fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 1/2021

Reisebücher

"Begleiten Sie mich auf meiner Expedition!"

Reisebuch statt Reisebuchung: Die fairkehr Redaktion hat sich auf fünf imaginäre Fahrten in die weite Welt begeben. Mit diesen Büchern entkommen Sie garantiert der Enge des Lockdowns!

Vermissen Sie auch das Reisen? Dann machen Sie es wie Xavier de Mais­tre. Der junge französische Aristokrat war ein Mann mit unbändigem Fernweh. So sehr, dass er mit einem Freund Flügel aus Papier und Draht baute, um damit von seiner Heimat Frankreich nach Amerika zu fliegen. (Der Plan schlug fehl.) Stellen Sie sich vor, was es für einen jungen Mann mit einem derartigen Reisedurst bedeutet haben mag, als er wegen eines Duells 42 Tage lang unter Hausarrest gestellt wurde. Das Jahr: 1790. Der Ort: eine Wohnung in den oberen Stockwerken eines Mietshauses in der barocken Hauptstadt des Piemonts, Turin.

231 Jahre später können wir in der fairkehr-Redaktion die Situation des romantischen Jünglings besser nachvollziehen, als wir uns vor Jahresfrist hätten träumen lassen. Unser Hausarrest heißt Lockdown. Und wie wir musste de Mais­tre seine Kontakte beschränken. Seine einzigen Gesprächspartner: sein Diener Joanetti und seine Hündin Rosine. Derart isoliert machte der junge Bohemien aus der Not eine Tugend und unternahm eine Expedition durch sein Zimmer, von der er in seinem Buch „Voyage autour de ma chambre“ („Reise um mein Zimmer“) berichtet: Er beschreibt, wie er vom Bett am Schreibtisch vorbei entlang des Bücherregals bis zum Fenster wandert; aber vor allem lässt er uns an den Erinnerungen, Reflexionen und Träumen teilhaben, welche die Möbel, Bilder, Bücher und Briefe, denen er auf seiner Reise begegnet, in ihm auslösen.

Die Gedanken sind frei

De Maistres ungewöhnliches Büchlein parodiert die Reiseberichte seiner Zeit und liest sich wie ein trotziges Lachen, mit dem er sich über seine Arrestanten amüsiert. Mehr noch zeugt es von der Kraft unserer Fantasie. Auch wenn wir im Lockdown stecken, unsere Gedanken sind frei: „Folgen Sie mir, die Sie wegen einer enttäuschten Liebe oder einem untreuen Freund in Ihren Wohnungen geblieben sind. Vertrauen Sie mir und lassen Sie diese dunklen Gedanken zurück, mit denen Sie Ihre Zeit verschwenden. Begleiten Sie mich auf meiner Expedition! Die Etappen unserer Wanderung sind kurz und unterhaltsamer als die von Paris- oder Romreisenden. Nichts kann uns aufhalten, wenn wir uns mit frohem Mut unserer Imagination ergeben und ihr folgen, wohin auch immer sie uns führen mag.“

Ganz im Sinn von Xavier de Maistre laden wir Sie ein, uns auf unseren imaginären Reisen zu begleiten. Nicht durch unsere Redaktionsräume (obwohl es von denen auch einige Geschichten zu erzählen gäbe), sondern durch die schönsten Reisebücher, die wir in diesem Winter gelesen haben. Machen Sie es sich in Ihrem Lesesessel mit einem heißen Tee gemütlich, schalten Sie das Leselicht an, verbannen Sie das Handy in die dunklen Ecken Ihrer Wohnung und reisen Sie mit uns nach Südtirol, Südamerika und Südengland oder lassen Sie uns gemeinsam nach verschollenen Klavieren in Sibirien suchen. Dann geht es Ihnen am Ende womöglich wie Xavier de Maistre, der am letzten Tag seines Hausarrests schreibt: „Der Tag meiner Freiheit ist gekommen. Als ob Sie mir jemals meine Freiheit hätten nehmen können! Sie haben mir untersagt durch die Stadt zu schlendern, aber die ist kaum mehr als ein Punkt im Raum. Aber ein ganzes Universum liegt vor mir und Weite und Ewigkeit sind mir zu Diensten.“

Tim Albrecht

fairkehr 5/2023