fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Städte gestalten

Mobilität ­trifft ­Design

Wie die Gestaltung von Straßen und Plätzen unsere Mobilität beeinflusst

Die Hamburger U-Bahn-Station Überseequartier in der HafenCity wurde 2012 eröffnet und ziert den Titel dieser fairkehr-Ausgabe.

Die Fußgängerzone von Düsseldorf-Benrath ist eine, wie es sie zu Hunderten in Deutschland gibt, ein sogenanntes B-Zentrum. Das Ungewöhnliche: Trotz des ungemütlichen Wetters und der geltenden Maskenpflicht sind hier an diesem Nachmittag viele Menschen unterwegs. Die Benrather Fußgängerzone wurde Anfang der 1980er neugestaltet, und das Design scheint die Menschen bis heute anzusprechen. Niemand versteht das besser als Peter Müller. Er ist nicht nur Architekt und stellvertretender Leiter des Sachgebiets Gestaltung Öffentlicher Raum im Amt für Verkehrsmanagement der Stadt Düsseldorf, sondern auch langjähriger Anwohner der Benrather Fußgängerzone.

„Gutes, nachhaltiges Stadtdesign muss originell sein, aber auch zeitlos. Es sollte auch nach mehreren Jahrzehnten noch gefallen. Gleichzeitig muss es dem Ort angemessen sein“, erklärt Müller. Ein Beispiel dafür: Die Benrather Pflastersteine. „Heute wollen viele Stadtplaner gerne helle Pflastersteine verwenden. Das sieht zwar am Anfang schön aus, aber die hellen Steine werdenschon nach kurzer Zeit fleckig und schmutzig und müssen entweder aufwendig gereinigt oder ausgetauscht werden“, so der Architekt. In Benrath dagegen liegen seit 1982 dieselben unspektakulären, grau melierten Pflastersteine. „Die sehen aus, als gäbe es hier weder Kaugummis noch Currywurst, sauber und gepflegt.“

Um den Bodenbelag optisch aufzuwerten, wurden in Benrath an mehreren Stellen Natursteine verlegt. Mit ihrem natürlichen Glanz bieten sie dem Auge Abwechslung und teilen gleichzeitig Straßen und Plätze räumlich auf. Ein erhöhter Springbrunnen mit Sitzgelegenheiten markiert den Eingang zum Marktplatz. „Es ist wie beim Kochen: Die Mischung der Komponenten muss stimmen“, sagt Peter Müller.

Die Straßenlaterne „Alt-Düsseldorf“ ziert das Düsseldorfer Stadtbild schon seit den 1840ern und wird noch mit Gas betrieben, so auch in Benrath.

Funktion und Gestaltung

Bei der Stadtgestaltung haben Planer und Architekten zwar in einigen Fragen freie Hand, müssen sich aber auch an die Designvorgaben der jeweiligen Stadt und Richtlinien zum Beispiel zur Barrierefreiheit halten. „In den letzten zwanzig Jahren sind viele Anforderungen an die Stadtgestaltung hinzugekommen, zum Beispiel, was den Klimaschutz angeht. Auch Terrorabwehr war in den 80ern noch kein Thema, muss heute aber bei der Gestaltung von Straßen und Plätzen berücksichtigt werden“, so der Experte.

Auch bei der Gestaltung des Straßenverkehrsraums kommen immer neue Anforderungen hinzu. Ein Beispiel nennt Gisela Stete, Verkehrsplanerin und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des VCD: „In letzter Zeit werden häufiger Untergrund-Müllcontainer verbaut. Für die Gestaltung des öffentlichen Raums ist es natürlich positiv, wenn dort keine Müllcontainer herumstehen. Die Untergrundcontainer müssen aber von speziellen Müllfahrzeugen geleert werden, die mehr Platz brauchen. Eine Fahrbahnbreite wie in Wohnstraßen wünschenswert reicht dann oft nicht mehr aus, was bedeutet, es bleibt weniger Platz, um die Seitenräume der Straße zu gestalten.“

Wie auf dem roten Teppich fährt man in das größte Fahrradparkhaus der Welt am Bahnhof in Utrecht, Niederlande hinein: Es ist 17.000 Quadratmeter groß, erstreckt sich über drei Etagen und bietet Platz für 12.500 Fahrräder.

Dabei gehört beides im öffentlichen Verkehrsraum, also auf Straßen, Rad- und Fußwegen, untrennbar zusammen. „An der Gestalt einer Straße muss ablesbar sein, welche Verkehrsfunktion sie hat. Jeder weiß, dass innerorts maximal Tempo 50 gilt, aber wenn die Straßengestaltung das nicht durch gliedernde Elemente wie Bäume oder einengende Querungsstellen widerspiegelt, ist die Gefahr groß, dass die Geschwindigkeit nicht eingehalten wird“, so die Verkehrsplanerin.

Bei der Straßenplanung geht es für Gisela Stete vor allem um Stadtverträglichkeit und um einen rücksichtsvollen Umgang. „Eine gut gestaltete Straße unterstützt das Miteinander aller Verkehrsteilnehmer und -teilnehmerinnen.“ Wenn dann noch Nahmobilität, also Fuß- und Radverkehr, und vor allem auch Multimodalität mit Bus, Bahn und Sharing-Anbietern gestärkt werden, kann über die Verkehrsraumgestaltung auch eine Reduktion des Autoverkehrs erreicht werden.

Egal, wo man sich im belgischen Bahnhof Liège-Guillemins befindet, man hat immer freie Sicht.

Mehr als ein Umstiegspunkt

„Dafür brauchen wir gut gestaltete Mobilitätsstationen: Sie müssen benutzerfreundlich und im Stadtbild gut erkennbar sein, damit die Menschen auf sie aufmerksam werden“, erklärt Gisela Stete. Ebenfalls wichtig: den Umstieg zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln zu vereinfachen. Fahrradparkhäuser, Carsharing und Co. finden sich deshalb besonders oft an Bahnhöfen und ÖPNV-Knotenpunkten und können – wenn sie gut gestaltet sind – deren Attraktivität steigern. Und: Wer sein Rad sicher und trocken in einem benutzerfreundlichen Fahrradparkhaus abstellen kann, lässt sich eher darauf ein, die vielbeschworene letzte Meile zu radeln, anstatt das Auto zu nehmen.

Ein wichtiger Faktor, um die Menschen zum Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel zu bewegen, ist die Aufenthaltsqualität an Bahnhöfen und Busstationen. Und die hängt ganz wesentlich am Design. Laut einer Studie der Industrie- und Handelskammer zu Köln (IHK) zum Thema Pendlermobilität bewerten 81 Prozent der Befragten das Erscheinungsbild und die Sauberkeit von Bahnhöfen mit „eher wichtig“ oder „sehr wichtig“. Verständlich, denn ein heller, schön gestalteter Bahnhof wie beispielsweise der belgische Bahnhof Liège-Guillemins ist einladender als ein zugiger, schmutziger mit unbequemen Metallbänken. Da ist dann selbst das Warten auf den verspäteten Zug nur noch halb so schlimm.

Die „offensichtlichste Bushaltestelle der Welt“ in Baltimore, USA macht das Warten für jeden bequem und bietet Schutz vor Wind und Wetter.

Gleichberechtigte Planung

Auch die Deutsche Bahn hat inzwischen verstanden, dass ein Bahnhof nicht nur gute Zuganbindungen, sondern auch eine gute Aufenthaltsqualität braucht, um erfolgreich zu sein. Im Zuge des Corona-Konjunkturpakets bekam die DB im August 40 Millionen Euro vom Bundesverkehrsministerium zur Verfügung gestellt. Mit dem Geld sollen bis Ende des Jahres deutschlandweit 167 Bahnhöfe „aufgefrischt“ werden. Erklärtes Ziel: Die Aufenthaltsqualität zu steigern. Gefördert werden zum Beispiel neue Anstriche oder die Erweiterung von Sitzgelegenheiten – kleine Maßnahmen, die aber eine große Wirkung haben können.

Außerdem testet die Deutsche Bahn in den Projekten „Zukunftsbahnhof“ und „Smart City“ an ausgewählten Pilotbahnhöfen, wie die Aufenthaltsqualität in Bahnhöfen und um die Bahnhöfe herum gesteigert werden kann. Sei es eine verbesserte Wegeführung durch neue Piktogramme, ein neues Farbkonzept für den ganzen Bahnhof oder Pop-up-Grünanlagen auf dem Bahnhofsvorplatz: Die DB testet quer durch Deutschland, was sich die Menschen vor Ort von ihrem Bahnhof wünschen. Dabei hat sie nicht nur die Bahnpendler*innen und Gelegenheitsfahrer*innen im Blick, sondern auch diejenigen, die sich nur auf einen Kaffee mit Freund*innen treffen wollen.

Doch was nützt ein einladender Bahnhof, wenn er nur mit dem Auto erreicht werden kann? „Es wird immer Straßen geben, auf denen der Autoverkehr eine wichtige Rolle spielt, und es gibt viele Möglichkeiten, diese Straßen stadtverträglich zu gestalten“, meint Gisela Stete aus dem VCD-Beirat. Die Verkehrsplanerin ist froh, dass Stadt- und Verkehrsplanung zunehmend als zusammengehörend behandelt und alle Verkehrsarten gleichberechtigt betrachtet werden. „Wir müssen weg vom sektoralen Denken der letzten 50 Jahre und Straßen planen, auf denen ein Miteinander und kein Gegeneinander herrscht. Und wir müssen dem Rad- und Fußverkehr endlich den gebührenden Platz einräumen, ohne in ein „Schneller, weiter, mehr“ zu verfallen, wie es im Autoverkehr leider immer noch oft die Maxime ist.“

Katharina Baum 

fairkehr 5/2020