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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Zugdesign: der ICE

Außen zeitlos, innen Geschmack

Der Look des ICE hat das Gesicht der Bahn geprägt. Aber seine wechselnde Innenausstattung erzählt eine kleine Kulturgeschichte der letzten dreißig Jahre.

Die spitze Schnauze des ICE 3­ entspricht am ehesten der ursprünglichen Vision Alexan­der Neumeisters.

Nächstes Jahr feiert er seinen dreißigsten Geburtstag: der Intercity Express (ICE). Seit seiner Jungfernfahrt im Mai 1991 ist der weiße Hochgeschwindigkeitszug mit dem roten Geschenkband zu einem Synonym für die Deutsche Bahn geworden. Ob Webseite, Marketingmaterialien oder Faltpläne: Die DB sieht aus wie der ICE, nicht andersherum. Und das, obwohl die Farbkombination der Lackierung eher zufällig zustande kam.

Verantwortlich dafür war der deutsche Industriedesigner Alexander Neumeister. Wohl kaum jemand hat die Schienenstrecken dieser Welt so geprägt wie er. Der 1941 geborene Berliner gestaltete die Magnetschwebebahn Transrapid, den japanischen Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen 500 sowie verschiedene Regionalzüge, U-Bahnen und Trams. 1982 bekam er von der Bundesbahn den Auftrag, das Design für einen Testzug zu entwerfen, der in Deutschland die Supergeschwindigkeitsära einleiten sollte. Im Jahr zuvor hatte Frankreich den TGV auf die Schiene gebracht. In Japan fuhr man schon seit den 1960er Jahren mit 210 km/h. Die Industrienation Deutschland wollte nicht länger hinterherschleichen.

Neumeister schwebte ein silberner Zug mit einer flachen, aerodynamischen Schnauze vor. Die Assoziation „Silberpfeil“ sollte der autogeprägten deutschen Gesellschaft rekordverdächtige Geschwindigkeiten suggerieren, und die Bauform des Zuges sollte an Flugzeuge erinnern, denen die Bahn ausdrücklich Konkurrenz machen wollte. Im Shinkansen 500, dessen Zugkopf wie eine Kreuzung zwischen einem Sauber-Mercedes und einer Concorde aussieht, verwirklichte Neumeister diese Vision später.

Anthroposophische Farben

Aber nicht in seiner Heimat Deutschland, denn aus der Industrie kam Widerstand gegen die silberne Farbe. Also entschied sich der Chefdesigner kurzerhand, den Zug vorerst wie eine leere Leinwand auf die Teststrecke zu schicken: „Ich habe überlegt und dann gesagt: Wir machen den Zug weiß. Das ist am unkompliziertesten. Und es ist ja nur ein Versuchszug“, erinnerte sich Neumeister 2011 gegenüber der Zeitung „Die Welt“. Und siehe da: Das ICE-Design wurde schnell populär – und aus dem unvollendeten Gemälde ein vielfach mit Preisen ausgezeichnetes Meisterwerk.

Pastellfarben und Plastik: So sah die Innenausstattung der ersten ICE-Baureihe aus.

Während das Außendesign bis heute fast unverändert geblieben ist, haben sich die Innenräume der ICEs in den letzten dreißig Jahren ständig gewandelt. Als der Hoffnungstäger 1991 in Betrieb ging, sollte er einen Imagewandel der Bahn einläuten: Im Kontrast zu den Böden aus verschmutztem Metall oder Linoleum, den kalten und steifen Sitzbezügen und der schlechten Luft der damaligen Flotte sollte der ICE Komfort, Wohnlichkeit und Wärme ausstrahlen. Aus diesem Grund konnte sich Neumeisters Entwurf für die Innenausstattung nicht durchsetzen. In seinen Worten wollte die Bahn „anthroposophisch beeinflusste Farben und Formen“, also „weiche“ Räume ohne harte Kanten und pastellartige Farben. Neumeisters Design war dagegen vom minimalistischen und „kalten“ technophilen Stil der klassischen Moderne geprägt.

Bis heute sollen Materialien wie Holz, Glas und Teppich im Innenraum des ICE das Gefühl erzeugen, im Wohnzimmer oder in einem gepflegten Hotel zu sitzen. Den letzten Schritt in diese Richtung unternahm die Bahn mit dem 2017 auf die Schiene gebrachten ICE 4: In den Waggons ändern sich je nach Tages- und Jahreszeit Stärke und Farbe der Beleuchtung, die dem natürlichen Biorhythmus angepasst ist. Der ICE soll innere Entschleunigung bei maximaler Außengeschwindigkeit ermöglichen.

Innenraum eines ICE 4: Neben den Holz- und Glaselementen fallen vor allem die zusätzlichen Gepäckregale auf.

Trotzdem ist jede ICE-Generation ein Kind ihrer Zeit. Farben und Formen änderten sich mit der Mode: „Wenn Sie Nachrichten von vor 30 Jahren schauen, waren bei den Damen etwa Schulterpolster und bei den Herren bunte Krawatten angesagt. Auch bei den Sitzbezügen im ICE war der Geschmack entsprechend anders als heute“, erinnert sich ein Sprecher der Deutschen Bahn. „Schon seit längerem verfolgen wir den Ansatz, das Design möglichst zeitlos zu halten.“

Faxgerät und Schreibmaschine

Aber Gestaltung ist nicht nur Geschmacksfrage. Die Züge mussten sich in den dreißig Jahren nicht nur an modische, sondern auch an technologische und gesellschaftliche Entwicklungen anpassen. In der ersten ICE-Generation gab es noch eine Telefonzelle und geschlossene Arbeitsräume mit Kopierer, Schreibmaschine und Faxgerät. Jeder Waggon hatte genau eine Steckdose, die aber während der Fahrt abgeschaltet war, weil sie nur für die Staubsauger der Putzmannschaften vorgesehen war. Heute befindet sich in jeder Sitzreihe mindestens eine Steckdose, und die Monitore in den Kopfstützen der frühen ICEs sind überflüssig geworden, weil die Zugreisenden mit ihren Handys ihre multimedialen Unterhaltungs- und Kommunikationswerkzeuge selbst mitbringen.

Die Farben sind gleich geblieben, aber die Kopfform des ICE hat sich verändert: vier Generationen des Flaggschiffs der Deutschen Bahn nebeneinander. Ganz links der ICE 1, ganz rechts der ICE 4.

Wo früher im ICE 1 das Konferenz-Abteil war, ist heute das Kleinkindabteil. Auch darin spiegelt sich der Zeitgeist wider: Für das mobile Arbeiten bedarf es keines eigenen Raums mehr, weil immer mehr Leute mit dem Laptop ihren Arbeitsplatz auf die Reise nehmen und unterwegs E-Mails lesen oder Berichte schreiben. Und von Kindern erwarten wir nicht mehr, dass sie sich an die Erwachsenen in ihrer Umgebung anpassen und sich während einer mehrstündigen Fahrt ruhig verhalten.

Auch kleinste Lowtech-Innovationen können großen Umbaubedarf nach sich ziehen: Zum Beispiel trat im Laufe der 1990er Jahre der Rollkoffer seinen Siegeszug an, und plötzlich brachten Reisende mehr Gepäck mit an Bord. „Davor hatte man es sich gut überlegt, ob man wirklich so viel Handgepäck mit auf die Zugfahrt nehmen wollte“, so der DB-Sprecher. „Wir mussten eine Lösung für den gesteigerten Stauraumbedarf finden und haben daraufhin die ICEs mit Gepäckregalen ausgestattet.“

Um Look und Funktionalität des Innenraums auf dem neuesten Stand zu halten, führt die DB regelmäßig sogenannte Redesigns ihrer ICE-Flotten durch. Bis heute kommen ähnlich viele Züge vom Typ ICE 1 (58) zum Einsatz wie Züge der letzten Generation ICE 4 (ab Dezember dieses Jahres: 66). Vielen Reisenden, die keine Zugkenner sind, fällt dies aber kaum auf, da sie im Zug­inneren die gewohnte Atmosphäre empfängt. Nur Altbewährtes wird nicht ausgetauscht. Wer im ICE 1 auf die Spiegel achtet, kann auf ihnen manchmal noch das Logo der alten Bundesbahn entdecken.

Tim Albrecht 

fairkehr 5/2020