werden. Dafür setzt sie auf die Mithilfe der Bürgerinnen und Bürger.

Das Bild zeigt die Stadt Turku von oben, im Vordergrund sind ein Kirchturm und der Fluss Aura zu sehen.
Nach einem verheerenden Brand im Jahr 1827 wurde Turku mit einem schachbrett­artigen Grundriss neu erbaut, der bis heute das Stadtbild prägt.

Um die Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen, will China sie bis 2060 erreichen, die EU und die USA bis 2050: Klimaneutralität. Die finnische Stadt Turku hat sich ein deutlich ehrgeizigeres Ziel gesetzt: „Wir wollen bis 2029 80 Prozent weniger Emissionen ausstoßen als noch 1990, und die übrigen 20 Prozent kompensieren“, erzählt Lotte Suveri vom Klima-Team der 200 000-Einwohner-Stadt an der Ostsee.

Damit spricht sie einen wichtigen Fakt an: Klimaneutral heißt nicht null Treibhausgase. „Es wird immer einen Rest an Emissionen geben, den wir nicht mehr reduzieren können“, so Suveri. Für diese Rest-Emissionen gilt es, einen Ausgleich zu finden. Oft geht das über externe Firmen, die zum Beispiel Bäume pflanzen oder Solaranlagen bauen und so an anderen Orten CO2 sparen. Diese Projekte finden meist in weit entfernten, weniger entwickelten Ländern statt und nicht in den Industrieländern, die die Emissionen verursacht haben. Turku macht es anders und baut ein eigenes lokales Kompensationssystem auf. „Rund um Turku gibt es viele Wälder, die teilweise der Stadt gehören.

Dort setzen wir Aufforstungsprojekte um und kreieren so CO2-Speicher. Aber jeder Turkuer und jede Firma hier kann Teil des Systems werden, indem sie auf ihrem Land Bäume pflanzen oder auf andere Weise zur CO2-Speicherung beitragen“, erklärt Suveri. Das Klimaziel und das Kompensationssystem sind Teil von Turkus ambitioniertem Klimaplan, den der Stadtrat erst 2018 beschlossen hat. Zwischen Beschluss und Ziel liegen nur elf Jahre. Kann das funktionieren?

Ungewohnte Einigkeit

Turku hat schon viel erreicht auf dem Weg zur Klimaneutralität: Seit 1990 hat die Stadt im äußersten Südwesten Finnlands ihre Emissionen mehr als halbiert. Die größten Einsparungen wurden dabei im Elektrizitäts- und Wärmesektor erreicht. Allerdings sind die Energiewerke in städtischer Hand, hier konnte der Stadtrat also großen Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Auch bei anderen städtischen Unternehmen treibt der Stadtrat das Klimaneutralitätsziel energisch voran. Im Studentenwohnviertel zum Beispiel hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft Solaranlagen installiert, die bald mehr Strom produzieren werden, als das Viertel verbraucht. Außerdem werden Student*innen zu Energie-Mentor*innen ausgebildet, die dann ihre Kommiliton*innen über den sparsamen Umgang mit Strom und Heizwärme informieren.

„Wir haben in Turku das Glück, dass Politik und Verwaltung an einem Strang ziehen. Der Klimaplan 2018 wurde im Stadtrat ohne Gegenstimme angenommen“, erzählt Lotte Suveri, die seit zwei Jahren für das Klima-Team arbeitet. „Die städtischen Unternehmen tun schon sehr viel, aber wir sind jetzt an einem Punkt, an dem es auch darauf ankommt, was jeder einzelne Turkuer in seinem Alltag für Entscheidungen trifft.“

Das Foto zeigt eine junge, blonde Frau, die mit einem Arm auf einem Stehtisch lehnt.
Lotte Suveri hat Geographie und
Umweltwissenschaften in Turku studiert. „Ich fühle mich wohl hier und habe das Gefühl, mit meiner Arbeit im Klima-Team etwas Sinnvolles zu tun.“

Lebensstil 1,5 Grad

Der Klimaplan der Stadt Turku baut auf einem 1,5-Grad-Leben auf. Das bedeutet: Jede und Jeder stößt im Alltag nur so viele Emissionen aus, dass theoretisch die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden könnte. Das umfasst Sektoren wie Energie und Wärmedämmung, die die Stadt kontrollieren kann, aber auch solche wie Verkehr, in denen die Stadt nur die Rahmenbedingungen schafft, zum Beispiel durch gute Rad- und Fußwege oder emissionsfreie Busse.

„Die Sektoren Ernährung und Konsum sind besonders schwierig, weil die Produktionsketten so global sind“, meint Suveri. „Aber um das 1,5-Grad-Leben zu erreichen, müssen die Leute weniger Fleisch und mehr regionale Produkte essen, weniger Dinge neu kaufen, mehr Ressourcen teilen. Niemand braucht zum Beispiel eine eigene Sauna, sondern wir können sie mit Nachbarn und Freunden teilen.“

Um die Bürger*innen zu motivieren, ihren Alltag nachhaltig zu gestalten, setzt die Stadt verschiedenste große und kleine Projekte um. Zum Beispiel arbeitet Suveris Team am Aufbau einer regionalen Kreislaufwirtschaft, und die Firma, die für das kostenlose Mittagessen in den Schulen zuständig ist, informiert dort über den jeweiligen Klimaabdruck der Gerichte. Über eine Beteiligungsplattform holt die Stadt die Meinung der Bürger*innen zu größeren Projekten ein, zum Beispiel, wenn es um die Umgestaltung des Straßenraums oder die Neuauflage des Klimaplans geht. „Als Nächstes werden wir fragen, was sich die Turkuer für ihren 1,5-Grad-Alltag wünschen und was es ihnen erleichtern würde, klima­freundliche Entscheidungen zu treffen“, erklärt Suveri.

Für den Herbst plant das Klima-Team eine große Werbekampagne mit Plakaten überall in der Stadt. Lotte Suveri freut sich darauf: „Jeder soll über die Klimaneutralitätsziele von Turku Bescheid wissen und sehen, dass wir alle hier in Turku diesen Weg gemeinsam gehen. Wir können stolz darauf sein, in einer Stadt mit solch guten, zukunftsfähigen Zielen zu leben.“

Katharina Baum

fairkehr 3/2021